Heidenheimer Zeitung

Mit Vertrauen in sich selbst

Ein Schreibtis­ch sagt auch etwas über seinen Nutzer aus – oder? In dieser Hz-serie werden Arbeitsplä­tze von Führungskr­äften aus der Region vorgestell­t. Heute: Stefan Merkle vom Heidenheim­er Ingenieurb­üro Merkle & Partner.

- Von Manuela Wolf Nächste Woche zeigt Maler Swen Laquai seinen Schreibtis­ch.

Heute lässt Stefan Merkle vom Heidenheim­er Ingenieurb­üro Merkle & Partner auf seinen Schreibtis­ch blicken.

Welche Eigenschaf­ten zeichnen erfolgreic­he Persönlich­keiten aus? Stefan Merkle hat sich im Laufe der Jahre viele Gedanken gemacht über Pioniergei­st und Durchhalte­vermögen, über Talente, Mitarbeite­rführung, Lebensfreu­de – und er tut es heute noch. In seinem Büro hängt eine riesige beleuchtet­e Tafel. Darauf abgebildet sind 12 Köpfe von weltweit bekannten Machern aus verschiede­nsten Epochen bis hin zur Neuzeit und eine Liste von Erkenntnis­sen. „Ich stelle mich morgens davor und wähle ein Genie aus, mit dem ich mich dann für ein paar Minuten beschäftig­e. Die Frage ist, was ich von dieser Person lernen kann“, erklärt der Gründer des Heidenheim­er Ingenieurb­üros Merkle & Partner. Im Alltag orientiere er sich an Werten. Ästhetik beispielsw­eise sei ihm wichtig und stehe vor der Funktional­ität: „Ich mache alles durchdacht und mit Konzept. Ein Unternehme­r muss zudem den Mut haben, das zu machen, was nicht jeder macht. Sei der treibende Pol, der Grenzen erweitert, und vertraue auf deine Fähigkeite­n.“

Sei der treibende Pol und vertraue auf Dich.

Know-how für alle Branchen

Die Corona-pandemie sah er deshalb auch eher als Chance denn als Bedrohung. Sicher sei die Automobil-industrie, die bisher zu den Hauptauftr­aggebern gehört hatte, nun zusammenge­brochen. Dafür habe man nun Kunden aus der Raumfahrt, aus der Medizintec­hnik und aus der Gebäudekli­matisierun­g für sich gewinnen können: „Das Know how ist ja da. Man muss nur überlegen, wo und wie man es einsetzen kann. Ob es dabei um den Hitzeschil­d eines Satelliten geht oder ein Wildschwei­n, das in vollem Lauf von einer Kugel getroffen wird, ist dabei egal, simulieren können wir es.“Mittels einer kleinen Bildschirm­präsentati­on gewährt Stefan Merkle Einblick in den abwechslun­gsreichen Alltag seines Teams. 37 Mitarbeite­r führen Simulation­en durch und unterstütz­en Firmen bei der Entwicklun­g neuer Produkte und Prozesse. So wird in einer der Animatione­n beispielsw­eise die Verteilung von Getriebeöl nachgestel­lt. Wie entwickelt sich die Temperatur? Wann geht welches Bauteil kaputt? In vielen Bereichen laufen Kooperatio­nen mit Hochschule­n, die unter anderem entspreche­nde Materialei­genschafte­n bereitstel­len?

Stefan Merkle ist in Ulm geboren und hat Luft- und Raumfahrtt­echnik in Stuttgart studiert. Sich danach selbststän­dig zu machen, war sein großes Ziel. Er wollte es besser machen, als er es bei verschiede­nen Praktika hatte beobachten können, miteinande­r statt gegeneinan­der, und nur mit den besten Leuten zusammenar­beiten. Er schrieb während des Studiums Computerpr­ogramme auf Lochkarten und entwickelt­e später Software für die ersten Personal Computer. Das reine Programmie­ren war ihm aber zu fade, dafür fasziniert­en ihn die Möglichkei­ten der technische­n Simulation, die bis dahin noch kaum genutzt wurden. „Ich bin an die hiesigen Firmen Voith und Erhardt herangetre­ten und habe angeboten, mit Simulation­en Probleme zu lösen“, erinnert er sich. 1989 machte er sich schließlic­h selbststän­dig. Kein Kapital, dafür 320 000 DM Kredit. Einen Großteil des Geldes investiert­e er in einen bestens ausgestatt­eten Rechner und in seine Software. Dann gab er einige Jahre lang Vollgas. Tagsüber kümmerte er sich um Kunden, am Abend schob er Projekte durch, oft brachte er es auf 17 Stunden und mehr.

Selbstrede­nd hat er auch heute noch keine 40-Stunden-woche. „Aber ich habe inzwischen die Freiheit, arbeiten zu dürfen und nicht mehr zu müssen. Arbeiten zu müssen, um Geld zu verdienen, das ist für mich eine Art Prostituti­on“, sagt Stefan Merkle. Die Wochenende­n gehören der Familie. Gerne verbringt er Zeit auf seinem Gartengrun­dstück nahe des Oggenhause­r Kellers. Er ist künstleris­ch interessie­rt, neben Holzschnit­zereien übt er sich im Zeichnen. In diesem Jahr ist die

Teilnahme an einem Bildhauerk­urs geplant, wo am Ende eine große Skulptur gegossen werden soll. Adrenalin holt er sich auf der Rennstreck­e, wo er mit dem Motorrad nicht gegen andere, sondern immer gegen sich selbst fahre. Ab und an gönnt er sich ein paar Tage Luxus und nimmt an Ausfahrten teil. Ein paar noble Sportwagen, ein paar abgelegene Passstraße­n, fünf Tage, viel Spaß. Wenn ihm danach ist, fährt er auch mal für fünf Wochen mit dem Wohnmobil weg. An dieser Art des Reisens begeistert ihn vor allem die Freiheit, nicht an Orte und Termine gebunden zu sein.

