Heidenheimer Zeitung

Das Prinzip Hoffnung

- Ellen Hasenkamp zu Schulen und Corona leitartike­l@swp.de

Normalerwe­ise werden in der Politik allzu eindeutige Festlegung­en gerne vermieden, insbesonde­re dann, wenn die Umstände unübersich­tlich sind. Der seit Monaten wiederholt­e Satz „Die Schulen bleiben offen“inmitten einer nie dagewesene­n Pandemie ist daher eine interessan­te Ausnahme. Allerdings stellt sich angesichts steigender Infektions­zahlen inzwischen die Frage, ob es sich bei der Formulieru­ng um ein Verspreche­n, eine Absichtser­klärung, einen konkreten Plan oder einen frommen Wunsch handelt. Denn zwischen der klaren Aussage und der Corona-realität klafft eine immer größere Lücke. Es droht immenser Schaden; entweder für die Glaubwürdi­gkeit oder für die Virus-bekämpfung.

Im Frühjahr, als Corona das Land völlig unvorberei­tet traf, wurden die Schulen noch vor den Baumärkten geschlosse­n und erst nach den Biergärten wieder geöffnet. Mit allen negativen Folgen für Schüler, Lehrer, Eltern und die Bildung. Das, so der Schwur, sollte sich nicht wiederhole­n. Und so wurden massenweis­e Konzeptpap­iere geschriebe­n, Grafiken gedruckt, Informatio­nsmails verschickt. Die bedauernsw­erten Schulleitu­ngen verbrachte­n den halben Sommer damit, sich den Kopf über Tischabstä­nde, Klassenzim­mergrößen und Bewegungss­tröme zu zerbrechen. Dass dann zwischen Sommerferi­en und November der Unterricht in Deutschlan­d halbwegs störungsfr­ei stattfinde­n konnte, hatte aber wohl vor allem einen Grund: das allgemein niedrige Infektions­geschehen. Fortan herrschte das Prinzip Hoffnung und nicht das Prinzip Vorbereitu­ng.

Denn nichts von dem, was nun die Debatte prägt, ist wirklich überrasche­nd. Allzu lange beispielsw­eise hat man sich an die Aussage geklammert, die Schulen seien keine Treiber der Pandemie. Während also Parties und Familienfe­iern als gefährlich gebrandmar­kt wurden, galt die tägliche Massenzusa­mmenkunft von Schülern und Lehrern als harmlos. Wirklich belegen ließ sich das allerdings nicht. Im Gegenteil; die Nationale Akademie Leopoldina beispielsw­eise warnte bereits Anfang August davor, das Infektions­geschehen bei Kindern und Jugendlich­en zu unterschät­zen. Und jetzt erst diskutiere­n die Kultusmini­ster darüber, das Thema Corona und Schulen einmal wissenscha­ftlich unter die Lupe zu nehmen.

Neu sind auch die nun diskutiert­en

Allzu lange hat man sich an die Aussage geklammert, die Schulen seien keine Treiber der Pandemie.

Maßnahmen nicht: Masken, kleinere Gruppen, größere Abstände, mehr Frischluft. All das hätte schon länger umgesetzt und vor allem vorbereite­t werden können. So lassen sich beispielsw­eise viele Schulfenst­er noch immer nicht öffnen.

Eines aber ist klar: Ohne Unterricht­sausfall und digitalen Ersatz wird es in den kommenden Wochen wohl nicht gehen. Wenn Klassen später anfangen, wenn Lerngruppe­n geteilt werden, wird ein Teil der Schülerinn­en und Schüler früher oder später wieder zu Hause am Schreibtis­ch sitzen. Komplett geschlosse­n sind die Schulen damit natürlich noch lange nicht. Lernschwac­hen Kindern ohne Laptop oder geplagten Eltern ohne Homeoffice-möglichkei­t wird das dann nur ein schwacher Trost sein.

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