Eine Frage der Mentalität?
Wie ergeht es Auswanderern aus dem Landkreis Heidenheim in diesen Tagen in der neuen Heimat? Heute: Mathias Maucher und das Ehepaar Dziallas (Belgien).
Das Coronavirus hat Belgien besonders hart getroffen. Schon seit dem Frühjahr verzeichnet der kleine Nachbar Deutschlands mit seinen elfeinhalb Millionen Einwohnern eine der höchsten Corona-todesraten weltweit. Knapp 17 000 Menschen starben bereits im Zusammenhang mit Covid-19. Als Grund dafür gibt die Regierung unter anderem die Zählweise im Land an. In Belgien werden auch Todesfälle aus den Seniorenund Pflegeheimen, die vermutlich auf das Coronavirus zurückzuführen sind, mitgezählt.
Seit 14 Jahren lebt der gebürtige Heidenheimer Mathias Maucher in der belgischen Hauptstadt Brüssel. „Bezogen auf die Zahl der Einwohner hatten wir fast zehn Mal so viele Infizierte und Todesfälle wie Deutschland“, sagt der 52-Jährige. „Die Situation in den Krankenhäusern war dramatisch. Die Ärzte waren kurz davor, entscheiden zu müssen, wer von den Patienten beatmet wird und wer nicht.“Erst seit etwa zwei Wochen habe sich die Lage etwas entspannt, weil auch Belgien einen zweiten Lockdown und eine strenge Maskenpflicht verhängt habe.
Seniorenheime stark getroffen
Die Zählweise sieht Maucher nicht als alleinigen Grund für den Negativrekord seiner Wahlheimat. „In der ersten Welle hat es die Seniorenheime und die über 85-Jährigen wirklich besonders stark getroffen“, sagt er. „Es gab zu wenig Personal und außerdem waren Pflegekräfte nicht ausreichend geschützt.“Deutschland habe in Bezug auf Besuchsregeln viel schneller reagiert. „In Belgien wurden ähnliche Vorkehrungen erst zu spät getroffen.“
Gewisse Laissez-faire-haltung
Als Kenner von Land und Leuten sieht Maucher auch in der Mentalität einen Grund für die hohen Zahlen. Das Land umfasst die niederländischsprachige Region Flandern im Nobrden, das französischsprachige Wallonien im Süden und eine deutschsprachige Gemeinschaft im Osten. „Das macht eine einheitliche politische Kommunikation noch schwieriger als in Deutschland“, glaubt Maucher. „In Teilen des Landes gibt es eine gewisse Laissez-faire-haltung. Die Flamen fühlen sich tendenziell schnell in ihrer Freiheit eingeschränkt. Und vor allem im französischen Gebiet, vertraut man nicht immer auf die Entscheidungen der Föderaloder Regionalregierung. Grundsätzlich würde ich sagen, dass ein nicht kleiner Teil der Bevölkerung lange Zeit versucht hat, Regeln lieber zu umgehen, statt sich daran zu halten.“
Erst als die Lage dramatisch wurde, habe sich das geändert. „Vor fünf Wochen hatten wir noch Chorproben. Und einen Tag vor dem Lockdown am 20. Oktober
gaben wir noch ein Konzert. Das war schön, aber auch einfach leichtsinnig.“
Trotz der Einschränkungen – so gilt etwa in Brüssel schon seit Ende Juli auf den Straßen eine Maskenpflicht – gibt es in Belgien laut Mathias Maucher weniger Proteste gegen die Corona-maßnahmen als in Deutschland. „In den Medien und von Politikern wird das auch weniger aufgegriffen als in Deutschland“, sagt er. Ein entscheidender Punkt dafür sei sicher auch die dramatische Lage Anfang Oktober. „Es fällt schwerer Corona zu leugnen oder auf individuelle Freiheitsrechte zu pochen, wenn Verwandte im Krankenhaus Gefahr laufen, nicht mehr beatmet zu werden.“
„Schwer zu ertragen“
Rolf und Gudrun Dziallas aus Heidenheim leben außerhalb von Brüssel im flämischen Randgebiet. Sie erleben den zweiten Lockdown vergleichbar mit dem in Deutschland. Aber: „Die Maßnahmen
werden strenger geahndet. Für einen Maskenverstoß bezahlt man etwa 250 Euro“, so Rolf Dziallas. Trotz der hohen Todesraten haben die beiden Rentner viel Vertrauen in das belgische Gesundheitssystem. „Aber wir bleiben ohnehin in unserer Bubble und meiden Kontakte. Mit der Familie sind wir per Telefon und Internet verbunden“, sagt seine Frau. „Das ist zwar manchmal schwer zu ertragen, aber wir versuchen, das Beste draus zu machen.“Man müsse genießen, was geht. „Wir haben einen großen Garten und unsere beiden Katzen freuen sich, dass wir so viel zu Hause sind. “
Bezogen auf die Zahl der Einwohner hatten wir fast zehn Mal so viele Infizierte und Todesfälle wie Deutschland.
Die Lage war dramatisch.
Mathias Maucher, Brüssel