Fett und knackig
Eine bekannte Unbekannte kommt zurück: In Oberschwaben werben Umweltschützer für die einheimische Walnuss. „Entwicklungshilfe“kommt aus der Schweiz.
Nikolausstiefel, Adventsschmuck oder Gabenteller: Zum Jahresende werden Walnüsse in rauen Mengen gebraucht. Es gibt bei uns auch viele Nussbäume, besonders im Bodensee-hinterland, am Albtrauf und zwischen Krumbach und Augsburg. Verkauft werden hierzulande aber fast nur importierte Walnüsse, meist aus Kalifornien oder Chile. Nachfrage und Angebot finden nicht zusammen, klagt Ulfried Miller: „Viele einheimische Besitzer von Walnussbäumen wissen nicht, was tun mit ihrer Ernte. Oft werden die Nüsse billig verramscht, verbrannt oder sie vergammeln einfach.“
Ulfried Miller ist der Geschäftsführer des Bundes für Umwelt- und Naturschutz in Ravensburg. Dass sich Umweltschützer den Kopf zerbrechen über den Agrarmarkt, Rentabilität und Lieferketten, ist eher ungewöhnlich. Schön und nützlich sein reicht allerdings nicht, wenn ehrwürdige Nutzpflanzen überleben sollen. Stattliche Walnussbäume prägen die Landschaft; in ihrem Geäst hausen Spechte und Siebenschläfer, Juchtenkäfer und Stöpselameisen; ihre ausladenden Kronen beschirmen seltene Gelbsterne und andere Frühblüher. Gepflegt oder gar neu gepflanzt werden Nussbäume aber auf Dauer nur, wenn es sich rechnet. Miller versucht daher, Bauern die Walnuss als „pflegeleichte Alternative“zu anderen Streuobst-hochstämmen schmackhaft zu machen. Dazu knüpft er auch ein Netz von Ölmühlen und Lebensmittelhändlern.
Baumriesen, die erst nach zehn Jahren die ersten Früchte tragen und schon mal 25 Meter hoch werden, passten nach dem Zweiten Weltkrieg der deutschen Landwirtschaftspolitik nicht mehr. Die Zuchtgärten in Geisenheim bei Wiesbaden, wo in den 1930er Jahren die bei uns meistverbreiteten Walnuss-sorten entstanden, wurden aufgegeben. Die heimische Walnuss-ernte wird schon lange nicht mehr statistisch erfasst, sie gilt bloß noch als schrulliges Hobby.
Erst seit kurzem werden die ausgesprochen wärmeliebenden Bäume als potentielle Gewinner des Klimawandels gesehen. Die Walnuss-wissenschaft muss
nun wieder neu anfangen. Das Bodensee-obstbauzentrum in Bavendorf hat in diesem Herbst Walnüsse gesammelt, um einen Garten mit rund 30 regionalen Sorten aufzubauen.
Aus Oberschwaben könnten pro Jahr schätzungsweise 20 Tonnen Walnüsse vermarktet werden. Mit Forschern der Hochschule Albstadt-sigmaringen hat
der Bund-ravensburg dafür neue Produktideen gesucht, vor allem Verwertungsmöglichkeiten für Reststoffe. Drei Innovationen sollen jetzt in Pilotprojekten getestet werden: Gin aus grünen Früchten, Flips oder Chips aus Trester und Brotaufstrich aus dem Bodensatz, der beim Pressen von Walnussöl entsteht. Alles „vegan, glutenfrei und nachhaltig“, betont Ulfried Miller, der an der Werbung tüftelt. Walnüsse enthalten viele Vitamine, Proteine und Mineralstoffe. Mit 62 Prozent Fettgehalt sind sie nicht gerade Schlankmacher – aber es sind ungesättigte Fettsäuren, die als gesund gelten. Knackige Produktnamen braucht es auch noch: Watella, Wally, Waroni oder vielleicht Wobazda?
Jede Menge Nuss-aktivisten
Entwicklungshilfe bekommen die schwäbischen Nuss-aktivisten aus der Schweiz, wo Erhaltungsinitiativen bereits früher starteten. In dem Dorf Hörhausen, auf dem Seerücken südwestlich von Konstanz, hat Heinrich Gubler die größte Walnuss-sammlung Europas gepflanzt: 5000 Bäume, über 300 Sorten. Alle paar Jahre treffen sich hier Tausende Fans zum „Tag der Nuss“– 2021 wieder, so Corona will. Neue Züchtungen aus Gublers Nussbaumschule könnten allerdings Landwirte und Umweltschützer wieder auseinanderbringen: Kleine Plantagenbäumchen, die schnell und viel Ertrag bringen, sind profitabel – aber kein Vergleich zur artenreichen Schönheit uriger Hochstämme.