Heidenheimer Zeitung

Sommer, Sauna, Gelassenhe­it

Das finnische Glück hat einen Namen: Mathildeda­l. Das entspannte Leben in dem kleinen Ort steht stellvertr­etend für die Befindlich­keit des ganzen Volkes. Szenen aus einem privilegie­rten Dasein.

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Keine Ahnung, wie die auf uns gekommen sind.“Fragt man Finnen auf der Straße, ob sie glücklich sind, schütteln sie zunächst meist verständni­slos den Kopf. Dabei werden sie 2020 im „World Happiness Report“der Vereinten Nationen zum dritten Mal in Folge als glücklichs­tes Volk der Welt gelistet. Nach Definition der meisten Einheimisc­hen ist das Glück vor allem dort zu finden, wo immer die Sonne scheint und der Alkohol billig ist. Beides ist in dem Land mit seinen 5,5 Millionen Einwohnern, dessen Fläche kaum kleiner ist als die Deutschlan­ds, nicht der Fall. Was also steckt hinter dem vermeintli­chen finnischen Glück? Auf nähere Nachfrage schwärmen die Bewohner eines der nördlichst­en Länder der Erde – ein Drittel liegt nördlich des Polarkreis­es – gerne von der prächtigen Natur, vom vergangene­n Sommer im Ferienhaus und von der Tiefenents­pannung in der Sauna am See. Und davon, dass man in Finnland sicher und sorglos leben kann. Kriminalit­ät gibt es kaum, der Staat kümmert sich um die, denen es schlecht geht. Schulen und Universitä­ten sind kostenlos und so gut, dass Finnland in Studien zum Bildungsni­veau auf den vorderen Rängen rangiert.

„Wir sind vielleicht nicht das glücklichs­te Volk der Welt“, sagt Staatspräs­ident Sauli Niinistö in einem Interview mit dieser Zeitung, „aber das zufriedens­te.“Auf die Frage, ob er persönlich glücklich sei, überlegt er lange und sagt dann: „Warum eigentlich nicht?“Dann erklärt er noch, wo und wann es ihm besonders gut geht: im Sommer, im Ferienhaus, wenn er das Holz für die Sauna hackt. Wie seinem Volk auch. Glück kann so einfach sein, auch für den Präsidente­n.

Petri Honkala spricht ebenfalls lieber von Zufriedenh­eit. Glück, das klinge, als müsse immer alles perfekt sein, sagt der Physiother­apeut und „Happiness Guide“. In kurzer Hose und Badelatsch­en steht er am kleinen Yachthafen von Mathildeda­l, bereit zu einem Spaziergan­g. Mit seinem Zopf, der Sonnenbril­le, die er lässig im Haar statt vor den Augen trägt, und seinem vollen Bart wirkt der 59-Jährige wie eine Mischung aus Althippie und gealtertem Surf-weltmeiste­r.

Mathildeda­l, der kleine Ort in Südfinnlan­d, ist so etwas wie das Zentrum der Glückssuch­er. Früher stand hier eine Eisenhütte, heute versuchen die 130 Einwohner, ihren Traum von einem anderen Leben zu verwirklic­hen. Die einen verdienen ihr Geld als Café-betreiber, andere mit einer Galerie: Kunsthandw­erker, Musiker, Bierbrauer, Maler,

Lebensküns­tler. Alle scheinen angekommen zu sein an einem Ort, an dem sie ein glückliche­s Leben führen können.

Wäre Pippi Langstrump­f – die zentrale Figur einer Kinderbuch-reihe der schwedisch­en Autorin Astrid Lindgren – Finnin, dann würde auch sie hier wohnen. Inmitten der bunten Holzhäusch­en, der großen Gärten mit den blühenden Bäumen und der Herde Alpakas, die in der Sommersonn­e grast. Mathildeda­l gefällt auch Touristen, die im Sommer hierherkom­men – für einen Urlaub oder einen Wochenenda­usflug, für das kleine Glück zwischendu­rch.

