Putin stellt Europäer kalt
Der russische Präsident drängt bei den Gesprächen über den Truppenaufmarsch an der Ostgrenze des Landes die EU in die Zuschauerrolle. Sein Ansprechpartner auf Augenhöhe sind nur die USA.
Eine Woche vor dem Beginn der Verhandlungen zwischen Russland und den USA über den Ukraine-konflikt hat Wladimir Putin sein wichtigstes Ziel schon erreicht: Er redet mit dem Us-präsidenten auf Augenhöhe, so wie einst die Führer der Sowjetunion. Das Telefonat mit Joe Biden am Tag vor Silvester war bereits das zweite zu diesem Thema innerhalb von drei Wochen. Am kommenden Montag starten die Verhandlungen beider Delegationen in Genf, am Mittwoch kommt die Nato dran, am Donnerstag die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Aber wo sind die beiden, die von einer Eskalation des Konflikts am ehesten betroffen wären – die Ukraine und die EU?
Die Antwort ist so banal wie traurig: Putin hat sie elegant kaltgestellt. Der Aufbau des Drohpotenzials zehntausender russischer Soldaten nahe der ukrainischen Grenze zwang Us-präsident Joe Biden dazu, direkt mit Putin zu reden, um einen Krieg zu verhindern. Zwar versicherte Biden erst am Sonntagabend seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenski die Mitsprache, und natürlich ist die Ukraine Mitglied in der OSZE – allerdings als einer von 57 Staaten. Letztlich verweigert Putin aber sowohl der Ukraine als auch der EU oder dem sogenannten Normandie-quartett, bestehend aus Russland, Ukraine, Deutschland und Frankreich, direkte Verhandlungen.
Pikiert über das Diktat
Der Eu-außenbeauftragte Josep Borrell schäumte. „Wir wollen und dürfen keine unbeteiligten Zuschauer sein, über deren Köpfe hinweg entschieden wird“, erklärte er kurz vor dem Jahreswechsel in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“. Es dürfe „kein Jalta 2 geben“. In diesem Abkommen hatten nach dem zweiten Weltkrieg die USA und die Sowjetunion ihre Einflusszonen aufgeteilt.
Russlands Präsident Wladimir Putin beharrt derweil auf seiner Forderung an die USA und die Nato nach „rechtlich bindenden
Sicherheitsgarantien“, die eine Osterweiterung der Nato – und damit eine mögliche Aufnahme der Ukraine – ausschließen sowie eine Stationierung von Angriffswaffen nahe der Grenze zu Russland. Mit Argwohn wurde in Moskau registriert, dass Washington nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr 450 Millionen Dollar (396 Millionen Euro) zur Unterstützung der ukrainischen Sicherheit ausgegeben hat, etwa für Abwehrwaffen und Ausbilder. Auch der Eu-außenbeauftragte Borrell gab kürzlich 31 Millionen Euro zur Unterstützung der ukrainischen Armee frei.
Im Auswärtigen Amt von Annalena Baerbock (Grüne) ist man genauso wie Borrell pikiert über Putins Verhandlungsdiktat. „Das darf nicht zwischen Russland und den USA bilateral weiterlaufen. Osteuropa vertraut uns da“, heißt es von hochrangiger Stelle in Berlin unter Verweis auf Staaten wie
Polen, Estland, Lettland und Litauen, bei denen die russische Annexion der Krim Sorgen ausgelöst hatte. Allerdings ist noch unklar, wie das geschehen könnte. Ein direktes Treffen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit Putin, wie es nach Medienberichten noch für Januar ins Auge gefasst wird, könnte neue Gelegenheiten schaffen – aber gleichzeitig eine einheitliche
Eu-linie untergraben. In Bezug auf die Inbetriebnahme der Erdgas-pipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland durch die Ostsee vertritt Scholz nämlich bislang keine nachdrückliche Sanktionsdrohung, wie sie von anderen Eu-staaten gefordert wird.
Eine strategisch souveräne EU müsse sich unabhängiger von russischem Gas machen, fordert der
Politikexperte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. „Die Energiebeziehungen sind keine ‚Brücke zu Russland‘, sondern ein Einflussinstrument der russischen Politik auf Deutschland und die EU“, betont er. „Alleingänge wie bei Nord Stream 2 sollte es zukünftig nicht geben.“
Ian Bremmer vom Us-politikinstitut Eurasiagroup sieht ein Ziel Putins darin, einen Keil zwischen EU und USA zu treiben. Es sei die Frage, ob die Europäer bei einem russischen Einmarsch in die Ukraine einen harten Kurs Washingtons mittragen würden – angesichts wirtschaftlicher Konsequenzen und des Erdgases als russisches Druckmittel. Sollte die transatlantische Einheit bröckeln, „dann wäre diese Episode ein peinliches Scheitern für die Biden-regierung und würde die Us-europa-beziehungen tief spalten“.