Die Seele Armeniens
Die „Liturgie“
von Komitas Vardapet (1869–1935) gilt als das bedeutendste Sakralwerk der armenischen Musikgeschichte. Bis zu seiner Deportation am „Roten Sonntag“(24. April 1915) arbeitete der Komponist und Musikethnologe an dem Stück, vollenden konnte er es nie. Geschrieben ist das Werk – liturgiegemäß – für einen reinen Männerchor. Der armenische Komponist Wache Scharafjan (Jg. 1966) hat es in Zusammenarbeit mit Dirigent Sigvards Kļava für den gemischten Chor neu arrangiert und dabei auch von einigen Passagen befreit, die nur die streng ritualisierte Liturgie, nicht aber die Musik betreffen. In dieser Fassung ist es nun mit dem Latvian Radio Choir erstmals auf CD zu erleben. Das klangliche Ergebnis zwingt den Hörer buchstäblich in die Knie (erschienen bei Delos, Vertrieb: Naxos).
Wie sind Sie mit diesem „armenischen Projekt“in Berührung gekommen?
Sigvards Kļava:
Ich weiß nicht mehr, wann ich zum ersten Mal davon gehört habe, aber es geschah auf jeden Fall durch Tigran Mkrtchyan, den Botschafter der Republik Armenien in Lettland. Er hatte uns zuvor schon öfter gebeten, Stücke armenischer Musik aufzuführen, wie etwa das Requiem von Tigran Mansurjan. Durch die Aufführung einiger Lieder von Komitas hatte ich ein paar Vorkenntnisse über Person und Werk. Seine Musik war und ist definitiv eine wichtige neue Erfahrung für mich. Es ist eine Begegnung mit einer tiefen und sehr intensiven Kultur.
Wie haben Sie als „Nicht-armenier“sich diese Musik erschlossen?
Die meiste Zeit haben wir damit verbracht, den richtigen Weg bei der Annäherung an dieses monumentale sakrale Meisterwerk zu finden. Und mit Annäherung meine ich nicht nur die Forschung, sondern auch die Notwendigkeit, das ganze Land und dessen einzigartigen Kulturraum zu erleben mit all seinen sakralen und profanen Geschichten. Das Wichtigste aber war der Versuch, die armenische Tradition und den Zweck des kreativen Lebens von Komitas zu verstehen.
Und wie haben Sie die Sprachbarriere überwunden?
Das Armenische ist sehr liedhaft. Wir hatten mehrere Berater, die uns geholfen haben, den natürlichen Fluss der Sprache mit der Art und Weise unseres Gesangs zu verbinden. Die Sprache war definitiv nicht der schwierigste Teil bei der Einstudierung des Werks. Weitaus mehr Arbeit haben wir investiert, um der Tradition der geistlichen armenischen Gesänge gerecht zu werden und dabei gleichzeitig unsere eigene Identität als lettischer Radiochor zu bewahren.