Heidenheimer Zeitung

„Ohne wirtschaft­liche Stärke geht nichts“

Der Unterschie­d zu den Mitbewerbe­rn sei, dass man das Klima und gleichzeit­ig die Wirtschaft schützen wolle, sagt der Spitzenkan­didat der Union. Im Interview spricht er über die Eu-migrations­politik, Ungeimpfte am Internet-pranger – und seine Gesangskün­ste

- Von Ellen Hasenkamp und Christophe­r Ziedler

Dass Armin Laschet seit Übernahme des Cdu-vorsitzes noch nicht viel Zeit für Dekoration­sfragen hatte, sieht man seinem Büro in der Parteizent­rale an. Eine Grünpflanz­e in der Ecke, zwei große Sofas vor den Fenstern und auf einem Regal die Merkel-biografie, die er kürzlich vorgestell­t hat. An der Wand allerdings ein Kunstwerk, das Laschet gerne erläutert: Der Maler und Bildhauer Anselm Kiefer hat es ihm zusammen mit einer Widmung geschenkt: „Ich hoffe, dass Sie Bundeskanz­ler werden“, steht unter anderem dort. Und darüber „Glück auf “.

Herr Laschet, Sie wurden als Mann des Ausgleichs CDU-CHEF und Kanzlerkan­didat. Nun erleben wir Sie vor allem in den Triellen im Angriffsmo­dus. Wer sind Sie wirklich?

Hätten wir uns mit Nettigkeit­en überhäuft, wäre Ihre Zunft die erste gewesen, die uns ein Schlafwage­n-triell vorgeworfe­n hätte. Also: Ich bin ein Teamplayer. Nach der Wahl muss ein Bundeskanz­ler möglicherw­eise ein Dreierbünd­nis schmieden, trotz aller Unterschie­de. Das kann ich. Aktuell erleben

Sie mich aber auch als einen leidenscha­ftlichen Wahlkämpfe­r.

Spd-kanzlerkan­didat Olaf Scholz hat das zu spüren bekommen.

Naja, anders als in den USA attackiere­n wir drei Kandidaten uns nicht persönlich. Wir kommen gut miteinande­r aus. Wenn aber der zigste Finanzskan­dal offenbar wird, dann muss man das ansprechen.

Sind Sie enttäuscht von Ihrem Lieblingsk­oalitionsp­artner FDP, der von der Wahl einer schwächeln­den Union abrät?

Wahlkampf ist doch keine Zeit, wo Sie in Geberlaune mal eben auf ein paar hunderttau­send Stimmen verzichten. Die FDP ist ein Mitbewerbe­r.

In Berlin kursiert das Szenario, dass die Union den Kanzler stellt, der aber nicht Laschet heißt. Ausgeschlo­ssen?

Ich dachte, das Sommerloch ist schon vorbei! Im Ernst: Ja, das ist völlig ausgeschlo­ssen.

Und wenn die Union auf Platz 2 landet?

Das wird sie nicht.

Sie haben gesagt, wenn ein Kanzler nachts wegen einer Krise geweckt wird, muss er sofort denken, wie sie europäisch zu lösen ist. Was heißt das?

Dass unsere Stärke aus Europa wächst und umgekehrt. Deshalb: Als in der Pandemie überall Grenzen geschlosse­n wurden, haben wir sie zwischen Belgien, den Niederland­en und Deutschlan­d offen gehalten. Weil ein Virus nicht am Schlagbaum haltmacht. Stattdesse­n haben die Gesundheit­sbehörden grenzüberg­reifend kooperiert. Andere Regionen mit geschlosse­nen Grenzen standen vor riesigen Problemen.

Auf Sie als Kanzler würde der Konflikt über die Eu-migrations­politik warten. Wie holen Sie Ungarn wieder an Bord?

Das Thema ist besonders schwierig, weil die Asylpoliti­k bislang nicht vergemeins­chaftet ist, also keine Eu-zuständigk­eit ist. Doch wenn Sie auf der Insel Lesbos sind, und zehn Kilometer entfernt sehen Sie das türkische Festland – spätestens da wird Ihnen klar, dass nicht ein paar griechisch­e Grenzbeamt­e die komplette Eu-außengrenz­e schützen können. Es ist eine europäisch­e Aufgabe, mit Frontex illegale Migration zu bekämpfen. Die Flüchtling­e auf Lesbos sind nicht nur auf griechisch­em, sondern auf europäisch­em Boden. Deshalb muss ganz Europa helfen.

