Heidenheimer Zeitung

Klassiker, weiblich besetzt

- Jürgen Kanold

„Dem Mann kann geholfen werden“, heißt es in Friedrich Schillers ewig furiosem Schauspiel „Die Räuber“– und den Frauen auch, sagt, ungefähr, der Regisseur Michael Thalheimer. Denn der hat neulich am Hamburger Thalia Theater die „Räuber“nur mit Frauen inszeniert. Bis auf Franz Moor, der blieb die männliche Kanaille.

Endlich also müssen die Frauen mal nicht nur die leidenden, bürgerlich­en Seelen spielen, die an der Welt zugrunde gehen, weil Männer unsinnige Dinge tun? Ja, sagt Thalheimer. Eine schöne Pointe in Zeiten, in denen die Amazon Studios „Inklusions-richtlinie­n“herausgebe­n, wonach nur noch Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er engagiert werden sollen, deren Identität (etwa Geschlecht, Ethnizität, sexuelle Orientieru­ng, Behinderun­g) mit den Figuren, die sie spielen, übereinsti­mmt.

Schiller jedenfalls sezierte damals, 1781, als es noch keine Streaming-filme gab, das Wesen zweier verfeindet­er Brüder. Franz ist der Hässliche, der als Zweitgebor­ener vom Vater Geschmähte, der nach Allmacht giert. Und Karl der Idealist, der das Böse in Kauf nimmt, mit seiner Bande ebenfalls über Leichen geht. „Die Räuber“aber eins zu eins? Wenn er Schillers mit dem politische­n System unzufriede­ne junge Männer auf die Bühne bringe, erklärt Thalheimer, hätte er Angst, damit schnell bei bei Querdenker­n oder der AFD zu sein.

Und so retten die Frauen nun Schiller, aber vor allem den Regisseur – und dürfen am Thalia die (männliche) Sau rauslassen, ob sie es wollen oder nicht. Das ist nämlich die Realität in dieser viel beachteten Aufführung, die den Klassiker nicht gendert, sondern ihm emotional treu bleibt. Die weiblichen Räuber, von Karl Moor (Lisa Hagmeister) bis Schufterle oder Spiegelber­g, treten auch nur toxisch männlich auf: begießen sich aus Bierdosen, sudeln sich in Theaterblu­t – und schreien. Und schreien zwei Stunden lang.

Also in den Amazon Studios würden diese Räuber(innen) engagiert werden können. Die wahre Heldin in dieser Inszenieru­ng aber ist tatsächlic­h Janis Joplin selig, deren „Summertime“ohrenbetäu­bend vom

Band powert: „No, no, no, don’t you cry.“

 ?? Foto: Armin Smailovic ?? Räuberin Karl: Lisa Hagmeister im Hamburger Thalia Theater.
Foto: Armin Smailovic Räuberin Karl: Lisa Hagmeister im Hamburger Thalia Theater.

Newspapers in German

Newspapers from Germany