Mähne ab für einen guten Zweck
Luis und Emilia Raczkowska ließen anderthalb Jahre lang ihre Haare wachsen. Nun werden daraus Perücken für kranke Menschen angefertigt. Wer diese bekommt, bleibt geheim.
Die Kinder Luis und Emilia ließen anderthalb Jahre ihre Haare wachsen. Nun können aus ihren Haaren Perücken für kranke Menschen gefertigt werden.
Luis Raczkowska war sieben Jahre alt, als er in der Zeitung einen Bericht entdeckte über einen jungen Mann aus dem Landkreis Heidenheim. Der hatte über viele Monate seine Haare wachsen lassen und sie anschließend für einen guten Zweck gespendet. Der gut 25 Zentimeter lange Zopf wurde zum Fertigen von subventionierten Perücken verwendet, die schwerkranken Menschen ein Stück Normalität ins Leben zurückbringen sollen.
Warum verlieren Menschen ihre Haare? Welche Krankheit haben sie genau? Und kann ich das auch bekommen? Plötzlich sah sich die Mutter des kleinen Jungen mit schweren Themen und tiefschürfenden Gesprächen am Familientisch konfrontiert – und dem Wunsch ihrer Tochter Emilia, sich an dieser Aktion zu beteiligen. „Mein Mann und ich haben das anfangs für eine fixe Idee gehalten. Aber sie ließ sich nicht abbringen, auch nicht im Sommer, als es unter ihren wahnsinnig dicken Haaren ungemütlich wurde. Sie wollte stark sein für jemanden, den sie nicht kannte. Wir sind sehr stolz auf sie“, sagt Judith Raczkowska.
Gratis-schnitt als Dankeschön
Für die Apothekerin sind Haare nicht nur eine optische Angelegenheit, sondern auch ein Teil der eigenen Persönlichkeit. Ihre dichten Locken trägt sie mal länger, mal kürzer, jedes Abschneiden hat sie als eine Art Abschied in Erinnerung, nie sei der Frisörbesuch ohne Emotionen abgelaufen. Tatsächlich beschäftigte auch Emilia der Tag X. Bei jedem Besuch im Salon von Mimmo Amato am Wedelgraben erzählte sie begeistert von ihrem Vorhaben. Der Frisör sagte seine Unterstützung zu: Der entscheidende Haarschnitt würde kostenlos sein. Weil die Fünftklässlerin auch nach der Spende Pferdeschwanz tragen wollte, mussten deutlich mehr als die mindestens 25 notwendigen Zentimeter zusammenkommen. Es sollte anderthalb Jahre dauern bis dahin. Judith Raczkowska berichtet mit Rührung in der Stimme von diesem Termin. Alle Menschen im Raum hatten Anteil genommen und Emilia viele Komplimente ausgesprochen auch für den neuen Look.
Entschlossenes Auftreten
Luis, der mit einer typischen Sommerfrisur ins Spendenprojekt gestartet war, ist inzwischen neun Jahre alt. Voraussichtlich im Frühjahr wird er die Voraussetzungen für eine Haarspende erfüllen, die Locken reichen ihm inzwischen bis zur Schulter. In all der Zeit habe er oft davon gesprochen, wie schlimm er den Gedanken finde, dass manche Menschen keine Haare haben. „Er hat sich inzwischen nämlich auch in Haare verliebt und wird sie sicher wieder wachsen lassen“, erzählt Mama Judith. Dass ihr Sohn wegen seiner untypischen Haarlänge nicht von Gleichaltrigen gehänselt wurde, schreibt sie seinem entschlossenen Auftreten zu. Er habe jede Gelegenheit genutzt, von seinem Projekt zu erzählen und ansonsten keine Angriffsfläche geboten.
Wie die Perücke am Ende aussieht und welcher Mensch sie trägt, das werden die beiden Geschwister nicht erfahren. Auf Nachfrage von Judith Raczkowska teilten die Betreiber der Internetseite
www.haare-spenden. de mit, dass die Zöpfe von einer Perückenmanufaktur in Nordrhein-westfalen verarbeitet werden. Dort können Kinder bis 17 Jahre zuzahlungsfrei bestellen, alle anderen Käufer bezahlen nur den Arbeitsaufwand. Meist seien mehrere Haarspenden für die Anfertigung einer einzigen Perücke nötig, der Rechercheaufwand für die Rückermittlung deshalb zu groß. „Auch der Datenschutz spielt da eine Rolle“, sagt die Heidenheimerin. „Das ist ein bisschen schade für die Kinder. Aber das wird sie sicher nicht davon abhalten, erneut die Haare wachsen zu lassen für einen guten Zweck.“