Heimat, eine Schlüsselfrage
Vom Dirndl bis zum Dortmund-schal: Das Haus der Geschichte in Bonn nähert sich mit rund 600 Exponaten einem unscharfen Begriff.
Auf Bundes- und Länderebene tragen Ministerien mitunter den Begriff „Heimat“im Titel. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat heißt etwa seit März 2018 das frühere Innenministerium in Berlin. Wie sich der Heimatbezug dort und anderswo in konkreter Politik äußert, weiß niemand so recht. Tatsache ist, dass der Begriff seit Jahren Konjunktur hat. Und es nicht nur Politikern schwer macht.
An dem Unterfangen, Heimat als Thema einer Museumspräsentation aufzubereiten, versucht sich das Haus der Geschichte in Bonn in einer neuen Ausstellung. Um es vorwegzunehmen: Daran, dass Heimat ein Begriff ist, der immer dann ins Unscharfe gerät, wenn man meint, ihn definiert zu haben, können auch die rund 600 Exponate kaum etwas ändern. Objekte und Texte, Fotos und Filme werfen Schlaglichter auf dieses vielschichtige Thema, bieten viele kleine und große Geschichten, die sich aber nicht zu einer stringenten Erzählung zusammenfassen lassen. Deshalb ist die Schau auch „Heimat. Eine Suche“überschrieben.
Begrüßt werden die Gäste von einer Säule mit Glasfächern, in denen zu sehen ist, wie wenig sich Sprache gegen Marketing-ideen wehren kann. Von der Türmatte bis zur Pralinenmischung, Heimat hat eben kein Widerspruchsrecht – nicht gegen den wahrscheinlich mächtig gesunden Tee „Melisse & Heimat“. Und auch nicht gegen den Borussia-dortmund-schal „Meine Heimat“, bei dem Heimat plötzlich zur Aktiengesellschaft wird. Der Begriff wird als Gegenentwurf zur zunehmend konfliktbeladenen Gegenwart scheinbar dringend benötigt. Man lernt: Er ist vielseitig anwendbar, ein Copyright darauf wird auch die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser nicht haben.
War im frühen 19. Jahrhundert Heimat noch weitgehend romantisch verklärt und dann zunehmend mit dem Wunsch nach einer gemeinsamen Nation und Sprache verbunden, so wurde sie im deutschen Kaiserreich gleichbedeutend mit dem Terminus Vaterland verwendet. Später nutzten die Nationalsozialisten Heimat zu Propagandazwecken und zur Ausgrenzung. An diesem Beispiel orientiert sich die aktuelle politische Rechte, abzulesen an einem Afd-slogan von 2017: „Heimat statt Multi-kulti“.
Der Hauptteil der Bonner Ausstellung, der sich dem Thema in der Zeit nach 1945 widmet, findet in fünf, kleinen Häusern nachempfundenen Kabinetten statt. Heimat wird dort aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. Zunächst wird der Aspekt lokaler und regionaler Zugehörigkeit angesprochen – mit touristischen Klischee-botschaften und Musik, von der Egerland-kapelle bis Rammstein. Politiker in beiden Teilen Deutschlands versuchten, mit Heimat zu punkten. „Volle Kanne Heimat“plakatierten die Grünen einst und zeigten eine Milchkanne, aus der Obst, Gemüse und eine Kuh(!) geschüttet werden. Sozialistisches Heimatbewusstsein gipfelte in der Parole „DDR – Unser Staat, unsere Heimat“.
Anschließend wird vom Schicksal der Flüchtlinge des Zweiten Weltkrieges und der in den 1990er-jahren aus Osteuropa Zugewanderten berichtet. Das Gipsmodell eines Paares mit Kind, das als Monumentalskulptur 1949 in der DDR an die Opfer von Flucht und Vertreibung erinnern sollte, ist ein Beispiel für das unerwünschte öffentliche Gedenken. Es durfte bis zur Wende nicht aufgestellt werden. Ein aufbewahrter Schlüsselbund symbolisiert dagegen die lebenslange Hoffnung auf Rückkehr in die Heimat, nach Schlesien. Weitere Schlüssel sieht man im letzten Häuschen, in dem von Menschen erzählt wird, die in unseren Tagen vor Krieg und Not geflohen sind. Sie gehören einer Kurdin aus Aleppo. Daneben hängt das Holzrelief eines Syrers, das die Flucht über das Mittelmeer zeigt, gerahmt von Teilen des Brandenburger Tores. Auch diese Menschen haben nicht nur im besten Fall eine neue Heimat, sondern immer auch eine frühere. Einer mit bunten Motiven aus der syrischen Heimat bemalten Türe aus einem Flüchtlingsheim steht ein verbrannter Fensterflügel aus dem 1992 von Rechtsradikalen angezündeten Haus einer türkischen Familie in Mölln gegenüber.
Das Schicksal jüdischer Bürger wird in einem eigenen Häuschen dokumentiert. Es handelt vom jüdischen Alltag in der Heimat Deutschland, von dessen Bedrohung durch Hass und Terror, aber auch durch Mobbing. Selbst Heimat als Gefühl regionaler Verwurzelung kann gefährdet sein. So fallen beispielsweise dem Braunkohletagebau in Ost und West immer noch ganze Dörfer zum Opfer, inklusive denkmalgeschützter Kirchen.
„Schutzschild runternehmen“
Und weil Betroffene mehr verraten als jedes Objekt, haben sie in jedem der fünf Bonner Häuschen ihre Auftritte. Was auch deutlich macht, dass Heimat vorrangig eine persönliche Kategorie ist und erst danach, aber nicht zwangsläufig, eine politische. „Heimat ist für mich, wo ich mein Schutzschild runternehmen darf“, sagt Shanon Bobinger, die als Kind mit ugandisch-ruandischen Wurzeln nach Deutschland kam. 18 Menschen aus Deutschland kommen in dieser biografischen Spur zu Wort.
Aus der Ausstellung nimmt man die Einsicht mit, dass das Heimischwerden die eigentliche Herausforderung darstellt. Um dies zu erleichtern, sind alle gefragt – nicht zuletzt diejenigen, deren neue Heimat ein immaterieller Ort ist: das World Wide Web.