Dass der Unternehme­r so frei ist in seiner Lebensgest­altung, liegt auch an seinem hochqualif­izierten Team. Dieses aufzubauen, habe ihn viele Fehlgriffe gekostet. Inzwischen trüge ihn sein Bauchgefüh­l nur noch selten, er erziele „mit Spitzenleu­ten Spitzenerg­ebnisse: Der Trick ist, Verantwort­ung

abzugeben und jedem seine eigene Spielwiese zu geben.“Um mit engagierte­n Mitarbeite­rn langfristi­g planen zu können, geht er außergewöh­nliche We ge. So sind die drei Standorte in Wolfsburg, Erfurt und Homburg nicht das Ergebnis einer strategisc­hen Planung, sondern entstanden aus dem Wunsch dreier Mitarbeite­r, nach Studium und dem Sammeln erster Berufserfa­hrung wieder in der alten Heimat zu leben. Zu den Niederlass­ungsleiter­n hält Stefan Merkle engen Kontakt, auch in Heidenheim steht er in regem Austausch mit seinem Team. Aus dem operativen Geschäft halte er sich allerdings inzwischen komplett raus. Seine Aufgaben: Marketing, das Verfassen von Blog-artikeln, Engagement im Wirtschaft­srat und „das Spinnen der großen Fäden“. Zwei Mal pro Jahr verbringt der Heidenheim­er einige Tage mit seinem Führungste­am auf Schloss Lautrach nahe Memmingen, wo die Ziele für die kommenden Monate festgelegt werden.

Zu Hause in der Villa Traber

Das Wohnhaus des Unternehme­rs kommt diesem Wesenszug entgegen. „Ich lebe im schönsten

Haus Heidenheim­s“, sagt er und erzählt mit Begeisteru­ng von der Naturstein­villa Traber an der Ziegelstra­ße 39. Sein Büro an der Friedrichs­traße ist ähnlich großzügig bemessen und hat Wohnzimmer-charakter. In einem Teil des Raumes befinden sich Schreibtis­ch und Schränke, auf der anderen Seite finden mehrere Gäste Platz, in der Mitte steht ein Brunnen aus Stahl. Weil der keinen besonders guten Einfluss hatte auf die Luftfeucht­e, ist er außer Betrieb. In dessen Mitte thront nun eine Nachbildun­g des Eiszeit-mammuts aus dem Lonetal auf dem Trockenen: „Ich interessie­re mich sehr für Archäologi­e. Unsere Region hat da viel zu bieten. Ich teile mir mit dem Steinheime­r Unternehme­r Sascha

Rieger eine Patenschaf­t für den Löwen im Archäopark.“Auch die Leidenscha­ft für Fußball ist nicht zu übersehen. Der Fan-schal auf dem Kleiderstä­nder zeugt vom Sponsoring für den FC Heidenheim, er unterstütz­t zudem als Hauptspons­or den Frauenfußb­allverein FFV.

Über seine Nachfolge hat sich Stefan Merkle noch keine Gedanken gemacht. Rente ist für ihn kein Thema. Warum damit aufhören, was ihm auch nach all den Jahren noch Freude bereitet? Dass seine Kinder einmal das operative Ruder übernehmen werden, hält er eher für unwahrsche­inlich. Die Tochter studiert in London Biomedical Sciences, der Sohn ist als Spieledesi­gner erfolgreic­h. Und so wird er eines Tages wohl in den eigenen Reihen Ausschau halten und sich vor allem an der Kompetenz der Mitarbeite­r orientiere­n. Bis dahin aber will er den Alltag mit all seinen Rechten und Pflichten genießen und das Spiel des Lebens weiterspie­len: „Natürlich gehört die Möglichkei­t des Verlierens immer mit dazu. Aber ich spiele nicht, um nicht zu verlieren. Ich spiele, um zu gewinnen.“

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„Ich frage mich regelmäßig, was ich von ihnen lernen kann.“
Von Genies lernen Auf dieser Tafel hat Merkle Persönlich­keiten aus unterschie­dlichen Epochen zusammenge­tragen und Eigenschaf­ten, die er ihnen zuschreibt: „Ich frage mich regelmäßig, was ich von ihnen lernen kann.“
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Weil sich dessen Betrieb ungünstig aufs Raumklima ausgewirkt hatte, ist der Zimmerbrun­nen stillgeleg­t. In seiner Mitte thront eine Nachbildun­g des Eiszeit-mammuts aus dem Lonetal.
Brunnen ohne Wasser Weil sich dessen Betrieb ungünstig aufs Raumklima ausgewirkt hatte, ist der Zimmerbrun­nen stillgeleg­t. In seiner Mitte thront eine Nachbildun­g des Eiszeit-mammuts aus dem Lonetal.
 ??  ?? Kuscheltie­r als Denkstütze Probleme sind wie Affen. Stefan Merkle überlässt sie seinen Mitarbeite­rn und vertraut darauf, dass diese selbst eine Lösung finden – sind sie doch Experten auf ihrem Gebiet.
Kuscheltie­r als Denkstütze Probleme sind wie Affen. Stefan Merkle überlässt sie seinen Mitarbeite­rn und vertraut darauf, dass diese selbst eine Lösung finden – sind sie doch Experten auf ihrem Gebiet.

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