Ende der Auto-ära?
Bei der Verkehrsberuhigung in Innenstädten hinkt man hierzulande im europäischen Vergleich hinterher. Einige Städte wollen jetzt aber vorangehen.
Der Ulmer Tim von Winning ist ein Pionier. Zusammen mit anderen Bürgermeistern aus ganz Deutschland hat er ein Pilotprojekt gestartet. Die Mission ist heikel. Der für Stadtentwicklung und Umwelt zuständige Bürgermeister setzt sich für Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts ein. Bald sollen Autofahrer also nicht mehr mit 50, sondern 30 Stundenkilometern in Städten fahren. „Das bringt weniger Lärm und die Straßen werden sicherer“, sagt von Winning. Doch es geht um mehr als das, betont er. Tempo 30 steht auch für einen Wandel der Mobilität in Deutschland.
Das Auto hat über Jahrzehnte die Verkehrspolitik in Deutschland dominiert. Stadtentwickler planten Straßen breit und mehrspurig. Für Radwege blieb wenig Platz. Flankiert wurde dies durch eine Politik, die das Dienstwagenprivileg einführte, Diesel geringer besteuerte und Autofahren durch die Pendlerpauschale förderte. Doch seit einiger Zeit hat auch hierzulande ein Umdenkprozess begonnen. Kommunen bauen breitere Radwege, investieren in ein eng getaktetes Busund Bahnnetz und erhöhen die Parkplatzpreise. Auch Tempo 30 ist immer häufiger Thema.
Während es hierzulande Gedankenspiele sind, sind europäische Metropolen längst weiter. In Deutschland war die Ablehnung des Tempolimits bisher groß. Mächtige Verbände wie der ADAC und Lokalpolitiker wie zuletzt der Stuttgarter Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) sprachen sich dagegen aus. Zudem ist es kompliziert, Tempo 30 einzuführen. Dafür muss die Bundesregierung die Straßenverkehrsordnung ändern.
Gute Chancen bei Ampel-koalition
Einige Großstädte in Deutschland wollen nun aber vorangehen. Ulm, Aachen, Hannover und Leipzig wollen sich dafür einsetzen, dass die neue Regierung das Thema bald anpackt. Denn nur mit überarbeiteter Straßenverkehrsordnung können Städte und Kommunen Tempo 30 zur Regel machen. Sollte es eine Ampel-koalition geben und die Grünen das Bundesverkehrsministerium zugesprochen bekommen, stehen die Chancen auf Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit nicht schlecht. Derzeit können Tempo-30-zonen nur aus bestimmen Gründen ausgewiesen werden, vor Schulen und Altersheimen etwa.
Philipp Kosok ist bei der Agora Verkehrswende für den öffentlichen Verkehr zuständig. Die Denkfabrik unterstützt das Pilotprojekt. Tempo 30 bringt vor allem mehr Sicherheit, sagt er. Wenn ein Mensch vor ein Auto läuft, benötigt der Wagen bei Tempo 50 etwa 28 Meter, um zum Stehen zu kommen. Bei Tempo 30 sind es nur 12 Meter. Diese Meter können über Tod oder Leben entscheiden.
Eine reduzierte Geschwindigkeit bedeutet zudem weniger Lärm. Denn: Je langsamer ein Auto fährt, umso weniger
Reibung entsteht zwischen Reifen und Asphalt und umso leiser ist es. Durch eine reduzierte Geschwindigkeit ließen sich zwei bis drei Dezibel reduzieren. Das klingt erst einmal wenig, doch Menschen können bereits eine Reduzierung von einem Dezibel wahrnehmen.
Sorgt Tempo 30 auch für sauberere Luft? Das lässt sich nicht so leicht beantworten, die Studienlage ist nicht eindeutig. Entscheidender ist der Verkehrsfluss, erklärt Philipp Kosok. Wenn Autofahrer ständig beschleunigen und wieder bremsen müssen, führt das zu mehr Emissionen. „Man muss auch die Verkehrsführung anpassen etwa durch Ampelschaltungen“, sagt Kosok.
Doch Tempo 30 bringt nicht nur Vorteile. Viele Autofahrer befürchten, dass sie nur noch im Schneckentempo vorankommen und damit viel Zeit verlieren werden. Aus unterschiedlichen Studien geht hervor, dass Autofahrer auf freier Straße bei reduzierter Geschwindigkeit 10 bis 20 Prozent mehr Zeit einplanen müssen. „In der Regel gibt es aber keine freien Straßen, daher geht der Zeitverlust in der Praxis häufig gegen null“, sagt Philipp Kosok.
Auch Ulms Bürgermeister Tim von Winning hat dieses Argument schon öfter gehört. Man müsse Überzeugungsarbeit leisten, um die Angst vor dem Zeitverlust im Straßenverkehr zu reduzieren. Zugleich hat er auch schon viel Zuspruch für das Projekt erfahren. Er bekäme häufig Briefe mit der Frage, warum es nicht häufiger Tempo-30-zonen gebe. „Ich glaube, es gibt eine große Mehrheit für Tempo 30“, sagt er. Ulm, Aachen, Münster, Hannover – sie alle sind jedenfalls bereit.
In der Regel gibt es keine freien Straßen, daher geht der Zeitverlust in der Praxis häufig gegen null.
Philipp Kosok Denkfabrik Agora Verkehrswende