Als „Happiness Guide“ist es Petri Honkalas Aufgabe, Menschen aus anderen Ländern den finnischen Weg zum Glück zu zeigen. Das geschieht mit einem Augenzwink­ern, denn natürlich glaubt auch er nicht, dass man in Finnland den Königsweg zum perfekten Leben gefunden hat. Bei der Tourismusa­gentur „Visit Finland“allerdings hat man entdeckt, dass Glück auch ein gutes Verkaufsar­gument sein kann. Deswegen haben die Werbefachl­eute Freiwillig­e wie Petri Honkala angeworben, die Touristen auf einen Ausflug in ihr finnisches Leben mitnahmen. „Rent a Finn“hieß die Aktion, bei der sich Gäste aus dem Ausland bewerben konnten, einige Tage mit einem „richtigen“Finnen zu verbringen. In Corona-zeiten funktionie­rt das allerdings nur virtuell.

Vor Jahren galt Finnland noch als langweilig, kalt und voller Mücken. Heute ist es ein Zentrum der Glückliche­n, scheinbar ein Land voll cooler Typen. „Das finnische Glück ist nicht sofort für jeden sichtbar“, sagt Heli Jimenez, Marketingd­irektor bei Business Finland. „Vielmehr ist es tief in unserem Wesen verwurzelt. Nachhaltig­e Zufriedenh­eit und unerschütt­erliche Gelassenhe­it – das sind unsere Superkräft­e. Wir nehmen das Leben, wie es eben kommt, und erfreuen uns an den kleinen Dingen im Alltag.“

„Onni ei tule etsien, vaan eläen“, lautet ein finnisches Sprichwort. „Glück findet man nicht, indem man es sucht, sondern indem man es lebt.“Ähnlich sieht auch Petri Honkalas Ratschlag aus: „Ich bin ein einfacher Mann und versuche, meine Energie auf die positiven Dinge des Lebens zu konzentrie­ren“, sagt der 59-Jährige. Und erzählt, wie er Kraft findet, wenn er Gitarre spielt oder mit seinem Hund durch den Wald spaziert. „Über Dinge, die ich nicht ändern kann, mache ich mir keine Gedanken,“lautet sein persönlich­es Rezept, mit dem er bisher gut gefahren ist, auch in der Corona-krise. Der eine hackt Holz, der andere spielt Gitarre – wie für den

Präsidente­n Sauli Niinistö sind es auch für Petri Honkala die kleinen Dinge, die den Weg zu Glück und Zufriedenh­eit weisen.

Laut dem dänischen Glücksfors­cher Meik Wiking ist das nordische Modell gut darin, Ursachen von Unglück zu beseitigen. „Es verwandelt unseren Reichtum in Lebensqual­ität.“Als Beispiel erzählt der Forscher, wie seine Heimatstad­t Kopenhagen viel Geld investiert hat, um das Wasser in den Stadtkanäl­en zu reinigen und dort Badestelle­n anzulegen. Jetzt kann jeder, egal ob arm oder reich, mitten in der Innenstadt ins Wasser springen. „So entfernt man das Preisschil­d vom Glück“, sagt Meik Wiking.

Aus dem „Happiness Report“abzuleiten, wo die Glück ohne Preisschil­d glücklichs­ten Menschen der Erde leben, sei fragwürdig, sagt Ilona Suojanen, die als Glücksfors­cherin an der Erasmus-universitä­t in Rotterdam arbeitet. Der Un-bericht sage nichts über das Maß an persönlich­em Glück aus. „Der Report ist mehr ein Indikator des Wohlbefind­ens einer Nation,“so Suojanen.

Der „World Happiness Report“definiert die Glücksfakt­oren stark nach westlichen Kriterien, ärmere Länder landen im Ranking deshalb weit hinten (s. Infobox). „Er ist eher ein Maßstab für die allgemeine Zufriedenh­eit mit dem Leben“, stellt der kanadische Ökonom John F. Helliwell, einer der Mitherausg­eber des Rankings, klar: „Und dafür, inwieweit man an einem Ort lebt, an dem sich die Menschen umeinander sorgen.“

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