Vom Verkäufer- zum Käufermarkt
Die Risiken für potenzielle Wohneigentümer sind momentan nicht leicht abzuschätzen. Drei Heidenheimer Immobilienmakler wagen einen Ausblick auf das Jahr 2023.
Die vergangenen Jahre waren am deutschen Immobilienmarkt geprägt von einer beinahe schon bizarr zu nennenden Situation: Die Nachfrage überstieg das Angebot bei Weitem. Die Sparzinsen dümpelten irgendwo bei null Prozent herum, und wer sein Geld auf dem Konto liegen hatte, betrieb – effektiv gesehen – Kapitalvernichtung. Wer es sich leisten konnte, trat deshalb die Flucht ins „Betongold“an, gehandelt wurde zu teils aberwitzigen Preisen, egal ob Neubau oder Bestandsimmobilie. Doch in den Markt ist in den zurückliegenden Monaten Bewegung gekommen. Was heißt das jetzt für Heidenheim?
Lage weniger angespannt
„Ich denke, dass wir die Auswirkungen, die wir allgemein in Deutschland auf dem Immobilienmarkt haben, im Landkreis Heidenheim nicht ganz so stark spüren werden“, prognostiziert Markus Schäferling vom Immobilienteam Engel und Völkers in Heidenheim. Der Grund seiner Meinung nach: Die Lage sei hier nicht ganz so überhitzt gewesen wie in manchen Großstädten. Er rechnet mit einer leicht sinkenden Nachfrage wegen der gestiegenen Zinsen, „das merken wir jetzt schon“, so Schäferling, ergänzt aber: „Allerdings haben wir für diejenigen, die suchen, deutlich größere Portfolio“. Man sei gerade auf dem Weg von einem Verkäufer- zu einem Käufermarkt.
„Es findet einfach gerade wenig Bewegung auf dem Markt statt“, beschreibt Günther Bosch, Büroleiter bei Remax Immobilien Heidenheim, die Lage am Markt für Gebrauchtimmobilien. Er hat zu mehreren Notaren Kontakt, und von denen habe er erfahren, dass man dort, wo man in früheren Jahren zehn Beurkundungen am
Tag bearbeitete, jetzt nur noch zwei hat. Ist eine geringere Nachfrage also gleichbedeutend mit sinkenden Preisen im Jahr 2023? „Das kann man nicht in einem Satz beantworten, da muss man differenzieren“, so Bosch. Das hänge von der Art und von der Lage der Immobilie ab, so der Makler.
Wohnungen nach wie vor gefragt
Schaue man sich zum Beispiel den Markt für Wohnungen in der Stadt Heidenheim an, dann gelangt Bosch zu der Einschätzung, dass diese „nach wie vor sehr gefragt sind, sofern sie nicht im dritten Obergeschoss ohne Aufzug sind. Also Wohnungen, die für Leute infrage kommen, die 50 Jahre und älter sind“. Solange die Wohnung die Anforderungen für ein barrierearmes Leben erfüllt, erwartet er kaum einen Nachfragerückgang für solche Objekte. „Wohnungen sind nach wie vor sehr stark gefragt“, bestätigt auch Markus Schäferling. Für dieses Segment ist die Nachfrage deutlich größer als das Angebot, das gilt auch für Wohnungen im Landkreis, auch wenn deren Zahl naturgemäß kleiner als in Heidenheim selbst ist.
Kein Preisverfall bei Wohnungen
„Spannend“nennt Waldemar Ohm, Makler bei Taubert Immobilien, die Lage am Heidenheimer Immobilienmarkt, wenn es um Wohnungen geht. Auch er sieht kein Einbrechen der Nachfrage nach solchen Objekten, er rechne demzufolge auch nicht mit einem Preisverfall. „Die Kunden, die sich im letzten Jahr ein Haus kaufen wollten und dieses Jahr aufwachen und feststellen, hoppla, ich kann mir gar kein Haus mehr leisten, müssen auf eine
Wohnung zurückgreifen.“Bei vielen bewirkt mittlerweile auch ein Blick auf die Kosten für Heizung und Warmwasser eine Änderung des Kaufwunsches, denn die seien ja „bei einer Wohnung niedriger als bei einem Haus“, so Ohm.
Die nicht nachlassende Nachfrage am Wohnungsmarkt habe aber noch mit einem weiteren Umstand zu tun, erläutert Günter Bosch von Remax. „Das sind Interessenten, die keine Finanzierung brauchen.“Das heißt, dieser Käuferschicht sind die momentan steigenden Zinsen relativ egal, da sie ihr Wohneigentum entweder komplett oder zumindest zu großen Teilen mit angespartem Geld bezahlen. Denn ob bar oder kreditfinanziert wird seit einiger Zeit wieder wichtiger: Konnte man noch vor Kurzem für Zinsen knapp über der Null-prozentmarke einen Wohnungskauf finanzieren, nähern sich die Zinsen mittlerweile stramm der VierProzent-schwelle oder haben diese mancherorts bereits überwunden. „Das spürt man natürlich deutlich“, so Günther Bosch. Die gestiegenen Zinsen seien vor allem auch ein Problem für junge Familien, erläutert Markus Schäferling
von Engel und Völkers.
