Heidenheimer Zeitung

Der Präsident und das „Meer von Problemen“

Wladimir Putin lobt in seiner Jahrespres­sekonferen­z den Umgang seines Landes mit Corona. Berichte über neue Verwicklun­gen im Fall Nawalny tut er als „Müllkippe“ab.

- Stefan Scholl

Moskau. Für manche Dinge fühlt sich Wladimir Putin inzwischen zu alt. So lässt er sich nicht mit dem vaterländi­schen Covid-19-impfstoff Sputnik V, impfen, weil dieser nur für Leute im Alter von 18 bis 60 Jahre geeignet sein soll. „In dem Sinn bin ich ziemlich gesetzestr­eu, höre auf den Rat der Spezialist­en“, erklärte der 68-Jährige. Ein paar Stirnfalte­n und graue Haare mehr, aber der russische Präsident wirkte bei seiner 16. Jahrespres­sekonferen­z gut in Form – allen Krankheits­gerüchten zum Trotz.

Allerdings war das Ritual erneut maßgeschne­idert. Putin antwortete aus seiner Residenz Nowo-ogarjowo bei Moskau, umgeben nur von den Reportern des loyalen Kremlpools, auf Onlinefrag­en von 774 akkreditie­rten Journalist­en, die sich in Moskau und acht weiteren Städten versammelt hatten. Die meisten dieser Fragen schienen einer abgestimmt­en Regie zu folgen. Zwischendu­rch wurden Wünsche und Bitten „einfacher Bürger“an Putin verlesen.

Zum Auftakt fragte eine Reporterin, wie Putin das Jahr bewerte. Das Stichwort zum traditione­ll mit Erfolgszah­len gespickten Eingangsst­atement. Mit den Jahren sei es wie mit gutem oder schlechtem Wetter. Wegen der Pandemie habe es ein „Meer von Problemen“gegeben. „Aber wir sind diesen Problemen würdig begegnet, sogar besser als andere Länder,

die stolz auf ihre stabile Wirtschaft und ihr Gesundheit­ssystem sind.“So sei das Bruttoinla­ndsprodukt Russland nur um 3,6 Prozent gesunken, weniger als in den führenden Eu-staaten, die Produktion der verarbeite­nden Industrie im November habe man sogar um 1,1 Prozent gesteigert.

Auch einige Erfolge des Gesundheit­ssystems, die Putin feierte, klangen fabelhaft. Man habe die Anzahl der Betten für Corona-patienten von 48 000 auf 277 000 erhöht, die Zahl der zuständige­n Fachärzte von 8300 auf 150 000. Russland sei das erste Land, das Impfstoffe erfunden und zu produziere­n begonnen habe. Allerdings: Da es an „Eisen“, also Produktion­sanlagen, für die Vakzine mangele, müsse man die Hilfe ausländisc­her Hersteller in Anspruch nehmen.

Manche Fragen beantworte­te der Präsident eher langatmig als scharfzüng­ig, das Thema des Tages aber nannte er eine „Müllkippe“: Die neuen, vom Kreml noch nicht kommentier­ten Presseenth­üllungen über die Verwicklun­g des Staatssich­erheitsdie­nstes FSB in den Giftanschl­ag auf den Opposition­ellen Alexej Nawalny seien die „Legalisier­ung amerikanis­cher Geheimdien­stinfomati­onen“. Und sie zeigten, dass die Us-sicherheit­sorgane Nawalny unterstütz­ten. „Das bedeutet, dass unsere Dienste auf ihn achtgeben müssen. Aber nicht, dass man ihn vergiften muss. Wer braucht ihn denn?“, fragte Putin.

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Foto: Aleksey Nikolskyi/pool Sputnik Kremlin/ Ap/dpa Russlands Präsident Wladimir Putin spricht per Video über die Lage im Land.

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