Mit Vertrauen in sich selbst
Ein Schreibtisch sagt auch etwas über seinen Nutzer aus – oder? In dieser Hz-serie werden Arbeitsplätze von Führungskräften aus der Region vorgestellt. Heute: Stefan Merkle vom Heidenheimer Ingenieurbüro Merkle & Partner.
Heute lässt Stefan Merkle vom Heidenheimer Ingenieurbüro Merkle & Partner auf seinen Schreibtisch blicken.
Welche Eigenschaften zeichnen erfolgreiche Persönlichkeiten aus? Stefan Merkle hat sich im Laufe der Jahre viele Gedanken gemacht über Pioniergeist und Durchhaltevermögen, über Talente, Mitarbeiterführung, Lebensfreude – und er tut es heute noch. In seinem Büro hängt eine riesige beleuchtete Tafel. Darauf abgebildet sind 12 Köpfe von weltweit bekannten Machern aus verschiedensten Epochen bis hin zur Neuzeit und eine Liste von Erkenntnissen. „Ich stelle mich morgens davor und wähle ein Genie aus, mit dem ich mich dann für ein paar Minuten beschäftige. Die Frage ist, was ich von dieser Person lernen kann“, erklärt der Gründer des Heidenheimer Ingenieurbüros Merkle & Partner. Im Alltag orientiere er sich an Werten. Ästhetik beispielsweise sei ihm wichtig und stehe vor der Funktionalität: „Ich mache alles durchdacht und mit Konzept. Ein Unternehmer muss zudem den Mut haben, das zu machen, was nicht jeder macht. Sei der treibende Pol, der Grenzen erweitert, und vertraue auf deine Fähigkeiten.“
Sei der treibende Pol und vertraue auf Dich.
Know-how für alle Branchen
Die Corona-pandemie sah er deshalb auch eher als Chance denn als Bedrohung. Sicher sei die Automobil-industrie, die bisher zu den Hauptauftraggebern gehört hatte, nun zusammengebrochen. Dafür habe man nun Kunden aus der Raumfahrt, aus der Medizintechnik und aus der Gebäudeklimatisierung für sich gewinnen können: „Das Know how ist ja da. Man muss nur überlegen, wo und wie man es einsetzen kann. Ob es dabei um den Hitzeschild eines Satelliten geht oder ein Wildschwein, das in vollem Lauf von einer Kugel getroffen wird, ist dabei egal, simulieren können wir es.“Mittels einer kleinen Bildschirmpräsentation gewährt Stefan Merkle Einblick in den abwechslungsreichen Alltag seines Teams. 37 Mitarbeiter führen Simulationen durch und unterstützen Firmen bei der Entwicklung neuer Produkte und Prozesse. So wird in einer der Animationen beispielsweise die Verteilung von Getriebeöl nachgestellt. Wie entwickelt sich die Temperatur? Wann geht welches Bauteil kaputt? In vielen Bereichen laufen Kooperationen mit Hochschulen, die unter anderem entsprechende Materialeigenschaften bereitstellen?
Stefan Merkle ist in Ulm geboren und hat Luft- und Raumfahrttechnik in Stuttgart studiert. Sich danach selbstständig zu machen, war sein großes Ziel. Er wollte es besser machen, als er es bei verschiedenen Praktika hatte beobachten können, miteinander statt gegeneinander, und nur mit den besten Leuten zusammenarbeiten. Er schrieb während des Studiums Computerprogramme auf Lochkarten und entwickelte später Software für die ersten Personal Computer. Das reine Programmieren war ihm aber zu fade, dafür faszinierten ihn die Möglichkeiten der technischen Simulation, die bis dahin noch kaum genutzt wurden. „Ich bin an die hiesigen Firmen Voith und Erhardt herangetreten und habe angeboten, mit Simulationen Probleme zu lösen“, erinnert er sich. 1989 machte er sich schließlich selbstständig. Kein Kapital, dafür 320 000 DM Kredit. Einen Großteil des Geldes investierte er in einen bestens ausgestatteten Rechner und in seine Software. Dann gab er einige Jahre lang Vollgas. Tagsüber kümmerte er sich um Kunden, am Abend schob er Projekte durch, oft brachte er es auf 17 Stunden und mehr.
