72 Ideen, um Grenzen zu überwinden
Chemnitz bereitet sich akribisch auf 2025 vor. Mit hohem politischem Anspruch.
Chemnitz. Unter dem Eindruck rechtsextremer Ausschreitungen haben Einheimische ihre Kulturhauptstadt-bewerbung gezimmert und sich im Herbst 2020 gegen starke Konkurrenz durchgesetzt. Ein Kernanliegen ist, die „stille Mitte“der Gesellschaft zu aktivieren. Kann das funktionieren? Der Unmut über die Corona-maßnahmen gibt derzeit wieder Rechtsextremen in Sachsen Auftrieb, die Woche für Woche für illegale Aufzüge trommeln. Und mancherorts bricht sich wieder Gewalt Bahn. Dass sich Künstler davon abschrecken lassen, glaubt der Programmdirektor Stefan Schmidtke nicht. „Ich bin mir sicher, dass Kultur und die Auseinandersetzung mit Kultur hier einiges bewegen kann.“
100 Seiten hat das „Bid Book“, mit dem Chemnitz den Zuschlag für die Kulturhauptstadt Europas 2025 gewonnen hat – neben Nova Gorica in Slowenien. Von einer „Ideensammlung“spricht Schmidtke, der seit Anfang Dezember an der Spitze der Kulturhauptstadt Gmbh steht. „Der nächste Schritt ist, daraus ein belastbares Programm zu machen.“
Lob von der Eu-jury
72 Ideen enthalte das Buch, aus denen nun konkrete Projekte entstünden. Diese hätten Priorität, doch sei geplant, künftig noch einmal die Türen für weitere Vorschläge zu öffnen. Im Sommer 2023 soll der EU dann ein fertiges Programm vorgelegt werden. Erste Pflöcke wurden vergangenes Jahr eingeschlagen. Radsportler gaben mit einer Tour nach Prag einen Vorgeschmack auf den „European Peace Ride“, mit dem Sportkultur gefeiert werden soll. Im November wurde mit der Pflanzung erster Bäume das Großprojekt „We Parapom“gestartet: der Auftakt für eine Parade von bis zu 4000 Apfelbäumen quer durch die Stadt. Sie soll symbolisch Grenzen überwinden, Menschen zusammenbringen und den Umgang mit Umwelt und Lebensmitteln reflektieren.
Derweil ist der Kunstexperte Alexander Ochs unablässig rund um Chemnitz unterwegs, um den „Purple Path“zu entwickeln. Der Kunst- und Kulturpfad soll die Stadt mit dem Umland verbinden. Die Eu-jury lobte jüngst die Fortschritte und „den hohen Grad an Professionalität“des Chemnitzer Teams. Und mahnten mehr Tiefgang mit Blick auf den Umgang mit Menschen am rechten Rand der Gesellschaft an: Es müssten kreative Wege gefunden werden, sich mit Verbreitung von rechtem Gedankengut in Teilen der Bevölkerung auseinanderzusetzen, ohne diese Menschen auszuschließen. Schließlich will die Kulturhauptstadt 2025 nicht nur ein Projekt zur Stadtentwicklung sein, sondern hat sich die Gesellschaftsentwicklung auf die Fahnen geschrieben.