Kassen mit leeren Kassen
Nach einigen goldenen Jahren der Super-konjunktur geht den gesetzlichen Krankenversicherungen das Geld aus – und das liegt längst nicht nur an der Pandemie.
In Corona-zeiten wurden von den politisch Verantwortlichen Milliarden und Abermilliarden ausgegeben, um die Folgen der Pandemie abzumildern. Woran alle Deutschen noch lange tragen werden. Ein Bereich, der sich aber erst nach der Pandemie so richtig zum Sanierungsfall entwickeln und viel Geld kosten dürfte, sind die gesetzlichen Krankenkassen. Nach den goldenen Jahren der Super-konjunktur, die den Kassen einen Beitragsrekord nach dem anderen bescherte, häufen sie nun wieder Verluste an. Nach 1,5 Milliarden Euro 2019 bereits
2,65 Milliarden 2020 – das höchste Minus seit 2003.
Für das erste Halbjahr
2021 sind bereits 1,9 Milliarden vermerkt. Doris Pfeiffer, Vorstandschefin des Gkv-spitzenverbandes, der Dachorganisation aller 102 gesetzlichen Kassen, warnt für 2022 vor „großen finanziellen Herausforderungen“. Dabei hatte die Groko, um die Kassen nicht vollends im Regen stehen zu lassen, bereits beschlossen, 2022 sieben Milliarden aus Steuermitteln zur Verfügung zu stellen – und zwar zusätzlich zu den 14,5 Milliarden, die seit 2017 sowieso schon jährlich regulär als Steuerzuschuss fließen. Die Kassen aber fordern angesichts des zu erwartenden Finanzlochs weitere sieben Milliarden. Das wären dann stolze 28,5 Milliarden Steuerzuschuss allein für 2022.
Den Beschluss darüber hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf Eis gelegt, die Entscheidung solle Mitte Oktober fallen – also nach der Wahl, was die Kassen eigentlich verhindern wollten. Für den Vorsitzenden des Verbandes der Ersatzkassen, Uwe Klemens, wird die Entscheidung „unnötigerweise neuen politischen Kräfteverhältnissen mit ungewissem Ausgang“überlassen. Was zu steigenden Beiträgen bereits 2022 führen könne.
Sorgenkind Gesundheitswesen
Damit kehrt das Gesundheitswesen als Sorgenkind zurück. Massive Beitragserhöhungen stehen im Raum. Auch längst vergessen geglaubte Begriffe wie Kostendämpfungsgesetz dürften aus der Versenkung auftauchen – und für Schrecken sorgen. Weil bestimmte Leistungen nicht mehr von den Kassen übernommen werden. Genau das aber will die Politik eigenen Bekundungen nach eigentlich verhindern. Die Groko etwa hatte sich verpflichtet, die Sozialversicherungsbeiträge bei maximal 40 Prozent zu stabilisieren, was gerade noch so durch den bisherigen Steuerzuschuss gelungen ist. Und von Leistungskürzungen ist vor der Wahl schon gar nicht die Rede. Ganz im Gegenteil: Die Linke etwa verspricht, „vollumfänglich Medikamente, Brillen, Zahnersatz oder Physiotherapie“von den Kassen bezahlen lassen zu wollen. Die Grünen erwähnen zumindest die Erstattung von Brillen ausdrücklich. Was die Kosten weiter nach oben treiben würde.
Auch sonst ist die Misere längst nicht nur Corona mit den Pandemieausgaben und dem Konjunktureinbruch anzulasten. Dass viele Reformprojekte von Jens Spahn ins Geld gehen, hat zumeist so gar nichts mit Corona zu tun. Allein zwei davon, das Terminserviceund Versorgungsgesetz sowie das Pflegepersonal-stärkungsgesetz, sorgen nach Berechnungen der Kassen für jährliche Mehrausgaben von fünf Milliarden Euro.
Wie also soll mehr Geld in die Kassen kommen? SPD, Grüne und Linke wollen das Nebeneinander von gesetzlichen und privaten Kassen beenden und jedermann in die sogenannte Bürgerversicherung einzahlen lassen, also etwa auch Beamte, Selbstständige und Abgeordnete. Für die Grünen sollen die Beiträge dabei nicht nur auf Löhne und Gehälter, sondern auch auf Kapitaleinkommen anfallen. Die Linkspartei will zudem die Beitragsbemessungsgrenze abschaffen. Das ist der Betrag, bis zu dem der prozentuale Kassenbeitrag vollständig abgezogen wird, alles darüber ist beitragsfrei. Aktuell liegt diese Grenze bei monatlich 4837,50 Euro.
Gegen Einheitsversicherung
Ganz anders sehen das Union und Liberale. Bei der CDU/CSU ist von einem „Zusammenspiel von gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen“die Rede. „Eine Einheitsversicherung und Schritte dahin lehnen wir ab.“Dafür wird ein „dynamisierter Steuerzuschuss“in Aussicht gestellt. Die FDP will ebenfalls beide Versicherungsarten erhalten, allerdings den Wechsel zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung vereinfachen. Als einzige im Bundestag vertretene Partei hat die AFD die Idee, die Krankenversicherung mit der Pflegeversicherung zusammenzulegen.
Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hat ausgerechnet, dass bei einer Ausweitung der Regeln der gesetzlichen Krankenversicherung auf die gesamte Bevölkerung per Bürgerversicherung tatsächlich zunächst so viel Geld zusammenkäme, dass sich der Beitragssatz sogar um 0,8 bis 1,0 Prozentpunkte senken ließe. Was etwa daran liegt, dass Privatversicherte als einkommensstärker und gesünder gelten. Damit würden heute gesetzlich Versicherte entlastet und müssten nur noch 14,9 statt 15,9 Prozent entrichten.
Der Haken: Die zu erwartenden Ausgabensteigerungen würden nach sechs Jahren den Beitragssatz wieder auf das Ausgangsniveau ansteigen lassen – bei weiter steigender Tendenz. Weshalb für Studien-mitautor Jochen Pimpertz die Bürgerversicherung denn auch „kein Wundermittel“ist.