Selbstredend hat er auch heute noch keine 40-Stunden-woche. „Aber ich habe inzwischen die Freiheit, arbeiten zu dürfen und nicht mehr zu müssen. Arbeiten zu müssen, um Geld zu verdienen, das ist für mich eine Art Prostitution“, sagt Stefan Merkle. Die Wochenenden gehören der Familie. Gerne verbringt er Zeit auf seinem Gartengrundstück nahe des Oggenhauser Kellers. Er ist künstlerisch interessiert, neben Holzschnitzereien übt er sich im Zeichnen. In diesem Jahr ist die
Teilnahme an einem Bildhauerkurs geplant, wo am Ende eine große Skulptur gegossen werden soll. Adrenalin holt er sich auf der Rennstrecke, wo er mit dem Motorrad nicht gegen andere, sondern immer gegen sich selbst fahre. Ab und an gönnt er sich ein paar Tage Luxus und nimmt an Ausfahrten teil. Ein paar noble Sportwagen, ein paar abgelegene Passstraßen, fünf Tage, viel Spaß. Wenn ihm danach ist, fährt er auch mal für fünf Wochen mit dem Wohnmobil weg. An dieser Art des Reisens begeistert ihn vor allem die Freiheit, nicht an Orte und Termine gebunden zu sein.
Dass der Unternehmer so frei ist in seiner Lebensgestaltung, liegt auch an seinem hochqualifizierten Team. Dieses aufzubauen, habe ihn viele Fehlgriffe gekostet. Inzwischen trüge ihn sein Bauchgefühl nur noch selten, er erziele „mit Spitzenleuten Spitzenergebnisse: Der Trick ist, Verantwortung
abzugeben und jedem seine eigene Spielwiese zu geben.“Um mit engagierten Mitarbeitern langfristig planen zu können, geht er außergewöhnliche We ge. So sind die drei Standorte in Wolfsburg, Erfurt und Homburg nicht das Ergebnis einer strategischen Planung, sondern entstanden aus dem Wunsch dreier Mitarbeiter, nach Studium und dem Sammeln erster Berufserfahrung wieder in der alten Heimat zu leben. Zu den Niederlassungsleitern hält Stefan Merkle engen Kontakt, auch in Heidenheim steht er in regem Austausch mit seinem Team. Aus dem operativen Geschäft halte er sich allerdings inzwischen komplett raus. Seine Aufgaben: Marketing, das Verfassen von Blog-artikeln, Engagement im Wirtschaftsrat und „das Spinnen der großen Fäden“. Zwei Mal pro Jahr verbringt der Heidenheimer einige Tage mit seinem Führungsteam auf Schloss Lautrach nahe Memmingen, wo die Ziele für die kommenden Monate festgelegt werden.
Zu Hause in der Villa Traber
Das Wohnhaus des Unternehmers kommt diesem Wesenszug entgegen. „Ich lebe im schönsten
Haus Heidenheims“, sagt er und erzählt mit Begeisterung von der Natursteinvilla Traber an der Ziegelstraße 39. Sein Büro an der Friedrichstraße ist ähnlich großzügig bemessen und hat Wohnzimmer-charakter. In einem Teil des Raumes befinden sich Schreibtisch und Schränke, auf der anderen Seite finden mehrere Gäste Platz, in der Mitte steht ein Brunnen aus Stahl. Weil der keinen besonders guten Einfluss hatte auf die Luftfeuchte, ist er außer Betrieb. In dessen Mitte thront nun eine Nachbildung des Eiszeit-mammuts aus dem Lonetal auf dem Trockenen: „Ich interessiere mich sehr für Archäologie. Unsere Region hat da viel zu bieten. Ich teile mir mit dem Steinheimer Unternehmer Sascha
Rieger eine Patenschaft für den Löwen im Archäopark.“Auch die Leidenschaft für Fußball ist nicht zu übersehen. Der Fan-schal auf dem Kleiderständer zeugt vom Sponsoring für den FC Heidenheim, er unterstützt zudem als Hauptsponsor den Frauenfußballverein FFV.
Über seine Nachfolge hat sich Stefan Merkle noch keine Gedanken gemacht. Rente ist für ihn kein Thema. Warum damit aufhören, was ihm auch nach all den Jahren noch Freude bereitet? Dass seine Kinder einmal das operative Ruder übernehmen werden, hält er eher für unwahrscheinlich. Die Tochter studiert in London Biomedical Sciences, der Sohn ist als Spieledesigner erfolgreich. Und so wird er eines Tages wohl in den eigenen Reihen Ausschau halten und sich vor allem an der Kompetenz der Mitarbeiter orientieren. Bis dahin aber will er den Alltag mit all seinen Rechten und Pflichten genießen und das Spiel des Lebens weiterspielen: „Natürlich gehört die Möglichkeit des Verlierens immer mit dazu. Aber ich spiele nicht, um nicht zu verlieren. Ich spiele, um zu gewinnen.“