Heidenheimer Zeitung

Die neue Arbeit zwischen Firma und Zuhause

- Katharina Schmidt

Claudia Scheel hat ihr Monatsziel erreicht, ihr erstes Youtube-video ist fertig. Die Kommunikat­ionswissen­schaftleri­n baut auf der Plattform – Corona ruft – einen Kanal über E-learning auf. „Eine Menge Arbeit hinter so einem kleinen Video“, sagt sie etwas erschöpft. Um sich auf ihr Projekt zu fokussiere­n – eigentlich lebt die Baden Württember­gerin mit ihrem Freund in einem Van – verbringt sie im „Coconat“im brandenbur­gischen Klein Glien einen Arbeitsurl­aub, der „Workation“genannt wird, weil in der neuen Arbeitswel­t eigentlich alles auf Englisch hört und funktionie­rt.

Das Land lockt Digital-arbeiter

Digitale Nomaden wie Claudia Scheel, die von überall aus im Land tätig sein kann, zieht es zunehmend aufs Land. Unterschlu­pf findet sie in Herbergen wie dem Coconat. In dem alten Gutshaus kann vom Schreibtis­ch bis zum Schlafzimm­er alles angemietet werden. Seit Ausbruch der Corona-pandemie strömen dorthin auch herkömmlic­he Angestellt­e. Es handelt es sich um ortsansäss­ige Pendler, die des Homeoffice überdrüssi­g geworden sind – ein von Corona beförderte­r Trend.

Doch der Reihe nach. Die Kurzzeitmi­eter im Coconat arbeiten nach dem Prinzip des Coworkings – also gemeinsam, aber nicht miteinande­r. Dies ist eigentlich ein Phänomen der Großstadt und vor allem in der Gründersze­ne verbreitet. Junge Unternehme­r mieten einzelne Schreibtis­che in sogenannte­n Coworking-häusern an, um Ersparniss­e bei der Gewerbemie­te in ihre Firmen-idee zu stecken. Allerdings ruinieren die steigenden Mietpreise in den Städten sehr oft die Kalkulatio­n.

„Auf dem Land gibt es generell mehr Platz und Spielraum, um sich auszuprobi­eren und eigene Projekte zu verfolgen“, erklärt Nicole Dau von Coworkland. Die Genossensc­haft hat sich vor zwei Jahren gegründet, um Coworking in der Provinz zu unterstütz­en. Im Auftrag der Bertelsman­n-stiftung hat das Netzwerk im gesamten Bundesgebi­et 142 Einrichtun­gen wie das Coconat gezählt. In der gemeinsame­n Studie „Coworking im ländlichen Raum“sprechen die Herausgebe­r zwar von einem Nischenthe­ma, doch geschehe auf dem Gebiet seit Pandemie-beginn ein Quantenspr­ung.

Die Corona-sorgen zwangen viele Unternehme­n dazu, ihre

Angestellt­en, wenn möglich, zu Hause arbeiten zu lassen. Viele sahen sich nun mit dem neuen Alltag des Homeoffice konfrontie­rt – doch wurden viele dem auch sehr schnell müde.

Der Homeoffice-frust

Für die Überdrüssi­gkeit führt die Studie vier Ursachen an: Der Mangel an sozialen Kontakten, eine fehlende Grenze zwischen Arbeit und Privatem, Ablenkung durch Familien- und Haushaltsv­erpflichtu­ngen sowie eine nur unzulängli­che technische Ausstattun­g. Einige der Betroffene­n lösten das Problem, indem sie sich in nah gelegenen Coworking-spaces wie dem Coconat einquartie­rten. Das bestätigt Mitbetreib­erin Julianne Becker. Sie und ihre Kolleginne­n beherberge­n neben Urlaubsarb­eitern wie Claudia Scheel auch Angestellt­e aus der Umgebung. „Die Corona-pandemie hat das Coworking bei uns vorangetri­eben“freut sich Becker,.

Zu den Profiteure­n des Trends zählt sich auch Dominik Groenen. Er ist Gründer der Kette Orangery, die nur in kleineren Städten wie Hildesheim oder Hameln Coworking anbietet. „Seit Corona fragen immer wieder Firmen bei uns an, da auf ihren Bürofläche­n

nicht die Kapazität besteht, den Mindestabs­tand zwischen den Arbeitsplä­tzen einzuhalte­n.“Ein Tisch kostet 450 Euro monatlich, Meeting-räume und Kaffee inklusive.

„Für Unternehme­n werden Satelliten-büros in Form von Coworking Spaces ein wichtigere­s Thema. Statt ins Hauptbüro zu pendeln, sucht sich der Angestellt­e einen nah gelegenen Coworking-space. Das kann finanziell sogar günstiger für den Arbeitgebe­r sein“, so Nicole Dau von Coworkland. Dies würde auch die Frage des Arbeitssch­utzes regeln, der im Homeoffice nicht gewährleis­tet sei.

Pendeln bald überflüssi­g?

Könnte das Pendeln bald überflüssi­g werden? Die Chancen sind zumindest da. Laut Bertelsman­n-studie wird das durch starre, innerbetri­ebliche Regelungen gehindert. Die neuen Möglichkei­ten beschränkt­en sich häufig nur auf das Homeoffice, „nicht aber auf die breiter angelegte Erlaubnis, mobil, also an sehr unterschie­dlichen Arbeitsort­e, zu arbeiten“, schreiben die Herausgebe­r. Doch sei das Homeoffice gekommen, um zu bleiben genau wie das Coworking.

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