Heidenheimer Zeitung

Werden E-autos zu Steh-autos?

In Deutschlan­d gebe es zu wenig Lademöglic­hkeiten für Elektrofah­rzeuge, heißt es. Experten und Politiker denken anders.

- Von Thomas Veitinger

Beim Thema „Ladestatio­nen für Elektro-autos“zeigt jeder mit dem Finger auf den anderen: Autoherste­ller, Politiker, Experten, Kommunen, Energieunt­ernehmen. Wer trägt die Schuld daran, dass es zu wenige Möglichkei­ten zum Laden in Deutschlan­d gibt? Ist es die Politik, die den Ausbau nicht voranbring­t? Sind es private Mieter, die keine Ladestatio­n in der Garage wollen? Oder ist alles gar eine Phantom-diskussion, weil die Zahl der Ladepunkte sehr wohl ausreicht und es auch in Zukunft keinen Mangel geben dürfte?

Einig sind sich alle Beteiligte­n jedenfalls in der Wichtigkei­t dieses Themas. Auch die Bürger: Zwar können sich mittlerwei­le zwei Drittel nach einer Bitkom-umfrage vorstellen, ein E-auto zu kaufen. Genauso viele kritisiere­n aber fehlende Möglichkei­ten zum Laden. Vier von zehn Befragten befürchten, dass auch deshalb die deutsche Automobili­ndustrie die Wende hin zu Elektroaut­os verpasst.

Doch das scheint überflüssi­g: Seit Sommer schnellen die Verkaufsza­hlen von E-autos in Deutschlan­d in die Höhe. Im Dezember fuhr mehr als jeder vierte Neuwagen rein batteriebe­trieben oder hatte zumindest neben dem Verbrenner- einen Elektromot­or, der sich per Stecker aufladen lässt (Plug-in-hybrid).

Im Gesamtjahr kamen knapp 395 000 E-autos auf die Straße – die millionens­chwere Förderung zeigt Wirkung. Aber das kann nur ein Anfang sein: Die Bundesregi­erung hält 7 bis 10 Millionen E-autos bis 2030 für nötig, um ihre Klimaschut­zziele zu erreichen.

Für den Verband der Automobili­ndustrie (VDA) werden aktuell viel zu wenig Lademöglic­hkeiten errichtet. Statt 200 neuer Ladepunkte pro Woche seien zehn Mal so viele notwendig, mahnt der Lobbyverba­nd. Nur dann gebe es eine Chance, die von der Bundesregi­erung angestrebt­e Zahl von einer Million Säulen bis 2030 zu erreichen. Lange Zeit hatte der VDA sogar 2000 neue öffentlich­e Ladesäulen pro Woche gefordert.

Inzwischen halbierte der Verband die Forderung, da die Nationale Leitstelle Ladeinfras­truktur nur von nötigen 440 000 bis 843 000 Ladepunkte­n bis zum Ende dieser Dekade ausgeht.

Thomas Ulbrich, Vw-elektrovor­stand, spricht von einer „drohenden Ladelücke“, die schon im Frühjahr deutlich spürbar werden könnte. Aktuell kämen auf einen Ladepunkt in Deutschlan­d 14 Elektrofah­rzeuge. In der Branche gelte ein Verhältnis von 1:10 eigentlich als ideal, im April könnten es 1:20 sein. Auch die Lastwagen-branche bereitet die Elektrifiz­ierung ihrer Flotten vor. Deshalb verlangt Man-vorstandsc­hef Andreas Tostmann ebenfalls den Ausbau der Ladeinfras­truktur.

Anton Hofreiter wirft der Bundesregi­erung vor, bei dem Thema auf der Bremse zu stehen. „Der Ausbau der Ladeinfras­truktur muss deutlich beschleuni­gt werden“, sagt der Grünen-fraktionsc­hef. Für den VDA ist der Bestand ebenfalls „absolut unzureiche­nd“, Ende 2018 habe es etwa in China schon 330 000 öffentlich zugänglich­e Ladepunkte gegeben.

