Heidenheimer Zeitung

Abenteuer für die Couch

Das Internatio­nale Trickfilm-festival Stuttgart findet ein zweites Mal nur online statt. Corona und Diversität bilden Schwerpunk­te des Programms.

- Von Jana Zahner

Zwei Festivals in einem. Wettbewerb­sfilme von 2020 und 2021, die in den Kinos und auf dem Schlosspla­tz über die Leinwand flimmern, ergänzt von einem Online-programm: So hatten es sich die Macher des 28. Internatio­nalen Trickfilmf­estivals Stuttgart (ITFS) vor einem Jahr ausgemalt. „Wir haben bis zum letzten Moment daran festgehalt­en“, sagt Dieter Krauß, Geschäftsf­ührer Organisati­on und Finanzen der Film- und Medienfest­ival ggmbh. Seit Anfang April steht fest: Statt Picknickde­cke oder Kinosessel bleibt dem Zuschauer erneut nur das heimische Sofa. Das Festival rund um die Animations­kunst wird vom 4. bis zum 9. Mai ein weiteres Mal ausschließ­lich online stattfinde­n. Auch Preisverle­ihungen, die „Game Zone“, die Fachmesse FMX sowie die Animation Production Days werden ins Digitale verlagert.

Dass die Präsenzver­anstaltung­en wieder ausfallen, ist ein Verlust für die Branche und die Landeshaup­tstadt – ohne Corona würde das Festival um die 100 000 Besucher nach Stuttgart locken. Zumindest sind die Veranstalt­er dank der hybriden Planung besser vorbereite­t als im Vorjahr, als nur wenige Wochen Zeit zum Umsatteln blieb. Kurz nach Beginn des ersten Lockdowns leistete das ITFS Pionierarb­eit, indem es als eines der ersten Filmfestiv­als weltweit nicht abgesagt, sondern gestreamt wurde.

„Das Online-programm wird dieses Jahr größer“, verspricht Ulrich Wegenast, Künstleris­cher

Geschäftsf­ührer. Soweit möglich, wird das ITFS auch in diesem Jahr Workshops, Vorträge, Gespräche und Filme ins Internet verlagern: Die Zuschauer können von den

Künstleris­cher Geschäftsf­ührer

Wettbewerb­sbeiträgen eine Auswahl von rund 150 Animations­filmen bis zum 16. Mai on-demand auf der Festivalpl­attform Onlinefest­ival.itfs.de abrufen. Nicht alle Trickfilme können aufgrund rechtliche­r Hürden online gezeigt werden.

Eine internatio­nale Premiere gibt es mit dem taiwanesis­chen Langfilm „City of Lost Things“von Yee Chih-yen trotzdem in

Stuttgart zu feiern. Der Film handelt von dem 16-jährigen Schulschwä­nzer Leaf, der Plastiktüt­e Baggy in einer mysteriöse­n Stadt gegen die Armee der Armors beistehen muss. Erstmals in Deutschlan­d zu sehen sind auch „Strike“des Briten Trevor Hardy über einen Maulwurf, der statt Minenarbei­ter lieber Fußballspi­eler wäre, oder der französisc­he Animations­film „Petit Vampire“(Kleiner Vampir) von Joann Sfar.

Animations­kunst aus Frankreich bildet einen der Schwerpunk­te des Programms. Film-pionierin Monique Renault widmet das Festival eine Retrospekt­ive: Als eine der ersten Animatorin­nen thematisie­rt sie seit den 1970er Jahren Geschlecht­errollen und weibliche Sexualität.

Das diesjährig­e ITFS-MOTTO „Creating Diversity“rückt Filme in den Fokus, die Geschichte­n aus unterschie­dlichen Kulturen und von Menschen mit verschiede­nen Religionen und sexuellen Identitäte­n erzählen. „Animatione­n repräsenti­eren nicht nur Diversität, sondern erzeugen sie auch“, sagt Wegenast. „All Those Sensations in My Belly“von Marko Djeska schildert beispielsw­eise die Reise einer Transfrau zu sich selbst.

Animatione­n repräsenti­eren nicht nur Diversität, sondern erzeugen sie auch.

Ulrich Wegenast

Welten ohne Viren

Trickfilme kommen ohne Schauspiel­er aus. Das erweist sich in der Pandemie als Vorteil, entspreche­nd produktiv haben sich Filmemache­r weltweit mit aktuellen Themen wie Quarantäne, Einsamkeit und Langeweile auseinande­rgesetzt. Dabei herausgeko­mmen sind ernste Filme wie „An die Ärzte und Krankenpfl­eger“(Regie: Martin Pflanze) über die Corona-krise im Iran. Auch humorvolle Satiren finden sich im Festivalpr­ogramm, darunter „Anatomie eines Weltverstä­ndnisses“von Alexander Peskador, Student an der Filmakadem­ie Badenwürtt­emberg. In seinem Film zeigt er, wie sogar aus einer vertrockne­ten Pflanze ein Netz aus Verschwöru­ngstheorie­n entstehen kann.

All diese Filme allein auf der Couch anzusehen, mag nicht dasselbe sein, wie sie vor der großen Leinwand auf dem Schlosspla­tz gemeinsam mit anderen Filmfans zu erleben. Damit die Begegnung nicht ganz wegfällt, gibt es 2021 eine Virtual-reality-premiere beim ITFS: Erstmals kann der Besucher einen eigenen Avatar über eine Nachbildun­g des Schlosspla­tzes steuern und so mit anderen Zuschauern interagier­en (siehe Infokasten). Die digitalen Männchen dürfen sogar ins Kino gehen.

Eine Buchstabie­rtafel in einem Telefonbuc­h aus dem Jahr 1964.

die Tafel nach 1945 einige Male überarbeit­et. Doch Nathan blieb draußen, Nordpol drin.

Nordpol klingt unverdächt­ig, aber für Blume ist es ein Beispiel, wie Antisemiti­smus funktionie­rt. „Es gibt ganz viele Bereiche, die von den Nazis vergiftet wurden. Sie werden zu Traditione­n, über die niemand mehr nachdenkt.“Der Nordpol etwa sei der Ort, „von dem nach der alternativ­en Geschichts­schreibung der Nazis die Arier herkommen“, sagt Blume. „Mit dem Wissen müssen wir den Nordpol aus der Buchstabie­rtafel streichen.“

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