Zigaretten wieder in Mode
In Krisenzeiten wird mehr geraucht – vor allem unter jungen Menschen, die sich dem zunehmenden Druck nicht gewachsen fühlen. Experten plädieren für weniger Werbung.
Wenige Meter vom Schulgelände entfernt stehen sie, Jugendliche, in kleinen Grüppchen. Eine Hand in der Tasche, um sie vor der Kälte zu schützen, in der anderen eine Zigarette. Die berüchtigte Raucherecke. Ein Bild, das in den vergangenen Jahren immer seltener wurde. Jahrelang sanken die Zahlen der minderjährigen Raucher.
Jetzt, so scheint es, fangen wieder mehr junge Menschen an zu rauchen. Die Deutsche Befragung zum Rauchverhalten (DEBRA) ergab, dass sich die Anzahl der Raucher zwischen 14 und 17 Jahren im Jahr 2022 beinahe verdoppelt hat. Eine Umfrage der Kaufmännischen Krankenkasse deutete den Trend schon 2021 an. Experten sehen eine Vielzahl an Auslösern. „Die psychische Belastung der Jugendlichen hat unter dem Lockdown wesentlich zugenommen“, sagt Rainer Thomasius, Leiter des Suchtbereichs am Universitätsklinikum Hamburg. Auch Klimakrise und der Krieg könnten dazu beitragen. Menschen, die bedrückt sind oder Angst haben, greifen eher zur Zigarette, das sei hinreichend belegt. „Für den einen oder anderen ist die Zigarette in diesen Zeiten etwas, an dem man sich festhalten kann“, sagt Stefan Düll, Schulleiter und stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Philologenverbands.
Die Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen haben die Jugendlichen in ihre Familien gedrängt. Das Leben außerhalb des Elternhauses existierte lange Zeit kaum. „Abgrenzung gegenüber älteren Personen, wie auch Identitätsentwicklung, sind typisch für die Pubertät“, erklärt Thomasius. Dafür gab es in den Pandemiejahren deutlich weniger Möglichkeiten. Es könne sein, dass Zigaretten nun eine Art Symbol für den Protest und das Erwachsenwerden sind. Die Generation, die sich das Rauchen mühsam abgewöhnt hatte, muss ihren Kindern dabei zusehen, wie sie dieselben Fehler wieder machen.
Etwas, dass es zu Zeiten der Elterngeneration nicht gab, sind E-zigaretten, für Thomasius ein „ganz wesentlicher“Grund für den Anstieg. Studien aus den USA zeigen: Wer als Jugendlicher E-zigarette raucht, ist viermal so anfällig dafür, später zum Tabakraucher zu werden. „Süchte schlagen im jungen Alter sehr schnell durch“, sagt er. Deswegen und aus ökologischen Gründen gehören die Einweg E-zigaretten, die gerade unter jungen Menschen besonderen Aufwind erleben, für ihn verboten. Denn: „Wer, bis er 20 ist, gar keinen Kontakt zur Zigarette hat, hat eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit, noch abhängig zu werden.“
Die Schüler belohnen sich mit dem Rauchen für die „miese Zeit“, schätzt Schulleiter Düll. Er sagt, wenn man fragt, warum sie rauchen, antworten sie: „Es schmeckt, es geht um Geselligkeit, es ist cool.“Es scheint, als würde die Zigarette, die nach zwei Pandemiejahren nach Freiheit und Rebellion schmeckt, ihr lässiges Image zurückgewinnen. Was muss die Bundesregierung tun, um gegenzusteuern?
Thomasius ist der Meinung, Werbeverbote müssten flächendeckend noch weiter ausgebreitet werden, für Tabak- und für E-zigaretten. Außerdem müsse die Besteuerung angehoben werden, „um den Erwerb insbesondere für Jugendliche ziemlich unmöglich zu machen“. Suchtprävention und vor allem Ausstiegsprogramme, „die bei Jugendlichen bisher ganz schlechte Erfolgsquoten aufweisen“, sollen weiter gefördert und entwickelt werden.
Burkhard Blienert, Sucht- und Drogenbeauftragter der Bundesregierung, hält stärkere Eingrenzung der Werbung für wichtig, da sie „gerade von Jugendlichen stark wahrgenommen wird“. Über Verpackungsdesign und Steuererhöhungen müsse man „perspektivisch“reden. Eine höhere Tabaksteuer sei mit Blick auf Finanzminister Lindner und die Fdp-fraktion aber kein konfliktfreies Thema: „Sonst wäre es im Koalitionsvertrag drin gewesen.“Dort wurde nicht mehr festgehalten als das Werbeverbot, das schränkt die Möglichkeiten ein. Laut Gesetz steigt die Steuer bis 2027 jährlich ohnehin um durchschnittlich 8 Cent pro Packung.
Andere Länder sind restriktiver. In den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien werden Zigaretten nur noch in einheitlichen Schachteln ohne Markenlogo verkauft. In Neuseeland kostet eine Packung Zigaretten über 20 Euro. Zudem soll es dort Menschen, die 2009 oder später geboren wurden, untersagt werden, jemals Tabakprodukte zu kaufen. Fakten und Daten wie diese verarbeitet die Tobacco Control Scale zu einem Ranking, in dem 37 Länder anhand von acht Kriterien, wie Preis, rauchfreie Plätze und Werbeeinschränkungen, bewertet werden. „Neun Länder führen, fünf Länder enttäuschen immer noch“, steht da, neben der Tabelle. Eines der fünf Länder ist Deutschland, auf Platz 34.