Ethikrat kritisiert Pläne zur Sterbehilfe
Die Debatte um Suizid und Sterbehilfe ist aus Sicht der Vorsitzenden Alena Buyx verengt. Es gehe nicht nur um körperlich kranke oder sehr alte Menschen.
Berlin. Im Oktober will der Bundestag über eine Neuregelung der Sterbehilfe entscheiden. Doch die Gesetzentwürfe, die verhandelt werden, lassen aus Sicht der Deutschen Ethikrates zu wünschen übrig. „Wir sehen da noch Luft nach oben“, sagt dessen Vorsitzende, die Medizinethikerin Alena Buyx von der TU München. Aus diesem Grund hat der Ethikrat eine Stellungnahme zur Verantwortung und Prävention von Suiziden veröffentlicht: „Wir hoffen, dass diese noch aufgenommen wird.“
Speziell ein zentraler Aspekt im Umgang mit Suizid kommt dem Ethikrat zu kurz: die Freiverantwortlichkeit des Individuums. Was bedeutet das? Freiverantwortlichkeit setze voraus, dass das Maß an Selbstbestimmung ausreiche, um eine Entscheidung treffen zu können, die mit besonders hoher Verantwortung verbunden ist, erklärt das Ethikrat-mitglied Helmut Frister. Allerdings müssten die Anforderungen trotzdem realistisch bleiben und „nicht so hoch, dass sie Menschen faktisch das Selbstbestimmungsrecht über ihr Leben nehmen“. Beides müsse im Gesetz beachtet und in Ausgleich gebracht werden.
Staat darf nicht im Weg stehen
„Freiverantwortlichkeit nimmt in unserer Stellungnahme nicht umsonst ein dickes Kapitel ein“, sagt die Vorsitzende Buyx. „Dieses Thema sehen wir in dieser Ausführlichkeit und Differenziertheit in den Gesetzesentwürfen noch nicht vollumfänglich abgebildet.“Aus Sicht des Ethikrats ist klar: Staat und Gesellschaft haben nicht das Recht, bei der Verwirklichung von frei getroffenen Suizidentscheidungen im Weg zu stehen. Das gelte insbesondere nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe aus dem Februar 2020.
Dieses Urteil habe das Selbstbestimmungsrecht betont, wenn es um Beendigung des eigenen Lebens gehe. Wichtig ist für Buyx allerdings, dass „das nicht bedeutet, dass uns Suizide egal sein dürfen“. Die Debatte um das Thema Suizid und Sterbehilfe bezeichnet die Vorsitzende des Ethikrats als zu verengt. Das Verfassungsgericht habe ganz bewusst den Fokus breiter gefasst, nicht nur auf Menschen mit unheilbaren Krankheiten wie ALS geblickt. „Wir werden nur eine gute Regulierung erreichen können, wenn man die Diskussion nicht auf Spezial- und Einzelfälle verengt“, sagt Buyx.
Schätzungen von Experten gehen laut Buyx davon aus, dass zwischen 50 und 90 Prozent der suizidalen Krisen mit psychischen Erkrankungen zu tun haben – diese müssten nicht chronisch oder schwer sein. Allerdings, betont ihr Kollege Helmut Frister: „Psychische Krankheiten können die Selbstbestimmungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Aber nicht jede psychische Krankheit schließt die Fähigkeit zur Selbstbestimmung aus.“Auch das Selbstbestimmungsrecht psychisch kranker Personen müsse respektiert werden.