Zeit für einen Neustart
Liebe neue (alte) Landesregierung, ich weiß, ich bin an dieser Stelle vielleicht etwas spät dran. Immerhin wird der Koalitionsvertrag bereits heute mit großer Wahrscheinlichkeit auf Parteitagen von den Grünen und der CDU verabschiedet. Da aber sowieso noch fast alles unter einem Finanzierungsvorbehalt steht, kann ich vielleicht doch ein paar Wünsche für den Kreis Heidenheim loswerden. Das wird auch garantiert nicht so teuer wie Stuttgart 21 oder der Aufbau von ein paar hundert Stellen bei der Polizei.
Hier im Kreis Heidenheim sind die Menschen zumeist schwäbisch bescheiden. Man könnte aber auch sagen, im ländlichen Raum ist man schon einigen Kummer gewöhnt. Umso mehr haben sich hier alle gefreut, dass Sie sich die Digitalisierung wieder als wichtigen Punkt in den Koalitionsvertrag geschrieben haben. Ehrlicherweise stand der auch schon beim letzten Mal weit oben auf Ihrer Agenda. Richtig viel passiert ist bei uns in den vergangenen fünf Jahren aber leider nicht. Mein Lieblingsfunkloch zwischen dem Zanger Kreisel und Königsbronn bringt nach wie vor mein Handy zum Schweigen, und über das Thema zentrale Schulplattform hüllen wir mal lieber den Mantel des Schweigens.
Okay, das kann ich dann doch nicht. Nachdem die Plattform „ella“so grandios gescheitert war, gab es nun endlich eine Lösung, die zu funktionieren schien. Zugegeben, dahinter steckte Microsoft und keine hippe Eigenentwicklung. Zur Erleichterung des ein oder anderen Ministeriellen kam nun aber der Datenschutz um die Ecke und das Projekt steht vor seinem offiziellen Start schon wieder vor dem Aus. Anstatt also zeitnah alle Lehrer im Land mit einem eigenen E-mail-account auszustatten und beispielsweise eine zentrale Plattform für Videokonferenzen einzuführen, dürfen sich Eltern, Schüler und Lehrer mal wieder auf einen neuen Projektanlauf freuen. Man könnte sagen, wir stehen hier mittlerweile vor einem echten Generationenvorhaben. Mittlerweile dürften die ersten Kinder, bei deren Einschulung schon von dieser Plattform die Rede war, die Sekundarstufe 2 erreicht haben, mit großer Wahrscheinlichkeit werden sie auch noch ihren Abschluss machen können, bevor sich in diesem Bereich irgendetwas tun wird.
Vielleicht ist das Thema Digitalisierung in Stuttgart aber auch ganz anders gemeint. Die Finanzierungsvorbehalte für neue Lehrerstellen könnten doch auch so verstanden werden, dass wir eigentlich gar keine Schulen mehr brauchen. Das zeigen doch die guten Homeschooling-erfahrungen während der Pandemie. Das neue Motto könnte nun lauten: Tablets statt Lehrer, und finanzieren können wir das durch den Verkauf der Schulen. Überlegen Sie mal, welcher Wert hinter diesen tollen Immobilien steckt. Zumindest beim Hellenstein- und Schiller-gymnasium in Heidenheim geht es um beste Innenstadtlagen. Wohnen, wo einst Griechisch gepaukt wurde. Panta rhei, wusste schon Heraklit. Alles fließt, sagt der moderne Humanist dazu.
Prinzipiell gut ist auch die Idee, den öffentlichen Nahverkehr deutlich auszubauen. Künftig sollen alle Orte im Land von 5 Uhr morgens bis Mitternacht per ÖPNV erreichbar sein. Das wäre für Großkuchen oder Oggenhausen ein echter Fortschritt. Das Beste an dieser Idee ist aber aus Landessicht, dass für die Finanzierung zumindest zum Teil die Kommunen geradestehen sollen. Das dürfte die Oberbürgermeister und Bürgermeister im Kreis ganz besonders freuen, denn ihre Kassenlage ist ja von der Corona-pandemie vollkommen unberührt geblieben.
Auf der Wunschliste der Menschen hier stehen aber auch noch andere Punkte, die sich auf den ersten Blick gar nicht im Koalitionsvertrag finden. Wie wäre es denn beispielsweise, wenn das Sozialministerium bei der Krankenhausfinanzierung etwas engagierter vorgeht? Statt Betten auf dem Schlossberg zu kürzen, könnte man das Klinikum, das in der Pandemie gerade wieder seinen Wert zeigt, doch mit neuen Sparplänen verschonen. Gegen einen Plan „Zahlen statt Klatschen“hätte dort bestimmt niemand etwas einzuwenden.
So ganz ohne Altlasten kann die Landesregierung also nicht an den Neustart gehen. Da wir aber dank Hermann Hesse wissen, dass jedem Neuen ein Zauber innewohnt, dürften nun zumindest bei den meisten Kreisbewohnern die Erwartungen wachsen. Zumindest dafür hat der Koalitionsvertrag den Boden bereitet.