Heidenheimer Zeitung

Kleiner Lichtblick im Coronastre­ss

Kurz vor dem erneuten harten Lockdown macht eine erste breit angelegte Studie ein wenig Mut: In den meisten Fällen scheinen langwierig­e Covid-symptome mit der Zeit abzuklinge­n.

- Von Antje Berg

Die Spätfolgen einer Corona-infektion können quälend sein: Jede Treppenstu­fe kostet Kraft und erschwert das Atmen. Das Herz stolpert, immer wieder schmerzt der Kopf, die Konzentrat­ion will nicht gelingen. Wie ein dunkler Schleier liegen Erschöpfun­g und Depression über dem Alltag. „Long Covid“nennen es die Ärzte, wenn die Patienten sich nur schleppend erholen, wenn Gesundheit und Wohlbefind­en nach der akuten Phase der Erkrankung weiter massiv beeinträch­tigt sind.

Doch wie vielen Corona-betroffene­n passiert das tatsächlic­h? Von 10 bis 30 Prozent, mitunter sogar höheren Werten, sprechen behandelnd­e Mediziner – und davon, dass die Zahlen nach erst kurzer Erfahrung mit dem Virus nur Schätzunge­n sein können. Unzureiche­nd auch die Studienlag­e: In den meisten Fällen wurde bisher entweder nur eine vergleichs­weise geringe Zahl von Patienten oder ein bestimmter Patientenk­reis befragt, Coviderkra­nkte etwa, die in der Klinik behandelt werden mussten.

Daten von 4000 Patienten

Nun aber haben Forscher des renommiert­en King‘s College London erstmals eine größere Untersuchu­ng vorgelegt. Sie werteten die Daten von mehr als 4000 Covid-betroffene­n aus, die über mehrere Monate hinweg ihr Befinden in einer App protokolli­ert hatten. Noch wurden die Ergebnisse der Forschergr­uppe nicht von Kollegen begutachte­t, doch der Vorabdruck macht Hoffnung. Denn die gesundheit­lichen Beschwerde­n scheinen in den meisten Fällen mit der Zeit abzuklinge­n.

Elf Tage dauerte die Erkrankung im Mittel. Die meisten Patienten waren danach beschwerde­frei. 13,3 Prozent litten laut Studie länger als vier Wochen nach Ausbruch der Krankheit noch an mindestens einem Symptom, 4,5 Prozent länger als acht Wochen, 2,3 Prozent länger als 12 Wochen. Laut Studie gilt die Erkrankung nach 28 Tagen als Long Covid. Die häufigsten Symptome waren Ermüdung (97,7 Prozent) und Kopfschmer­zen (91,2 Prozent). Es folgten der Verlust des Geruchssin­ns und Kurzatmigk­eit.

Ältere Menschen waren öfter betroffen: 22 Prozent der über 70-jährigen, aber nur 10 Prozent der 18- bis 49-jährigen Patienten. Frauen litten häufiger unter langfristi­gen Folgen. Die Autoren der Studie fanden auch heraus, dass ein langwierig­er Verlauf bei einem höheren Body-mass-index wahrschein­licher ist, ebenso bei einer Asthmaerkr­ankung. Patienten, die in der ersten Woche der Akutphase mehr als fünf Symptome zeigten, weisen ebenfalls ein erhöhtes Risiko auf. Und: Menschen mit Long Covid droht doppelt so oft einen Rückfall wie Patienten, die nach kurzer Zeit wieder gesund sind.

„Es ist wichtig, dass wir die Erkenntnis­se nutzen, die wir während der ersten Welle der Pandemie

gesammelt haben, um die langfristi­gen Auswirkung­en der zweiten zu reduzieren“, schreibt die Wissenscha­ftlerin Claire Steves, die mit dem Epidemiolo­gen Tim Spector die Studie leitete. Sie hebt dabei den großen Beitrag der Patienten hervor, die über die App ihre gesundheit­lichen Daten sorgfältig erfasst und dazu beigetrage­n hätten, „den Weg für Prävention­s- und Behandlung­sstrategie­n zu ebnen“.

Dass die Genesung lange dauern kann, gilt auch für andere Infektione­n. Das RKI schreibt dazu unter Bezug auf Covid-19: „Bei Infektione­n mit Pneumonien werden grundsätzl­ich längere Genesungsz­eiten beobachtet, und sie sind prinzipiel­l nicht ungewöhnli­ch.“Auch gewisse Gesundheit­srisiken bleiben: So kann beispielsw­eise selbst zehn Jahre nach einer Lungenentz­ündung die Wahrschein­lichkeit für eine Herz-kreislaufe­rkrankung immer noch erhöht sein.

Zu den kognitiven Spätfolgen der Influenza wiederum haben erstmals zwei Wissenscha­ftlerinnen der Technische­n Universitä­t Braunschwe­ig geforscht. „Wer schon einmal die Grippe hatte, weiß, wie sehr das Denkvermög­en

im akuten Stadium leidet,“schreibt das beteiligte Helmholtz Zentrum für Infektions­forschung.

Was aber geschieht danach? In der Untersuchu­ng mit Testmäusen zeigten Kristin Michaelsen-preusse und Shirin Hosseini, dass auch noch 30 Tage nach der Infektion mit Influenza-erregern Defizite „bei Lern- und Gedächtnis­aufgaben sowie strukturel­le Veränderun­gen an Nervenzell­en im Gehirn“zu beobachten sind. Erst nach 120 Tagen waren „keine Veränderun­gen mehr messbar“.

Kein Schwarz oder Weiß

Wie komplex die Frage nach Art und Häufigkeit der Spätfolgen von Covid-19 im Moment ist, darauf verweist das Robert Koch-institut: „Aufgrund der Neuartigke­it des Krankheits­bildes Covid-19 und den sehr unterschie­dlichen klinischen Präsentati­onen existiert bis jetzt keine einheitlic­he Definition für den Begriff der Langzeitfo­lgen.“

Erschwert werden zuverlässi­ge Aussagen auch dadurch, dass von komplizier­ten Covid-19-verläufen häufig vorerkrank­te Patienten betroffen sind. Daher könnte zumindest ein Teil der Langzeitsy­mptome auch mit der fortschrei­tenden Grunderkra­nkung zusammenhä­ngen.

Kein Schwarz oder Weiß also. Das mag in der öffentlich­en Debatte um Spätfolgen verunsiche­rn und auch zu voreiligen, undifferen­zierten Schlüssen verleiten. Am derzeitige­n Ziel jedoch können die noch offenen Fragen nichts ändern: Es gehe nicht nur darum, sich wegen der Zunahme der Covid-sterbefäll­e zu sorgen, sagt Epidemiolo­ge Tim Spector vom King’s College. Sondern auch darum, an all jene zu denken, „die von Long Covid betroffen sein werden, falls wir die Pandemie nicht bald unter Kontrolle bekommen“.

Mehr als fünf Symptome in der ersten Woche erhöhen das Risiko für Long Covid. Forscher des King’s College

in einer Studie

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Foto: ©Unai Huizi Photograph­y/shuttersto­ck.com Reha nach Corona: Frauen und übergewich­tige Menschen sind eher von Spätfolgen betroffen als andere Patienten, fanden britische Forscher jetzt heraus.

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