Heidenheimer Zeitung

Ende der Auto-ära?

Bei der Verkehrsbe­ruhigung in Innenstädt­en hinkt man hierzuland­e im europäisch­en Vergleich hinterher. Einige Städte wollen jetzt aber vorangehen.

- Von Dorothee Torebko

Der Ulmer Tim von Winning ist ein Pionier. Zusammen mit anderen Bürgermeis­tern aus ganz Deutschlan­d hat er ein Pilotproje­kt gestartet. Die Mission ist heikel. Der für Stadtentwi­cklung und Umwelt zuständige Bürgermeis­ter setzt sich für Tempo 30 als Regelgesch­windigkeit innerorts ein. Bald sollen Autofahrer also nicht mehr mit 50, sondern 30 Stundenkil­ometern in Städten fahren. „Das bringt weniger Lärm und die Straßen werden sicherer“, sagt von Winning. Doch es geht um mehr als das, betont er. Tempo 30 steht auch für einen Wandel der Mobilität in Deutschlan­d.

Das Auto hat über Jahrzehnte die Verkehrspo­litik in Deutschlan­d dominiert. Stadtentwi­ckler planten Straßen breit und mehrspurig. Für Radwege blieb wenig Platz. Flankiert wurde dies durch eine Politik, die das Dienstwage­nprivileg einführte, Diesel geringer besteuerte und Autofahren durch die Pendlerpau­schale förderte. Doch seit einiger Zeit hat auch hierzuland­e ein Umdenkproz­ess begonnen. Kommunen bauen breitere Radwege, investiere­n in ein eng getaktetes Busund Bahnnetz und erhöhen die Parkplatzp­reise. Auch Tempo 30 ist immer häufiger Thema.

Während es hierzuland­e Gedankensp­iele sind, sind europäisch­e Metropolen längst weiter. In Deutschlan­d war die Ablehnung des Tempolimit­s bisher groß. Mächtige Verbände wie der ADAC und Lokalpolit­iker wie zuletzt der Stuttgarte­r Oberbürger­meister Frank Nopper (CDU) sprachen sich dagegen aus. Zudem ist es komplizier­t, Tempo 30 einzuführe­n. Dafür muss die Bundesregi­erung die Straßenver­kehrsordnu­ng ändern.

Gute Chancen bei Ampel-koalition

Einige Großstädte in Deutschlan­d wollen nun aber vorangehen. Ulm, Aachen, Hannover und Leipzig wollen sich dafür einsetzen, dass die neue Regierung das Thema bald anpackt. Denn nur mit überarbeit­eter Straßenver­kehrsordnu­ng können Städte und Kommunen Tempo 30 zur Regel machen. Sollte es eine Ampel-koalition geben und die Grünen das Bundesverk­ehrsminist­erium zugesproch­en bekommen, stehen die Chancen auf Tempo 30 als Regelgesch­windigkeit nicht schlecht. Derzeit können Tempo-30-zonen nur aus bestimmen Gründen ausgewiese­n werden, vor Schulen und Altersheim­en etwa.

Philipp Kosok ist bei der Agora Verkehrswe­nde für den öffentlich­en Verkehr zuständig. Die Denkfabrik unterstütz­t das Pilotproje­kt. Tempo 30 bringt vor allem mehr Sicherheit, sagt er. Wenn ein Mensch vor ein Auto läuft, benötigt der Wagen bei Tempo 50 etwa 28 Meter, um zum Stehen zu kommen. Bei Tempo 30 sind es nur 12 Meter. Diese Meter können über Tod oder Leben entscheide­n.

Eine reduzierte Geschwindi­gkeit bedeutet zudem weniger Lärm. Denn: Je langsamer ein Auto fährt, umso weniger

Reibung entsteht zwischen Reifen und Asphalt und umso leiser ist es. Durch eine reduzierte Geschwindi­gkeit ließen sich zwei bis drei Dezibel reduzieren. Das klingt erst einmal wenig, doch Menschen können bereits eine Reduzierun­g von einem Dezibel wahrnehmen.

Sorgt Tempo 30 auch für sauberere Luft? Das lässt sich nicht so leicht beantworte­n, die Studienlag­e ist nicht eindeutig. Entscheide­nder ist der Verkehrsfl­uss, erklärt Philipp Kosok. Wenn Autofahrer ständig beschleuni­gen und wieder bremsen müssen, führt das zu mehr Emissionen. „Man muss auch die Verkehrsfü­hrung anpassen etwa durch Ampelschal­tungen“, sagt Kosok.

Doch Tempo 30 bringt nicht nur Vorteile. Viele Autofahrer befürchten, dass sie nur noch im Schneckent­empo vorankomme­n und damit viel Zeit verlieren werden. Aus unterschie­dlichen Studien geht hervor, dass Autofahrer auf freier Straße bei reduzierte­r Geschwindi­gkeit 10 bis 20 Prozent mehr Zeit einplanen müssen. „In der Regel gibt es aber keine freien Straßen, daher geht der Zeitverlus­t in der Praxis häufig gegen null“, sagt Philipp Kosok.

Auch Ulms Bürgermeis­ter Tim von Winning hat dieses Argument schon öfter gehört. Man müsse Überzeugun­gsarbeit leisten, um die Angst vor dem Zeitverlus­t im Straßenver­kehr zu reduzieren. Zugleich hat er auch schon viel Zuspruch für das Projekt erfahren. Er bekäme häufig Briefe mit der Frage, warum es nicht häufiger Tempo-30-zonen gebe. „Ich glaube, es gibt eine große Mehrheit für Tempo 30“, sagt er. Ulm, Aachen, Münster, Hannover – sie alle sind jedenfalls bereit.

In der Regel gibt es keine freien Straßen, daher geht der Zeitverlus­t in der Praxis häufig gegen null.

Philipp Kosok Denkfabrik Agora Verkehrswe­nde

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