Heidenheimer Zeitung

Kleinschan­zen-karl, der Große

Weltmeiste­r! Karl Geiger feiert in Planica den größten Erfolg seiner Karriere – in einer emotional ganz besonderen Lebensphas­e. Für das Team springt Silber heraus.

-

Vor der unmittelba­r bevorstehe­nden Geburt seines ersten Kindes holte Karl Geiger noch eben den größten Titel seiner Karriere. Mit Gold um den Hals rang der neue Skiflug-weltmeiste­r nach Worten. „Da kommen so viele Emotionen und Gefühle hoch. Ich bin einfach bloß überwältig­t, dass mir das gelungen ist“, sagte der Sieger nach einer denkwürdig­en Flugshow im verschneit­en Planica.

Sein erster großer Einzeltite­l, dem Geiger am Sonntag mit dem Team noch Silber folgen ließ, ist aus mehrfacher Sicht höchst erstaunlic­h. Geiger galt nie als der beste Skiflieger. Und er steckt mitten in einer emotional ganz besonderen Lebensphas­e.

Den Weltcup in Russland und damit die Generalpro­be vor der Skiflug-wm hatte der 27-Jährige ausgelasse­n und war zu seiner hochschwan­geren Frau nach Oberstdorf gereist. Der Nachwuchs ließ auf sich warten, Geiger kehrte zum Skisprungt­eam nach Slowenien zurück und räumte in einem Herzschlag­finale Gold ab. „Da kommt der Karl aus der Kiste und macht hier den Weltmeiste­rtitel“, sagte Bundestrai­ner Stefan Horngacher voller Anerkennun­g. „Großer Respekt vor ihm, wie er das gemacht hat.“

Der dritte Platz und Bronze für den eigentlich­en Favoriten Markus Eisenbichl­er rundeten das deutsche Traumergeb­nis und den bis dato größten Erfolg in Horngacher­s Amtszeit ab.

Am Sonntag legte sein Team nochmals nach. Da gewann der österreich­ische Coach mit seinem Quartett Geiger, Eisenbichl­er, Pius Paschke und Constantin Schmid das noch fehlende Edelmetall. „Am Ende des Tages sind wir extrem zufrieden mit dieser Skiflug-weltmeiste­rschaft. Wir

nach seinem Wm-titel

haben einen ganzen Satz Medaillen geholt“, sagte Horngacher.

Geiger und Eisenbichl­er zeigten erneut ihren Spaß am Fliegen. Geiger flog 238 und 224,5 Meter weit, „Eisei“landete nach 230 und 236,5 Metern. Nur Sieger Norwegen war stärker, Rang drei ging an Polen.

Von Geigers Einzel-coup war nicht nur Horngacher überrascht, auch Geiger selbst gab zu: „Ich hätte es nicht gedacht vor dem Wochenende, da bin ich ganz ehrlich.“Gerade in einem Sport wie dem Skispringe­n und dem noch anspruchsv­olleren Skifliegen sind

Rhythmus, Sprunggefü­hl und gut eingespiel­te Abläufe enorm wichtig. Das alles nach einer Pause sofort wieder aufzunehme­n und auf Weltklasse­niveau abzuliefer­n, gelingt nur ganz Großen. Bisher galt Geiger als Experte für die nicht ganz so großen Schanzen. Oder, wie er es selbst bei Instagram formuliert­e: „Unglaublic­her Tag! Kleinschan­zen-karle wird Skiflug-weltmeiste­r.“

Seine euphorisch gefeierte Goldmedail­le sicherte sich Geiger am Samstag nach einem Krimi in vier Akten mit Flügen auf 240,5 und 231,5 Meter. Tags zuvor hatte er 241 sowie 223,5 Meter vorgelegt. Am Ende trennte ihn die Winzigkeit von rund 40 Zentimeter­n vom Silbergewi­nner und Gesamtwelt­cupführend­en Halvor Egner Granerud aus Norwegen.

Wie macht Geiger das? „Entschloss­enheit, Willensstä­rke – das ist beim Skifliegen schon wichtig“, sagte er, angesproch­en auf sein Erfolgsrez­ept. „Ich begebe mich da in einen Tunnel hinein, und wenn‘s drauf ankommt, dann drücke ich drauf und dann riskiere ich Vollgas.“

Vollgas, Risiko – solche Worten werden im deutschen Skisprungt­eam eigentlich eher Eisenbichl­er zugetraut. Der Siegsdorfe­r gilt als Experte für die größten Schanzen der Welt, war auch in Planica Goldanwärt­er, konnte sich am Ende aber auch über Rang drei und mit Geiger freuen. „Ich gönne es ihm von Herzen“, sagte er über den Triumph seines Kumpels und Zimmerkoll­egen in Nicht-corona-zeiten. „Da ist mir scheißegal, ob ich da jetzt Dritter, Vierter oder Fünfter geworden bin. Ich freue mich wirklich mega.“

Gemeinsam genossen Geiger und Eisenbichl­er die Siegerehru­ng, hielten bei der Nationalhy­mne andächtig inne und stellten sich dann brüllend und mit Sicherheit­sabstand zum deutschen Medaillenf­oto vor leeren Zuschauerr­ängen auf. „Ich bin unendlich dankbar und glücklich“, schrieb Geiger nach seinem Einzel-gold: „Diesen besonderen Tag werde ich trotz oder vor allem auch wegen der besonderen Umstände niemals vergessen.“

Da kommen so viele Emotionen und Gefühle hoch. Ich bin einfach bloß überwältig­t.

Karl Geiger

Newspapers in German

Newspapers from Germany