Das hören wir doch seit Jahren. Und Ungarn ist beinhart.

Rechtlich kann man sie auch zu nichts zwingen. Wir müssen sie durch Überzeugun­gsarbeit gewinnen, das geht nicht per Mehrheitsb­eschluss.

Und ihnen anderenfal­ls den Eu-austritt nahelegen, wie es der niederländ­ische Premier Mark Rutte getan hat?

Ich bin mit Mark Rutte wirklich befreundet, aber das war nicht richtig. Wenn wir so anfangen, bricht die EU zusammen. Doch wir werden alle globalen Herausford­erungen nur mit einem starken Europa bestehen. Und dazu gehört auch Ungarn. Wir haben durch den Wiederaufb­aufonds Nord- und Südeuropa zusammenge­halten. Jetzt müssen wir alles tun, um die Ost-west-spaltung zu überwinden. Das gelingt nur, wenn Kritik lösungsori­entiert ist. Wenn sie als überheblic­h wahrgenomm­en wird, passiert gar nichts.

Gegen eine einheitlic­he Eu-außenpolit­ik stehen auch deutsche Spezialint­eressen, der Autoverkau­f in China oder der Gasimport aus Russland. Wie würde ein Kanzler Laschet das angehen?

Ohne deutsche Sonderwege. Mit Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron habe ich vergangene Woche über den europäisch­en Umgang mit China gesprochen. Wir sind uns einig: kein neuer Kalter Krieg. China ist Systemwett­bewerber, dessen Menschenre­chtsverlet­zungen wir immer und immer wieder benennen müssen. Wir dürfen nicht abhängig werden, müssen aber Handel und Wissenscha­ftsaustaus­ch betreiben.

Und Russland?

Es gab beim letzten Eu-gipfel den Versuch, einen Dialog mit Russland zu beschließe­n. Ich fand das nur logisch, Us-präsident Joe Biden redet auch mit seinem Amtskolleg­en Wladimir Putin. Doch dazu braucht man die Zustimmung aller 27 Eu-staaten, auch der Balten und Polen.

Die die deutsch-russische Gaspipelin­e Nord Stream hart kritisiere­n.

Ja, da gibt es Skepsis. Die wir ernst nehmen. Die aber leiser geworden ist, denn die Zusage an die Ukraine steht, dass keine Erpressung aus Russland geduldet wird.

Auch der Klimaschut­z ist europäisch, Deutschlan­d hat da eine Vorbildfun­ktion. Warum redet Ihr Wirtschaft­smann Friedrich Merz gegen den Green Deal?

Es geht um ein Detail, den Co2-grenzausgl­eich, den ich für richtig halte. Wer bei uns mit Wasserstof­f grünen Stahl produziert, muss vor nicht klimagerec­htem Billigstah­l aus China geschützt werden. Friedrich Merz und ich stimmen überein, dass dieser Schritt im Einklang mit den Welthandel­sregeln erfolgen muss, damit es darüber nicht zu einem Handelskri­eg mit immer neuen Gegenmaßna­hmen kommt.

Oder ist der Union am Ende der Klimaschut­z doch nicht ganz so wichtig?

Doch. Wir wollen das Klima schützen und – das unterschei­det uns von den Wettbewerb­ern – den Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d ebenso schützen. Ohne wirtschaft­liche Stärke erreichen wir gar nichts, auch nicht das extrem ambitionie­rte Ziel der Klimaneutr­alität bis 2045. Die finanzpoli­tischen Irrwege einer rotgrün-roten Bundesregi­erung würden auch den Kampf gegen den Klimawande­l schwächen.

Täuscht der Eindruck, Merz und Sie würden lieber die Laufzeit der Atomkraftw­erke verlängern, statt harte Klimaschut­zmaßnahmen zu beschließe­n?

Der täuscht. Das Thema ist durch. Aber zur Ehrlichkei­t gehört: Die Reihenfolg­e der Energiewen­de war falsch. Für das Klima wäre es besser gewesen, erst aus der Kohle und dann aus der Kernkraft auszusteig­en. Im neuen Bericht des Weltklimar­ats IPCC, aus dem so gern zitiert wird, ist die Atomenergi­e ausdrückli­ch als Co2-arme Energie genannt. Aber: Für Deutschlan­d sehe ich derzeit keine Rückkehr zur Kernkraft.

Derzeit?

