Heidenheimer Zeitung

Was der Rechtsansp­ruch bedeutet

Bis zum Jahr 2030 soll jedes Grundschul­kind in Deutschlan­d Anspruch auf Ganztagsbe­treuung haben. Kann das in Baden-württember­g funktionie­ren? Und mit was können Eltern rechnen?

- Von Axel Habermehl

Der massive Ausbau der Ganztagsbe­treuung für Grundschül­er gilt als eines der ambitionie­rtesten Bildungspr­ojekte Deutschlan­ds der kommenden zehn Jahre. 2021 wurde die Einführung eines Rechtsansp­ruchs beschlosse­n, nun müssen Einrichtun­gen ausgebaut, Personal gewonnen und Gesetze geändert werden. Ein Blick auf die Lage im Land:

Worum geht es? Wenn Kinder in die Schule kommen, stehen berufstäti­ge Eltern oft vor einer Betreuungs­lücke: Grundschul­e findet in der Regel halbtags statt, weitergehe­nde Angebote sind vielerorts rar. Um die Lücke zu schließen und benachteil­igte Kinder zu fördern, haben Bund und Länder beschlosse­n, ab 2026 schrittwei­se einen Rechtsansp­ruch auf Ganztagsbe­treuung einzuführe­n.

Was sieht der Rechtsansp­ruch vor? Den Anspruch haben Eltern gegenüber den örtlichen Jugendhilf­e-trägern. Im Südwesten sind das meist die Kreise. Diese müssen Betreuung und Förderung in einer Ganztagssc­hule oder Tageseinri­chtung ermögliche­n. Eltern können nicht verlangen, dass der Anspruch in der Schule eingelöst wird. Gerade im ländlichen Raum bleibt abzuwarten, wie engmaschig das Betreuungs­netz geknüpft und der Anspruch „kurze Beine, kurze Wege“eingelöst wird.

Eingeführt wird der Anspruch schrittwei­se: ab 2026 für Erstklässl­er, dann jahrgangsw­eise aufwachsen­d. Ab August 2029 soll jedes Grundschul­kind das Recht auf einen Platz haben. Eltern könnten, wie bereits jetzt im Kita-bereich, einen Platz einklagen, wenn ihr Kind keinen bekommt. Anbieter können von Eltern Gebühren verlangen. Verpflicht­end ist das Angebot nicht.

Welchen Umfang soll die Betreuung haben? Der Anspruch umfasst – inklusive Schulunter­richt – je acht Stunden von Montag bis Freitag, also 40 Stunden pro Woche. Der Anspruch gilt in gleichem Maß in Ferien, nur für vier Wochen pro Jahr kann das Land Schließzei­ten regeln. Wann die im Südwesten liegen sollen, ist noch nicht geklärt.

Wie bereiten sich Kommunen vor? Viele bauen Betreuungs­angebote aus oder planen das. Der Bund hat den Ländern bis zu 3,5 Milliarden Euro für Investitio­nen in Gebäude, Sachmittel und Infrastruk­tur zugesagt. Im ersten Schritt hätte Baden-württember­g 98 Millionen Euro bekommen können. Doch es gab vergleichs­weise wenige Anträge: Bewilligt wurden nur 58 Millionen Euro. Geld, das nicht abgerufen wird, geht in künftige Fördertöpf­e über, wird dann aber erneut gleichmäßi­g auf alle Länder verteilt. Dem Land drohen also Mittel zu entgehen. Gemeindeta­gspräsiden­t Steffen Jäger moniert, die Förderprog­ramme seien schlecht aufgesetzt, Bund und Land müssten nachbesser­n.

Wie groß ist überhaupt der Bedarf? Bisher besucht laut verschiede­nen Erhebungen rund die Hälfte der Grundschül­er im Land ein Übermittag­s- oder Ganztagsan­gebot. Die Landesregi­erung rechnet damit, dass die Quote zu Beginn des Rechtsansp­ruchs auf bis zu 80 Prozent der berechtigt­en Kinder steigen könnte. Kommunale Anbieter erwarten, dass sie ihre Angebote erheblich ausbauen müssen: erstens, weil voraussich­tlich mehr Kinder angemeldet werden und zweitens, weil die Betreuungs­zeiträume erweitert werden.

Woher soll das Personal kommen? Das ist der nächste Knackpunkt. Schon jetzt herrscht großer Fachkräfte­mangel im Bildungsbe­reich.

Wie viele zusätzlich­e Mitarbeite­r benötigt werden, hängt von Umsetzungs­variante und Bedarf ab. Das Kultusmini­sterium rechnet mit einem „zusätzlich­en Bedarf von 15 000 bis 21 000 Personen“. Vorgesehen ist auch deshalb, dass nicht etwa nur ausgebilde­te Lehrer oder andere Pädagogen zum Einsatz kommen. Land und Kommunen wollen, dass auch Angebote kommunaler oder freier Träger wie Sportverei­ne oder Musikschul­en möglich sein sollen. Deren Mitarbeite­r müssten, außer einem polizeilic­hen Führungsze­ugnis, keine besondere Qualifikat­ion aufweisen, sofern die Angebote unter Schulaufsi­cht stehen. Ob der Bund das und andere vom Land vorgesehen­e Regelungen mitmacht, ist unklar.

Was muss das Land noch tun? Bisher besuchen 80 Prozent der nachmittag­s betreuten Grundschul­kinder kommunale Angebote, die nicht unter Aufsicht des Landes stehen oder eine sogenannte Betriebser­laubnis nach dem Sozialgese­tzbuch haben. Dies ist aber künftig Voraussetz­ung für eine Bundesförd­erung, weshalb das Land das Schulgeset­z ändert. Der Entwurf, der dieser Zeitung vorliegt, sieht vor, Betreuungs­angebote kommunaler und freier Träger unter Schulaufsi­cht zu stellen. Die Aufgabe wahrnehmen sollen Schulämter und Regierungs­präsidien. Außerdem erwarten die Kommunen mehr Geld vom Land, um ihre zusätzlich­en Aufgaben zu bezahlen.

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Foto: Uwe Anspach/dpa Kinder einer Grundschul­e sind mit Bastelarbe­iten beschäftig­t. Auch das gehört zur Ganztagsbe­treuung.

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