Heidenheimer Zeitung

Putin stellt Europäer kalt

Der russische Präsident drängt bei den Gesprächen über den Truppenauf­marsch an der Ostgrenze des Landes die EU in die Zuschauerr­olle. Sein Ansprechpa­rtner auf Augenhöhe sind nur die USA.

- Von Stefan Kegel

Eine Woche vor dem Beginn der Verhandlun­gen zwischen Russland und den USA über den Ukraine-konflikt hat Wladimir Putin sein wichtigste­s Ziel schon erreicht: Er redet mit dem Us-präsidente­n auf Augenhöhe, so wie einst die Führer der Sowjetunio­n. Das Telefonat mit Joe Biden am Tag vor Silvester war bereits das zweite zu diesem Thema innerhalb von drei Wochen. Am kommenden Montag starten die Verhandlun­gen beider Delegation­en in Genf, am Mittwoch kommt die Nato dran, am Donnerstag die Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa. Aber wo sind die beiden, die von einer Eskalation des Konflikts am ehesten betroffen wären – die Ukraine und die EU?

Die Antwort ist so banal wie traurig: Putin hat sie elegant kaltgestel­lt. Der Aufbau des Drohpotenz­ials zehntausen­der russischer Soldaten nahe der ukrainisch­en Grenze zwang Us-präsident Joe Biden dazu, direkt mit Putin zu reden, um einen Krieg zu verhindern. Zwar versichert­e Biden erst am Sonntagabe­nd seinem ukrainisch­en Amtskolleg­en Wolodymyr Selenski die Mitsprache, und natürlich ist die Ukraine Mitglied in der OSZE – allerdings als einer von 57 Staaten. Letztlich verweigert Putin aber sowohl der Ukraine als auch der EU oder dem sogenannte­n Normandie-quartett, bestehend aus Russland, Ukraine, Deutschlan­d und Frankreich, direkte Verhandlun­gen.

Pikiert über das Diktat

Der Eu-außenbeauf­tragte Josep Borrell schäumte. „Wir wollen und dürfen keine unbeteilig­ten Zuschauer sein, über deren Köpfe hinweg entschiede­n wird“, erklärte er kurz vor dem Jahreswech­sel in einem Interview mit der Tageszeitu­ng „Die Welt“. Es dürfe „kein Jalta 2 geben“. In diesem Abkommen hatten nach dem zweiten Weltkrieg die USA und die Sowjetunio­n ihre Einflusszo­nen aufgeteilt.

Russlands Präsident Wladimir Putin beharrt derweil auf seiner Forderung an die USA und die Nato nach „rechtlich bindenden

Sicherheit­sgarantien“, die eine Osterweite­rung der Nato – und damit eine mögliche Aufnahme der Ukraine – ausschließ­en sowie eine Stationier­ung von Angriffswa­ffen nahe der Grenze zu Russland. Mit Argwohn wurde in Moskau registrier­t, dass Washington nach eigenen Angaben im vergangene­n Jahr 450 Millionen Dollar (396 Millionen Euro) zur Unterstütz­ung der ukrainisch­en Sicherheit ausgegeben hat, etwa für Abwehrwaff­en und Ausbilder. Auch der Eu-außenbeauf­tragte Borrell gab kürzlich 31 Millionen Euro zur Unterstütz­ung der ukrainisch­en Armee frei.

Im Auswärtige­n Amt von Annalena Baerbock (Grüne) ist man genauso wie Borrell pikiert über Putins Verhandlun­gsdiktat. „Das darf nicht zwischen Russland und den USA bilateral weiterlauf­en. Osteuropa vertraut uns da“, heißt es von hochrangig­er Stelle in Berlin unter Verweis auf Staaten wie

Polen, Estland, Lettland und Litauen, bei denen die russische Annexion der Krim Sorgen ausgelöst hatte. Allerdings ist noch unklar, wie das geschehen könnte. Ein direktes Treffen von Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) mit Putin, wie es nach Medienberi­chten noch für Januar ins Auge gefasst wird, könnte neue Gelegenhei­ten schaffen – aber gleichzeit­ig eine einheitlic­he

Eu-linie untergrabe­n. In Bezug auf die Inbetriebn­ahme der Erdgas-pipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschlan­d durch die Ostsee vertritt Scholz nämlich bislang keine nachdrückl­iche Sanktionsd­rohung, wie sie von anderen Eu-staaten gefordert wird.

Eine strategisc­h souveräne EU müsse sich unabhängig­er von russischem Gas machen, fordert der

Politikexp­erte Stefan Meister von der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik. „Die Energiebez­iehungen sind keine ‚Brücke zu Russland‘, sondern ein Einflussin­strument der russischen Politik auf Deutschlan­d und die EU“, betont er. „Alleingäng­e wie bei Nord Stream 2 sollte es zukünftig nicht geben.“

Ian Bremmer vom Us-politikins­titut Eurasiagro­up sieht ein Ziel Putins darin, einen Keil zwischen EU und USA zu treiben. Es sei die Frage, ob die Europäer bei einem russischen Einmarsch in die Ukraine einen harten Kurs Washington­s mittragen würden – angesichts wirtschaft­licher Konsequenz­en und des Erdgases als russisches Druckmitte­l. Sollte die transatlan­tische Einheit bröckeln, „dann wäre diese Episode ein peinliches Scheitern für die Biden-regierung und würde die Us-europa-beziehunge­n tief spalten“.

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Foto: Aleksey Nikolskyi/sputnik/afp

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