Was der Rechtsanspruch bedeutet
Bis zum Jahr 2030 soll jedes Grundschulkind in Deutschland Anspruch auf Ganztagsbetreuung haben. Kann das in Baden-württemberg funktionieren? Und mit was können Eltern rechnen?
Der massive Ausbau der Ganztagsbetreuung für Grundschüler gilt als eines der ambitioniertesten Bildungsprojekte Deutschlands der kommenden zehn Jahre. 2021 wurde die Einführung eines Rechtsanspruchs beschlossen, nun müssen Einrichtungen ausgebaut, Personal gewonnen und Gesetze geändert werden. Ein Blick auf die Lage im Land:
Worum geht es? Wenn Kinder in die Schule kommen, stehen berufstätige Eltern oft vor einer Betreuungslücke: Grundschule findet in der Regel halbtags statt, weitergehende Angebote sind vielerorts rar. Um die Lücke zu schließen und benachteiligte Kinder zu fördern, haben Bund und Länder beschlossen, ab 2026 schrittweise einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung einzuführen.
Was sieht der Rechtsanspruch vor? Den Anspruch haben Eltern gegenüber den örtlichen Jugendhilfe-trägern. Im Südwesten sind das meist die Kreise. Diese müssen Betreuung und Förderung in einer Ganztagsschule oder Tageseinrichtung ermöglichen. Eltern können nicht verlangen, dass der Anspruch in der Schule eingelöst wird. Gerade im ländlichen Raum bleibt abzuwarten, wie engmaschig das Betreuungsnetz geknüpft und der Anspruch „kurze Beine, kurze Wege“eingelöst wird.
Eingeführt wird der Anspruch schrittweise: ab 2026 für Erstklässler, dann jahrgangsweise aufwachsend. Ab August 2029 soll jedes Grundschulkind das Recht auf einen Platz haben. Eltern könnten, wie bereits jetzt im Kita-bereich, einen Platz einklagen, wenn ihr Kind keinen bekommt. Anbieter können von Eltern Gebühren verlangen. Verpflichtend ist das Angebot nicht.
Welchen Umfang soll die Betreuung haben? Der Anspruch umfasst – inklusive Schulunterricht – je acht Stunden von Montag bis Freitag, also 40 Stunden pro Woche. Der Anspruch gilt in gleichem Maß in Ferien, nur für vier Wochen pro Jahr kann das Land Schließzeiten regeln. Wann die im Südwesten liegen sollen, ist noch nicht geklärt.
Wie bereiten sich Kommunen vor? Viele bauen Betreuungsangebote aus oder planen das. Der Bund hat den Ländern bis zu 3,5 Milliarden Euro für Investitionen in Gebäude, Sachmittel und Infrastruktur zugesagt. Im ersten Schritt hätte Baden-württemberg 98 Millionen Euro bekommen können. Doch es gab vergleichsweise wenige Anträge: Bewilligt wurden nur 58 Millionen Euro. Geld, das nicht abgerufen wird, geht in künftige Fördertöpfe über, wird dann aber erneut gleichmäßig auf alle Länder verteilt. Dem Land drohen also Mittel zu entgehen. Gemeindetagspräsident Steffen Jäger moniert, die Förderprogramme seien schlecht aufgesetzt, Bund und Land müssten nachbessern.
Wie groß ist überhaupt der Bedarf? Bisher besucht laut verschiedenen Erhebungen rund die Hälfte der Grundschüler im Land ein Übermittags- oder Ganztagsangebot. Die Landesregierung rechnet damit, dass die Quote zu Beginn des Rechtsanspruchs auf bis zu 80 Prozent der berechtigten Kinder steigen könnte. Kommunale Anbieter erwarten, dass sie ihre Angebote erheblich ausbauen müssen: erstens, weil voraussichtlich mehr Kinder angemeldet werden und zweitens, weil die Betreuungszeiträume erweitert werden.
Woher soll das Personal kommen? Das ist der nächste Knackpunkt. Schon jetzt herrscht großer Fachkräftemangel im Bildungsbereich.
Wie viele zusätzliche Mitarbeiter benötigt werden, hängt von Umsetzungsvariante und Bedarf ab. Das Kultusministerium rechnet mit einem „zusätzlichen Bedarf von 15 000 bis 21 000 Personen“. Vorgesehen ist auch deshalb, dass nicht etwa nur ausgebildete Lehrer oder andere Pädagogen zum Einsatz kommen. Land und Kommunen wollen, dass auch Angebote kommunaler oder freier Träger wie Sportvereine oder Musikschulen möglich sein sollen. Deren Mitarbeiter müssten, außer einem polizeilichen Führungszeugnis, keine besondere Qualifikation aufweisen, sofern die Angebote unter Schulaufsicht stehen. Ob der Bund das und andere vom Land vorgesehene Regelungen mitmacht, ist unklar.
Was muss das Land noch tun? Bisher besuchen 80 Prozent der nachmittags betreuten Grundschulkinder kommunale Angebote, die nicht unter Aufsicht des Landes stehen oder eine sogenannte Betriebserlaubnis nach dem Sozialgesetzbuch haben. Dies ist aber künftig Voraussetzung für eine Bundesförderung, weshalb das Land das Schulgesetz ändert. Der Entwurf, der dieser Zeitung vorliegt, sieht vor, Betreuungsangebote kommunaler und freier Träger unter Schulaufsicht zu stellen. Die Aufgabe wahrnehmen sollen Schulämter und Regierungspräsidien. Außerdem erwarten die Kommunen mehr Geld vom Land, um ihre zusätzlichen Aufgaben zu bezahlen.