Liebe Schlangen,
Deutschland ist kein Paradies für Euch. Man muss hier lange nach Euch suchen, die ihr von der Art der Nattern und Vipern seid. Naturschützer befürchten sogar, dass Euer Fortbestand hierzulande gefährdet ist.
Da muss eben der Mensch etwas tun. Er steht nun an. Ein beliebter Ort ist eine Kasse. Sei es im Theater oder im Supermarkt, rasch bildet sich an der Kasse eine Schlange. Je länger sie wird, desto giftiger wird der Umgangston. Es reiben sich Schuppe an Schuppe und man hört ein vielfaches Zischen.
Im Sommer, wenn die Sonne scheint, nimmt es die Schlange mit mehr Gelassenheit. Sie ist ja ein wechselwarmes Tier, genießt deswegen die wärmenden Strahlen und freut sich schon, wenn sie sich jenseits der Kasse im Bad in ein frisches Becken schlängeln kann. Auch vor den Stadien ist die Schlange ein ruhiges Reptil. Sie schont ihre Kräfte, um dann in der Arena desto präsenter zu sein. Oftmals bewegt sich sie wie eine Welle durch das ganze Rund.
Mit den kalten Tagen vergeht dem Tier der Spaß. Gar nicht gut angekommen in der Welt der Schlangen sind die neuen mobilen Impfzentren, die jetzt aus dem Boden sprießen, nachdem die gut ausgestatteten stationären Impfzentren gerade geschlossen worden sind. Mag schon dieser Kurs schlangenhaft anmuten, die wartenden Schlangen draußen sind nun kalten Temperaturen und Nässe ausgesetzt. Das mögen sie nicht. Da werden sie giftig. Nun gibt es auch Gewohnheitsschlangen, die jahreszeitlichen Routinen folgen. Etwa bei Eis-ständen findet man von Frühjahr bis Herbst Schlangen zuhauf.
Auch die Post hält an ihren Schlangen fest. Da hat auch der Wandel vom volkseigenen Betrieb zur flotten Aktiengesellschaft nichts geändert. Wer Pakete abholen oder abgeben will, muss sich in der Schlange einreihen. Und wenn es auf Weihnachten zugeht, kann sich diese Schlange lange ziehen. Ist ja auch Advent, hört man da ein Raunen, die Zeit des Wartens eben und der Geduld. Nur, wenn sie reißt? Schlimm wär’s, hätten die Menschenschlangen auch noch Euren Biss. Aber Ihr lest ja das eh nicht.