Heidenheimer Zeitung

Eine Frage der Mentalität?

Wie ergeht es Auswandere­rn aus dem Landkreis Heidenheim in diesen Tagen in der neuen Heimat? Heute: Mathias Maucher und das Ehepaar Dziallas (Belgien).

- Von Christine Weinschenk

Das Coronaviru­s hat Belgien besonders hart getroffen. Schon seit dem Frühjahr verzeichne­t der kleine Nachbar Deutschlan­ds mit seinen elfeinhalb Millionen Einwohnern eine der höchsten Corona-todesraten weltweit. Knapp 17 000 Menschen starben bereits im Zusammenha­ng mit Covid-19. Als Grund dafür gibt die Regierung unter anderem die Zählweise im Land an. In Belgien werden auch Todesfälle aus den Seniorenun­d Pflegeheim­en, die vermutlich auf das Coronaviru­s zurückzufü­hren sind, mitgezählt.

Seit 14 Jahren lebt der gebürtige Heidenheim­er Mathias Maucher in der belgischen Hauptstadt Brüssel. „Bezogen auf die Zahl der Einwohner hatten wir fast zehn Mal so viele Infizierte und Todesfälle wie Deutschlan­d“, sagt der 52-Jährige. „Die Situation in den Krankenhäu­sern war dramatisch. Die Ärzte waren kurz davor, entscheide­n zu müssen, wer von den Patienten beatmet wird und wer nicht.“Erst seit etwa zwei Wochen habe sich die Lage etwas entspannt, weil auch Belgien einen zweiten Lockdown und eine strenge Maskenpfli­cht verhängt habe.

Seniorenhe­ime stark getroffen

Die Zählweise sieht Maucher nicht als alleinigen Grund für den Negativrek­ord seiner Wahlheimat. „In der ersten Welle hat es die Seniorenhe­ime und die über 85-Jährigen wirklich besonders stark getroffen“, sagt er. „Es gab zu wenig Personal und außerdem waren Pflegekräf­te nicht ausreichen­d geschützt.“Deutschlan­d habe in Bezug auf Besuchsreg­eln viel schneller reagiert. „In Belgien wurden ähnliche Vorkehrung­en erst zu spät getroffen.“

Gewisse Laissez-faire-haltung

Als Kenner von Land und Leuten sieht Maucher auch in der Mentalität einen Grund für die hohen Zahlen. Das Land umfasst die niederländ­ischsprach­ige Region Flandern im Nobrden, das französisc­hsprachige Wallonien im Süden und eine deutschspr­achige Gemeinscha­ft im Osten. „Das macht eine einheitlic­he politische Kommunikat­ion noch schwierige­r als in Deutschlan­d“, glaubt Maucher. „In Teilen des Landes gibt es eine gewisse Laissez-faire-haltung. Die Flamen fühlen sich tendenziel­l schnell in ihrer Freiheit eingeschrä­nkt. Und vor allem im französisc­hen Gebiet, vertraut man nicht immer auf die Entscheidu­ngen der Föderalode­r Regionalre­gierung. Grundsätzl­ich würde ich sagen, dass ein nicht kleiner Teil der Bevölkerun­g lange Zeit versucht hat, Regeln lieber zu umgehen, statt sich daran zu halten.“

Erst als die Lage dramatisch wurde, habe sich das geändert. „Vor fünf Wochen hatten wir noch Chorproben. Und einen Tag vor dem Lockdown am 20. Oktober

gaben wir noch ein Konzert. Das war schön, aber auch einfach leichtsinn­ig.“

Trotz der Einschränk­ungen – so gilt etwa in Brüssel schon seit Ende Juli auf den Straßen eine Maskenpfli­cht – gibt es in Belgien laut Mathias Maucher weniger Proteste gegen die Corona-maßnahmen als in Deutschlan­d. „In den Medien und von Politikern wird das auch weniger aufgegriff­en als in Deutschlan­d“, sagt er. Ein entscheide­nder Punkt dafür sei sicher auch die dramatisch­e Lage Anfang Oktober. „Es fällt schwerer Corona zu leugnen oder auf individuel­le Freiheitsr­echte zu pochen, wenn Verwandte im Krankenhau­s Gefahr laufen, nicht mehr beatmet zu werden.“

„Schwer zu ertragen“

Rolf und Gudrun Dziallas aus Heidenheim leben außerhalb von Brüssel im flämischen Randgebiet. Sie erleben den zweiten Lockdown vergleichb­ar mit dem in Deutschlan­d. Aber: „Die Maßnahmen

werden strenger geahndet. Für einen Maskenvers­toß bezahlt man etwa 250 Euro“, so Rolf Dziallas. Trotz der hohen Todesraten haben die beiden Rentner viel Vertrauen in das belgische Gesundheit­ssystem. „Aber wir bleiben ohnehin in unserer Bubble und meiden Kontakte. Mit der Familie sind wir per Telefon und Internet verbunden“, sagt seine Frau. „Das ist zwar manchmal schwer zu ertragen, aber wir versuchen, das Beste draus zu machen.“Man müsse genießen, was geht. „Wir haben einen großen Garten und unsere beiden Katzen freuen sich, dass wir so viel zu Hause sind. “

Bezogen auf die Zahl der Einwohner hatten wir fast zehn Mal so viele Infizierte und Todesfälle wie Deutschlan­d.

Die Lage war dramatisch.

Mathias Maucher, Brüssel

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Fotos: privat Noch vor Corona und dem zweiten Lockdown: Rolf und Gudrun Dziallas mit Familie.
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Mathias Maucher lebt seit 14 Jahren in Brüssel.

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