Das Prinzip Hoffnung
Normalerweise werden in der Politik allzu eindeutige Festlegungen gerne vermieden, insbesondere dann, wenn die Umstände unübersichtlich sind. Der seit Monaten wiederholte Satz „Die Schulen bleiben offen“inmitten einer nie dagewesenen Pandemie ist daher eine interessante Ausnahme. Allerdings stellt sich angesichts steigender Infektionszahlen inzwischen die Frage, ob es sich bei der Formulierung um ein Versprechen, eine Absichtserklärung, einen konkreten Plan oder einen frommen Wunsch handelt. Denn zwischen der klaren Aussage und der Corona-realität klafft eine immer größere Lücke. Es droht immenser Schaden; entweder für die Glaubwürdigkeit oder für die Virus-bekämpfung.
Im Frühjahr, als Corona das Land völlig unvorbereitet traf, wurden die Schulen noch vor den Baumärkten geschlossen und erst nach den Biergärten wieder geöffnet. Mit allen negativen Folgen für Schüler, Lehrer, Eltern und die Bildung. Das, so der Schwur, sollte sich nicht wiederholen. Und so wurden massenweise Konzeptpapiere geschrieben, Grafiken gedruckt, Informationsmails verschickt. Die bedauernswerten Schulleitungen verbrachten den halben Sommer damit, sich den Kopf über Tischabstände, Klassenzimmergrößen und Bewegungsströme zu zerbrechen. Dass dann zwischen Sommerferien und November der Unterricht in Deutschland halbwegs störungsfrei stattfinden konnte, hatte aber wohl vor allem einen Grund: das allgemein niedrige Infektionsgeschehen. Fortan herrschte das Prinzip Hoffnung und nicht das Prinzip Vorbereitung.
Denn nichts von dem, was nun die Debatte prägt, ist wirklich überraschend. Allzu lange beispielsweise hat man sich an die Aussage geklammert, die Schulen seien keine Treiber der Pandemie. Während also Parties und Familienfeiern als gefährlich gebrandmarkt wurden, galt die tägliche Massenzusammenkunft von Schülern und Lehrern als harmlos. Wirklich belegen ließ sich das allerdings nicht. Im Gegenteil; die Nationale Akademie Leopoldina beispielsweise warnte bereits Anfang August davor, das Infektionsgeschehen bei Kindern und Jugendlichen zu unterschätzen. Und jetzt erst diskutieren die Kultusminister darüber, das Thema Corona und Schulen einmal wissenschaftlich unter die Lupe zu nehmen.
Neu sind auch die nun diskutierten
Allzu lange hat man sich an die Aussage geklammert, die Schulen seien keine Treiber der Pandemie.
Maßnahmen nicht: Masken, kleinere Gruppen, größere Abstände, mehr Frischluft. All das hätte schon länger umgesetzt und vor allem vorbereitet werden können. So lassen sich beispielsweise viele Schulfenster noch immer nicht öffnen.
Eines aber ist klar: Ohne Unterrichtsausfall und digitalen Ersatz wird es in den kommenden Wochen wohl nicht gehen. Wenn Klassen später anfangen, wenn Lerngruppen geteilt werden, wird ein Teil der Schülerinnen und Schüler früher oder später wieder zu Hause am Schreibtisch sitzen. Komplett geschlossen sind die Schulen damit natürlich noch lange nicht. Lernschwachen Kindern ohne Laptop oder geplagten Eltern ohne Homeoffice-möglichkeit wird das dann nur ein schwacher Trost sein.