„Ich will auf den Weihnachtsmarkt“
Seit kurzem wollen sich wieder mehr Menschen gegen Corona impfen lassen – manche zum ersten Mal. Woher kommt der Stimmungsumschwung? Und reichen die Angebote? Ein Besuch in Ostfildern.
Die erfahrenen Impfbus-jäger wissen inzwischen genau, wie der Hase läuft: Bereits um 11.15 Uhr stehen in Scharnhausen, einem Stadtteil von Ostfildern im Landkreis Esslingen, etwa 50 Menschen sauber aufgereiht um den Marktplatz herum. Sie warten bereitwillig im Kalten – nur um heute auch wirklich eine Corona-impfung zu bekommen. In 45 Minuten soll der umgebaute Linienbus, der aktuell als rollende Impfstation durch den Landkreis Esslingen tourt, in Scharnhausen auffahren.
Relativ weit vorne in der Schlange steht David Vester. Er will sich heute zum ersten Mal gegen das Coronavirus impfen lassen, am liebsten mit dem Impfstoff von Johnson&johnson, denn der wirkt bereits nach der ersten
Solange ich mich kostenlos testen lassen konnte, brauchte ich die Impfung nicht.
David Vester lässt sich zum ersten Mal impfen
Spritze. „Ich habe schon zwei Mal vor dem Impfbus gewartet und bin beide Male nicht mehr zum Zug gekommen“, erklärt der junge Mann. Heute geht er deswegen auf Nummer sicher und stellt sich frühzeitig in die Schlange.
Bisher habe er keine Notwendigkeit gesehen, sich impfen zu lassen: „Ich habe immer gedacht, solange ich mich auch kostenlos testen lassen kann, brauche ich die Impfung ja nicht.“Außerdem habe er bei vielen Kollegen teils starke Nebenwirkungen mitbekommen. Weil aber seit einiger Zeit Schluss ist mit den kostenlosen Tests und wegen der wahrscheinlich bald geltenden Alarmstufe, während der Ungeimpfte sogar einen PCR-TEST vorweisen müsste, hat sich Vester jetzt doch umentschieden. „Ich will dieses Jahr unbedingt wieder auf den Weihnachtsmarkt, ich liebe die Atmosphäre dort“, sagt der Mann aus Bad Boll im Kreis Göppingen.
Inzwischen ist der Impfbus auf dem Marktplatz angekommen. Mitarbeiter der Malteser, die das Angebot betreiben, stellen Stehtische auf und teilen Aufklärungsformulare aus, die die Impfwilligen ausfüllen müssen. Die Schlange vor dem Marktplatz ist inzwischen deutlich angewachsen und reicht schon gut 200 Meter die Hauptstraße entlang.
Etwas hinter David Vester warten Anila und Hamsa. Die Schülerin und ihr Klassenkamerad sind beide 19 Jahre alt und warten ebenfalls auf die Erstimpfung. Bisher war Anila immer zögerlich. „Ich wollte mich eigentlich gar nicht impfen lassen, weil ich gehört hatte, dass man dann keine Kinder mehr bekommen kann“, sagt die 19-Jährige. Eine Falschinformation, die vor allem unter jungen Frauen kursiert. Überzeugt, sich doch impfen zu lassen, hat die beiden Schüler ihr
Klassenlehrer, erzählen sie. Einen Termin beim Hausarzt hätte Hamsa erst im Dezember bekommen, das war ihm zu spät. „Ich will das jetzt schnell hinter mich bringen“, sagt er.
Keine Termine beim Hausarzt
Damit ist er in der Schlange vor dem Impfbus nicht allein. Die vorherrschende Haarfarbe ist hier grau, viele ältere Menschen sind gekommen und wollen sich eine Auffrischungsimpfung abholen. So auch eine 82-Jährige, die direkt vor dem Impfbus steht und eine Helferin fragt, wo sie sich anstellen müsse. „Ganz da hinten“, sagt die Helferin und zeigt auf das Ende der Schlange an der Hauptstraße. „Ich hätte nie gedacht, dass hier so viel los ist“, sagt die 82-Jährige, die beschließt, zu einer anderen Impfaktion zu gehen. Bei ihrem Hausarzt habe sie es auch probiert: „Der hat aber frühestens im Januar einen Termin, so lange will ich nicht warten.“
Nur eine halbe Stunde nach Beginn der Impfaktion geht eine Mitarbeiterin die Warteschlange entlang und erklärt gut 100 Menschen, dass die Zeit heute wohl nicht für ihre Impfung reichen werde. „Das ist schon traurig, dass wir so viele Menschen wegschicken müssen. Ich würde gerne alle impfen“, sagt sie.
Auf ihre Information reagiert nicht jeder in der Schlange entspannt. „Das ist doch zum Kotzen“, ruft ein Mann und läuft entnervt davon. Er habe sich extra zum zweiten Mal frei genommen – er wird aber wieder nicht geimpft. Andere Wartende versuchen zu diskutieren. „Der Ton wird seit einigen Tagen rauer“, sagt die Mitarbeiterin des Impfbusses, die ihren Namen nicht in der Zeitung sehen will. Es kämen immer mehr Menschen, der Zulauf sei nicht mehr zu bewältigen. „Ich würde mir wünschen, dass man wieder ein Impfzentrum öffnet“, sagt sie.
Nach zwei Stunden in Scharnhausen fährt der Impfbus weiter ins Nachbardorf. Auch dort werden wieder hunderte Menschen warten – zum Teil dieselben, die in Scharnhausen nicht zum Zug kamen und dann vielleicht weiter vorne in der Schlange stehen.