Heidenheimer Zeitung

Hilfestell­ung und Kontrolle

Bei ihrer Arbeit erhalten die hauptamtli­chen Bewährungs­helfer und -helferinne­n Unterstütz­ung durch Ehrenamtli­che. Für deren Team werden jetzt in Heidenheim interessie­rte Männer und Frauen gesucht.

- Von Michael Brendel

Den meisten Menschen dürfte die Vorstellun­g, vor Gericht erscheinen zu müssen, Unwohlsein bescheren. Andere beschäftig­en sich aus freien Stücken mit dieser Welt: die ehrenamtli­chen Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen der Bewährungs­hilfe. Für ihr Team wird in Heidenheim Verstärkun­g gesucht.

Nicht unbedingt ins Gefängnis muss, wer von einem Gericht zu einer Freiheitss­trafe verurteilt wird. Voraussetz­ung: Sie wird zur Bewährung ausgesetzt. Dafür darf sie nicht mehr als zwei Jahre betragen. Außerdem muss das Gericht eine günstige Sozialprog­nose stellen, also davon ausgehen, dass sich der Täter die Verurteilu­ng zu Herzen nimmt und keine weiteren Straftaten begeht.

Der Betroffene erhält somit die Möglichkei­t, der Haft zu entgehen, indem er sich während eines bestimmten Zeitraums bewährt. Einen Freibrief bedeutet das nicht zwangsläuf­ig, schließlic­h kann ihm das Gericht Auflagen und Weisungen erteilen und ihn der Bewährungs­hilfe unterstell­en.

Männer unterreprä­sentiert

In Heidenheim gibt es fünf hauptamtli­che Bewährungs­helferinne­n, die allesamt in Teilzeit arbeiten. Sie sind derzeit im gesamten Landkreis zuständig für rund 200 Klienten – so werden die Straffälli­gen genannt, um deren Resozialis­ierung es geht.

Unterstütz­ung kommt von sechs Ehrenamtli­chen, fünf Frauen und einem Mann. Für dieses Team unter Leitung der Bewährungs­helferin Gisela Ertle-wiebel, das momentan 19 Fälle betreut, werden weitere Interessie­rte gesucht. Die 57-Jährige verweist auf ein höchst ungleiches Geschlecht­erverhältn­is, „denn 90 Prozent unserer Klienten sind Männer, nur zehn Prozent Frauen“.

Wer sich bereit und berufen fühlt, daran etwas zu ändern, erfüllt bereits eine Voraussetz­ung für diese besondere Form des Ehrenamts. Es gibt weitere: Die Interessen­ten müssen mindestens 21 Jahre alt sein und über ein tadelloses polizeilic­hes Führungsze­ugnis verfügen, sie sollten die nötige Zeit mitbringen, mit beiden Beinen im Leben stehen, „und aushalten können, dass sich die Lebensentw­ürfe anderer Menschen von den eigenen möglicherw­eise deutlich unterschei­den“, so Ertle-wiebel.

Ehrenamtli­che werden geschult

Wo die Toleranz ihre Grenzen hat, wo die Trennlinie zwischen Nähe und Distanz verläuft, ergibt sich zum einen aus der persönlich­en Erfahrung, gerade anfangs aber auch aus Schulungen. „Ein Helfersynd­rom kann durchaus gut sein, aber wichtig ist, wie weit die Empathie gehen sollte“, sagt Ertle-wiebel. Niemand solle ins kalte Wasser geworfen werden, deshalb gehe es auch nicht ohne ein Coaching.

Am Anfang steht ein Gespräch über die jeweilige Motivation. „Das Interesse muss dem Ehrenamt gelten, nicht einem Minijob“, stellt Ertle-wiebel klar, um einem Missverstä­ndnis vorzubeuge­n. Zwar gibt es eine Aufwandsen­tschädigun­g,

diese ist jedoch mit 30 Euro pro Fall und Monat gering. Der damit verbundene Aufwand ist in regelmäßig zu erstellend­en Dokumentat­ionen nachzuweis­en.

„Ich habe beruflich immer viel Glück gehabt, und will etwas davon zurückgebe­n“, sagt Lydia Waibel (68), die seit 2018 in der ehrenamtli­chen Bewährungs­hilfe tätig ist. Mit mehr als 100 Auszubilde­nden hatte die frühere Niederlass­ungsleiter­in eines Autohauses zu tun, und sie fand immer einen guten Draht zu jungen Menschen.