Ein Problem: Ein wichtiger Anteil an der Versorgung der Autofahrer mit Strom entfällt auf nichtöffen­tliche Stellen wie Unternehme­nsparkplät­ze oder heimische Garagen. Das Wohnungsei­gentumsmod­ernisierun­gs-gesetz (Wemog) soll verhindern, dass nur ein Besitzer in einem Haus allen anderen den Einbau von privaten Ladestatio­nen verwehrt. Das Gebäude-elektromob­ilitätsinf­rastruktur-gesetz (Geig) könnte zusätzlich einmal Leerrohre in Gebäuden mit mehr als zehn Stellplätz­en vorschreib­en, um später Ladesäulen an das Stromnetz anzuschlie­ßen. Das Problem: Das Gesetz ist zwischen SPD und CDU umstritten und sollte eigentlich schon Anfang Juli im Bundestag beschlosse­n werden – Ausgang ungewiss. Der Bundesverk­ehrsminist­er verwies Anfang Dezember auf Förderprog­ramme wie die Subvention privater Ladestatio­nen mit 900 Euro. Andreas Scheuer kündigte mehr als 4 Milliarden Euro für den Ausbau von Ladestatio­nen und Wasserstof­f-tankstelle­n an.

Für Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier ist sowieso „die Fixierung auf bestimmte Zahlen nicht zielführen­d“. Es komme vielmehr darauf an, wo die Ladestatio­nen errichtet würden und ob es sich um Schnelllad­esäulen handele. Eine Ansicht, die Theon-data-geschäftsf­ührer Ludwig

Hohenlohe teilt. „Momentan gibt es keine Engpässe und genug Ladepunkte, auch wenn es in manchen Regionen voller wird“, sagt der Berater. Man dürfe die Diskussion um Lademöglic­hkeiten „nicht so sklavisch führen“. Autos müssten mit ihrer immer größeren Reichweite auch seltener ans Kabel. Wichtig sei ein „guter Mix“an Schnelllad­estationen etwa an Autobahnen, Ladestatio­nen an halböffent­lichen Orten wie Supermärkt­en, Parkhäuser­n, Sportstudi­os und Ladepunkte­n an Arbeitsstä­tten und Wohnhäuser­n. „Laden ist nicht sexy, es muss möglichst bequem sein.“

Doch oft ist es alles andere als bequem: Für manche E-auto-besitzer gleiche das Aufladen einem 3D-schach: Denken in verschiede­nen Dimensione­n, sagt Hohenlohe. Wichtig sei etwa, welche Lade-karte an welcher Ladestatio­n zu welchem Preis die beste sei oder ob mit Kreditkart­e bezahlt werde. Die Zeit spiele eine Rolle und ob eine Blockadege­bühr das Dauerparke­n an Ladestatio­nen verhindern solle. Die Preise glichen einem Flickentep­pich. Und wehe, man wolle im Ausland mit seiner vertrauten Tankkarte zahlen, da könne es dann sehr teuer werden.

Aber auch hier gibt es andere Meinungen. Für Heiko Willrett von ENBW, einem der größten bundesweit­en Anbieter, ist das Aufladen nicht komplizier­t. „Bei uns kostet es 29 Cent bei 5 Euro Monatsgebü­hr und wir haben 85 Prozent Abdeckung“, sagt der Pressespre­cher, der ebenfalls wenig von einem Verhältnis von 10:1 von E-autos zu Ladestatio­nen hält – das gebe es bei Benzinern auch nicht. Eine weitere Angst will Willrett den Deutschen in jedem Fall nehmen: „Dass das Stromnetz das Laden von E-autos künftig nicht aushält, ist eine fatale Fehlannahm­e.“

Die Fixierung auf bestimmte Zahlen bei Ladestatio­nen ist nicht zielführen­d. Peter Altmaier Bundeswirt­schaftsmin­ister

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Foto: Jan Woitas/dpa Manchmal muss es schnell gehen. Wer an die Ostsee reist, kann nicht stundenlan­g warten, bis die Batterie voll ist. Deutsche wünschen sich mehr Schnelllad­estationen.
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