Dass die Verteuerung des Geldes den Immobilienmarkt gehörig durchschüttelt, bestätigt auch Waldemar Ohm. „Durch die gestiegenen Zinsen können sich weniger Menschen eine Immobilie leisten.“Dieses Zinsniveau wird seiner Meinung nach dazu führen, „dass wir mehr Immobilien auf dem Markt haben werden“. Einen Preisverfall sieht er allerdings vor allem bei „qualitativen Immobilien“nicht. Was auch Markus Schäferling bestätigt: „Bei Immobilien jenseits der 800.000 Euro habe ich so gut wie gar keinen Preisverfall. Menschen, die vorher Geld hatten, die haben auch jetzt in der ,Krise‘ das Geld zur Verfügung, sich eine entsprechende Immobilie zu kaufen.“
Energetischer Standard wichtig
Bei neueren Häusern geht Waldemar Ohm von Taubert Immobilien davon aus, dass der Markt stabil bleiben wird, solange es bei Neubauten noch keinen Preisverfall gibt. Das gilt auch für Objekte mit hohem energetischen Standard, die Kunden achteten angesichts der stark gestiegenen Preise für Strom und Gas immer mehr auf die Betriebskosten ihres zukünftigen Heims, „der Energiewert des Hauses spielt immer häufiger eine Rolle“, so Ohm.
Banken wollen mehr Sicherheit
Blickt man auf das Segment „Einfamilienhäuser“im Stadtgebiet Heidenheim, hat Günter Bosch festgestellt, dass es vor allem bei hochwertigeren Objekten zwar einen Nachfragerückgang gegeben hat, das Angebot auf dem Markt allerdings trotzdem immer noch kleiner als die Nachfrage sei. Und was die Finanzierungsmodalitäten angeht, bemerkt er eine Verhaltensänderung bei den Banken: Habe man die Finanzierung einer Immobilie bis vor einiger Zeit noch in drei Tagen mit einem Bankhaus klären können, „dauert das jetzt plötzlich vier bis sechs Wochen. Die Banken wollen immer mehr Unterlagen und sie schicken fast immer einen Gutachter. Das war früher auch nicht immer der Fall. Die bremsen da schon deutlich.“
Trend zur Doppelhaushälfte
Bei Häusern in der Preisspanne zwischen 400.000 und 500.000 Euro habe der Markt zwar nachgegeben, „wird aber nicht mehr weiter runtergehen“, prognostiziert Bosch. „Die Zinsanstiege haben wir im Markt so langsam verarbeitet. Sie gehen vielleicht noch ein bisschen nach oben, werden aber nächstes Jahr mit Sicherheit wieder sinken“, so seine Einschätzung. Zudem bemerkt er einen Trend hin zu Doppelhaushälften. Die Ursache sind auch hier die steigenden Kosten. „Die Kunden, die noch bis 2021 bei uns für Einfamilienhäuser bis zu etwa 600.000 Euro vorgemerkt waren, stellen jetzt fest, dass sie das nicht mehr finanzieren können“, so Bosch. Und reagieren dementsprechend: Ein Reihenhaus ist nun einmal billiger als ein Einfamilienhaus.
Die Banken wollen immer mehr Unterlagen und sie schicken fast immer einen Gutachter. Günther Bosch Immobilienmakler
Viele Unsicherheitsfaktoren
Das Jahr 2023 könnte also so etwas wie ein „Übergangsjahr“werden, denn zu groß sind die Unwägbarkeiten für viele potenzielle Käufer und Verkäufer, was die Entwicklung der Inflation, der Zinsen und der Rohstoffpreise angeht. „Die Menschen sind vorsichtig, die warten gerade eher ein bisschen ab“, sagt Markus Schäferling. Günther Bosch sieht noch einen weiteren Unsicherheitsfaktor: den Krieg in der Ukraine. Je
nach Verlauf könnte der viele verunsichern und „sie verschieben den Immobilienerwerb. Aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Ich bin der Meinung, das kommt danach sehr geballt zurück, denn die Immobilienwünsche lösen sich nicht auf, die sind ja trotzdem bei den Menschen da. Die werden dann halt 2024 oder 2025 umgesetzt.“Er geht für diese Jahre von einer steigenden Nachfrage aus. Und auch von steigenden Preisen.