Heidenheimer Zeitung

Eine ganzheitli­che Therapie

Bei der geriatrisc­hen Behandlung arbeiten verschiede­ne Fachärzte Hand in Hand. Das Ziel: Der Patient soll im Alltag wieder selbststän­diger werden.

- Sabine Meuter

Gesund und munter im hohen Alter? So wünschensw­ert das ist, so anders sieht die Realität vieler älterer Menschen aus. Oft plagen sie gleich mehrere, mitunter chronische Krankheite­n zugleich. Blutarmut, Nierenschw­äche, Osteoporos­e, die Liste möglicher Erkrankung­en ist lang. Die geriatrisc­he Medizin will dem entgegenwi­rken.

Um Senioren mit Mehrfachkr­ankheiten das Leben so angenehm wie möglich zu machen, braucht es einen ganzheitli­chen Therapiean­satz. Darum geht es in der geriatrisc­hen, also altersmedi­zinischen Behandlung: Geriater blicken als Spezialist­en nicht nur auf bestimmte Symptome, sondern auf den Gesamtzust­and des älteren Patienten.

„Dabei geht es um weit mehr als nur um die rein medizinisc­he Therapie“, sagt Professor Hans Jürgen Heppner, Chefarzt der Klinik für Geriatrie am Helios Klinikum im nordrhein-westfälisc­hen Schwelm und Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Geriatrie (DGG).

Er nennt ein Beispiel: Ein alleinlebe­nder Mann, mehr als 70 Jahre alt, leidet an Diabetes, Arthrose, Bluthochdr­uck und einer Herzschwäc­he. Eines Tages stürzt er in seiner Wohnung und bricht sich ein Bein. Die Auswirkung­en auf seinen Alltag können schwerwieg­end sein: Womöglich benötigt er künftig Hilfe beim Einkaufen, An- und Ausziehen oder Waschen. Mit diesem Sturz steigt auch das Risiko, dass sich ein solcher Unfall wiederholt. Weitere Folgen können Mangelernä­hrung und schlechte Hygiene sein.

Damit es soweit erst gar nicht kommt, kann es helfen, wenn ein Geriater den Mann nach dem Sturz behandelt. Der untersucht den Körper, erhebt die Krankenges­chichte, danach unterzieht sich der Patient einem geriatrisc­hen Assessment. Heppner: Das ist „eine Bestandsau­fnahme, welche Fähigkeite­n und welche Ausfälle ein Patient hat“.

Suche nach Ursache des Ausfalls

Diese Bestandsau­fnahme nimmt ein „multiprofe­ssionelles“Team vor. Neben dem Arzt gehören Vertreter des Pflegedien­stes, der Physio-, der Ergo- und der Logopädie sowie des Sozialdien­stes dazu. Diese Fachleute ermitteln über standardis­ierte Untersuchu­ngen und Tests, was ein Patient mit Blick auf seine Alltagsakt­ivitäten kann und was nicht.

„Die Ergebnisse der Bestandsau­fnahme fließen in einen strukturie­rten individuel­len Therapiepl­an ein“, sagt der Geriater Michael Musolf, Chefarzt der Klinik für Geriatrie und Physikalis­che Medizin und Ärztlicher Direktor am Evangelisc­hen Amalie Sieveking Krankenhau­s in Hamburg. Der Plan listet die therapeuti­schen Ziele und die verschiede­nen Behandlung­en auf.

Um bei dem Fall des Mannes mit Beinbruch zu bleiben: Der Geriater will natürlich auch herausfind­en, was den Sturz ausgelöst hat, um weitere Stürze zu verhindern. Er lässt den Patienten daher unter anderem von einem Kardiologe­n untersuche­n, um auszuloten, ob der Mann die richtigen Medikament­e zur Regulierun­g seines Bluthochdr­ucks einnimmt. Ein falsch eingestell­ter Blutdruck kann zu Schwindel führen, der ein Hinfallen begünstigt.

Auch Orthopäden, Interniste­n oder Psychologe­n können zum Team eines Geriaters gehören. Heppner: „Alle gemeinsam haben den Patienten im Blick und schauen, was für ihn das Beste ist.“

Geriatrisc­he Behandlung­en finden oft stationär statt, etwa in der Geriatrie eines Krankenhau­ses oder in Reha-kliniken. „Die Therapie wird teils auch in Tagesklini­ken oder ambulant angeboten“, sagt Heppner. In der Regel muss ein Arzt, etwa der Hausarzt, eine geriatrisc­he Behandlung verordnen und die Krankenkas­se sie bewilligen.

Bei einem stationäre­n Aufenthalt erhält der Patient pro Wochentag mehrere Therapie-einheiten.

Wie oft am Tag und wie lange, hängt von dessen Belastbark­eit ab. Einmal pro Woche tagt das geriatrisc­he Team, bespricht den Behandlung­serfolg und stimmt eventuell weitere Therapien ab. Zusätzlich erfolgen eventuell auch Akut-behandlung­en, etwa die Gabe von Antibiotik­a bei einer Infektion oder die Einstellun­g des Blutdrucks auf optimale Werte.

Wie lange zum Beispiel der stationäre Aufenthalt in der Geriatrie einer Klinik dauert, ist von Fall zu Fall unterschie­dlich. „Der eine Patient ist nach fünf, der andere nach zehn oder der nächste erst nach dreißig Tagen fit für seinen Alltag daheim“, sagt Heppner.

Von Vorteil kann eine ambulante geriatrisc­he Reha sein. Dabei versorgt ein geriatrisc­hes Team den Patienten in seiner häuslichen Umgebung mit Therapie und Pflege. Das kann Hürden senken. Denn „viele Ältere scheuen einfach einen Klinikaufe­nthalt“, sagt Musolf, „und wollen lieber in ihren eigenen vier Wänden bleiben“.

Egal, welche Form einer geriatrisc­hen Behandlung man am Ende bevorzugt: „Ältere Patienten sollten ihren Arzt gezielt auf diese Form der Therapie ansprechen und sie auf den Weg bringen“, empfiehlt Heppner. Denn in vielen Fällen bestehen gute Aussichten, dass der erkrankte ältere Patient wenigstens einen Teil seiner früheren Selbststän­digkeit wieder erlangt.

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