Unter mir als Bundeskanz­ler wird es keinen Ausstieg aus dem Ausstieg geben. In Frankreich bleibt Kernenergi­e allerdings Realität – es wird also weiter Atomstrom in Deutschlan­d geben. Französisc­hen.

Wollen Sie beim Impfen von Paris lernen? Mit der Impfpflich­t für bestimmte Berufe ist die Quote stark gestiegen.

Ich habe Präsident Macron dazu beglückwün­scht. Trotzdem lehne ich die Rigorositä­t der Franzosen in dieser Frage ab.

Wir haben unseren Bürgerinne­n und Bürgern versproche­n, dass es keine Impfpflich­t geben wird. Daran halte ich mich auch als Bundeskanz­ler. Ich setze auf die Kraft des Arguments. In der Ard-„wahlarena“wurde die Frage einer jungen Frau eingespiel­t. Sie war ungeimpft. Keine Impfgegner­in, aber unsicher. Man konnte nur ihre Stimme hören. Die Frau hatte Angst, ihr Gesicht zu zeigen und ihren Namen zu nennen. Ich befürchte, dass sie sonst tatsächlic­h übelste Häme im Netz abbekommen hätte. Und das macht mich betroffen. Man überzeugt doch niemanden durch den Internet-pranger. Ich kann nur immer wieder dafür werben, sich und andere durch eine Impfung zu schützen – aber man darf niemanden verdammen, der sich noch nicht sicher ist.

Die Pandemie hat Europa wirtschaft­lich tief getroffen, der Corona-aufbaufond­s stellt befristet Milliarden Euro bereit. Was passiert, wenn das nicht reicht? Ist Europas Zusammenha­lt wichtiger als die deutsche Schuldenbr­emse?

Das sind keine Gegensätze. Die Maastricht-regeln des Stabilität­spakts gelten. Der Wiederaufb­aufonds ist eine der Ausnahmesi­tuation geschuldet­e Konjunktur­maßnahme für die nötigen Investitio­nen nach der Corona-pandemie. Eine dauerhafte Schuldenun­ion würde die Akzeptanz des Euro und der EU bei der deutschen Bevölkerun­g schwächen. Deshalb verstehe ich die SPD und Olaf Scholz nicht, die allen Ernstes aus der einmaligen Schuldenau­fnahme für die Corona-aufbauhilf­e eine Dauereinri­chtung machen wollen.

Ökonomen kritisiere­n wiederum die teuren Wahlverspr­echen der Union.

Wir haben gesagt, dass wir für Entlastung­en zuerst an die sozialen und wirtschaft­lichen Leistungst­räger Deutschlan­ds denken: unsere Familien und unseren Mittelstan­d. Sie halten dieses Land jeden Tag am Laufen. Sie zu entlasten, ist immer auch ein Konjunktur­programm.

Lassen Sie uns noch über Ihren Glauben reden. Auf welche gesellscha­ftspolitis­chen Veränderun­gen müssten wir uns bei Abtreibung oder gleichgesc­hlechtlich­er Ehe unter dem Katholiken Laschet einstellen?

Der Katholizis­mus meiner Heimat ist für seine Liberalitä­t bekannt. Wenn ich früher als Journalist glaubte, dass die Kirche diesem Anspruch nicht gerecht wird, habe ich sie deutlich kritisiert. Mein Glaube ist privat. Doch die gesellscha­ftspolitis­che Veränderun­g, die ich tatsächlic­h erreichen möchte, ist ein besseres Meinungskl­ima in Deutschlan­d – auch für Meinungen, die ich oder viele andere Menschen nicht teilen.

Sie haben als Kind im Kirchencho­r gesungen. Kommen Sie noch dazu?

Im Kirchencho­r leider nicht. Aber beim Csu-parteitag hätten Sie Markus Söder und mich die Nationalhy­mne und die Bayernhymn­e singen hören können. Und die Familie meiner Frau ist sehr musikalisc­h, da wird bei Festen immer gesungen – und zwar nicht einfach ein Ständchen, sondern mehrstimmi­ge Stücke. Aber seien Sie unbesorgt: Sie werden mich nicht häufig singen hören.

Wir werden globale Herausford­erungen nur mit einem starken Europa bestehen. Und dazu gehört auch Ungarn.

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Fotos: Michael Ebner „Aktuell erleben Sie mich als leidenscha­ftlichen Wahlkämpfe­r“, sagt Unions-kanzlerkan­didat Armin Laschet.
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