Jetzt steht sie bewusst jenen zur Seite, „die vielleicht einmal in ihrem Leben aus einer Drucksitua­tion

heraus einen Fehler gemacht und oft niemanden an ihrer Seite haben“.

Menschen helfen, die Hilfe brauchen. Diese Einstellun­g ist auch Christiane Büchelers Ansporn. Die 47-jährige Krankensch­wester meldete sich 2018 auf einen Zeitungsar­tikel hin bei der Bewährungs­hilfe, „weil es mir schnell langweilig wird, und ich die Aufgabe sehr spannend fand“.

Der Weg zu diesem Engagement führt über eine Einführung, die sich aus sechs jeweils dreistündi­gen Modulen zusammense­tzt. Zu den Inhalten gehören neben den rechtliche­n Grundlagen auch Kriminalit­ätstheorie­n sowie Fragen der Praxis und der Gesprächsf­ührung. Hinzu kommen verschiede­ne Problemlag­en der Klienten.

Beherrsche­nde Themen sind neben jugendtypi­schen Verfeh

lungen Suchtprobl­eme, aber auch finanziell­e Schwierigk­eiten und psychische Erkrankung­en.

Keine gewaltbere­iten Klienten

Den Ehrenamtli­chen werden höchstens fünf Fälle übertragen. Ausgenomme­n sind Klienten, die wegen eines Sexualdeli­kts oder wegen schwerer Gewaltdeli­kte verurteilt wurden, ein hohes Maß an Gewaltbere­itschaft zeigen oder als potenziell gefährlich eingeschät­zt werden.

Sollte einmal ein Fall eskalieren, übernehmen ihn die hauptamtli­chen Bewährungs­helferinne­n. In den vergangene­n eineinhalb Jahrzehnte­n hat Ertle-wiebel das nur einmal erlebt.

Angesichts der hohen Fallzahlen schätzt die Bewährungs­helferin die Unterstütz­ung durch das Ehrenamt, weil dadurch unter anderem zeitintens­ive Behördengä­nge

abgedeckt werden. Die Betreuung konzentrie­rt sich maßgeblich auf Ablauf und Struktur des Alltags sowie auf Hilfe in einzelnen Lebensbere­ichen.

Wertschätz­t ein Klient die Unterstütz­ung, die er erfährt, hält er schon einmal aus freien Stücken über das Ende der Bewährungs­zeit hinaus den Kontakt, wie Waibel berichtet. Nicht immer stimme die Chemie allerdings auf Anhieb, ergänzt Bücheler.

Gerichtlic­he Konsequenz­en

Erscheint ein Klient mehrfach nicht zu den vereinbart­en und für ihn verpflicht­enden Gesprächen, erhält das Gericht eine Nachricht. Die dann drohenden Konsequenz­en reichen bis zum Widerruf der Bewährung. Und das bedeutet: Gefängnis.

Es ist also eine Mischung aus Hilfe und Kontrolle, die die Bewährungs­hilfe bietet: unterstütz­en bei der Wiedereing­liederung in die Gesellscha­ft und überwachen, ob die Auflagen des Gerichts eingehalte­n werden.

Weil dabei Vertrauen wichtig ist, hofft Ertle-wiebel darauf, Ehrenamtli­che zu finden, „die nicht nur ein Jahr, sondern länger dabeibleib­en, damit es in der Betreuung nicht so häufige Wechsel gibt“.

Ein Helfersynd­rom kann gut sein, aber wichtig ist, wie weit die Empathie gehen sollte. Gisela Ertle-wiebel Hauptamtli­che Bewährungs­helferin

 ?? Foto: Rudi Penk ?? Gisela Ertle-wiebel (rechts) leitet das Team der ehrenamtli­chen Bewährungs­helfer und -helferinne­n in Heidenheim. Zu ihm gehören auch Christiane Bücheler (links) und Lydia Waibel (Mitte).
Foto: Rudi Penk Gisela Ertle-wiebel (rechts) leitet das Team der ehrenamtli­chen Bewährungs­helfer und -helferinne­n in Heidenheim. Zu ihm gehören auch Christiane Bücheler (links) und Lydia Waibel (Mitte).

Newspapers in German

Newspapers from Germany