Ein Messer in der Tasche wird teuer
Stuttgart ist die erste Stadt im Südwesten, die eine Waffenverbotszone einrichtet. Auch Schneidegeräte mit kleineren Klingen sind dort verboten. Anlasslose Kontrollen soll es aber nicht geben.
Monatelang wurde diskutiert und vorbereitet, Anfang Februar wird die neue Waffenverbotszone in der Stuttgarter Innenstadt nun Realität. In den betroffenen Gebieten ist das Mitführen von Messern ab einer Klingenlänge von vier Zentimetern und anderen Waffen dann an Wochenenden untersagt. Die Stadtspitze will so die öffentliche Sicherheit erhöhen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu der Neuerung:
Was ist der Hintergrund der Maßnahme?
Nach der Stuttgarter Krawallnacht im Juni 2020, als zahlreiche Randalierer Läden demolierten und Polizeikräfte verletzten, haben die Stadt Stuttgart und das Land eine Sicherheitspartnerschaft gegründet. Ziel ist es, das Sicherheitsgefühl der Menschen in der Landeshauptstadt zu verbessern. Viele Maßnahmen wurden bereits umgesetzt, darunter eine Videoüberwachung an zentralen Plätzen. Die Waffenverbotszone ist ein weiterer Teil des Gesamtpakets. Sie wird auch mit der Zahl an Vorkommnissen mit Messerbezug begründet: Im Zeitraum März 2021 bis März 2022 hat die Polizei in Stuttgart insgesamt 1048 Fälle erfasst, in denen Messer eine Rolle spielten, wobei auch Drohgebärden mitgezählt wurden. Mehr als 40 Prozent dieser Straftaten hätten sich in den Abend- und Nachtstunden des Wochenendes zugetragen, heißt es im Rathaus.
Auf welcher rechtlichen Grundlage basiert die neue Waffenverbotszone?
Der Stuttgarter Gemeinderat hat am 15. Dezember 2022 die Verordnung über das Verbot des Führens von Waffen und Messern in zwei Gebieten mit großer Mehrheit beschlossen. Gleichzeitig wurde festgelegt, nach eineinhalb Jahren zu prüfen, ob sich das Verbot bewährt, ob also die Zahl der Messerdelikte in den entsprechenden Arealen zurückgeht. Stuttgart ist die erste Stadt in Baden-württemberg, die eine solche Waffenverbotszone einrichtet. Im Alleingang war dies aber nicht möglich. Das Land musste erst mit einer eigenen Verordnung die Voraussetzung dafür schaffen, dass Kommunen auf dieses Mittel zurückgreifen können. Das Landeskabinett beschloss diese im September 2022. In anderen Städten der Republik, etwa Hamburg, Köln oder Leipzig, gibt es solche Verbotszonen schon länger.
Bestimmte Waffen darf man nach dem deutschen Waffengesetz zwar besitzen, aber im öffentlichen Raum nicht mitführen. Darunter fallen zum Beispiel Softairwaffen und Stoßwaffen wie Dolche und Degen, aber auch Messer mit feststehender Klinge, wenn die Klingenlänge zwölf Zentimeter überschreitet. Stuttgart hat nun auch kleinere Messer im Visier. Wie die Stadt auf Anfrage mitteilte, sind in den Verbotszonen bereits Messer mit einer
Welche Regeln gelten konkret?
feststehenden oder arretierbaren Klinge ab vier Zentimetern untersagt. Das gelte auch wenn die Klinge ausschwenk- und einklappbar ist. Beim Nachmessen sei die Wirksamkeit entscheidend, heißt es, also die Länge von der Klingenspitze bis zur vorderen Griffkante. Sogar ein Streichholz ist mit einer Schaftlänge von 4,3 Zentimeter größer. Aber auch andere Klingen-werkzeuge wie Sensen oder Baumscheren dürfen nicht mehr mitgeführt werden – und Elektroschocker. Geprüfte Reizstoffsprühgeräte fallen dagegen nicht unter das Verbot.
Wo und wann genau greift das Verbot?
Es sind zwei innerstädtische Gebiete betroffen (siehe Grafik). Eines umfasst das gesamte Gebiet zwischen dem Stuttgarter Hauptbahnhof und dem Rotebühlplatz in der Längsrichtung, und vom
Haus der Wirtschaft bis zur Staatsgalerie in der Querrichtung. Das zweite Gebiet ist der Stadtgarten rund um die Universitätsgebäude. Die Verbote gelten nicht durchgängig, sondern nur an den Wochenenden und unmittelbar vor Feiertagen, erstmals ab 3. Februar. Genauer: Von Freitagabend, 20 Uhr, bis Samstagmorgen, 6 Uhr, und dann wieder von Samstagabend, 20 Uhr, bis Sonntagmorgen, 6 Uhr. Außerdem am Abend und in der Nacht vor Feiertagen von 20 Uhr bis 6 Uhr.
Welche Hoffnung verbindet die Stadtspitze damit?
Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) betont auf Anfrage: „Wir werden mit einer Waffenverbotszone zwar nicht alle Messerdelikte verhindern können, wollen auf diesem Wege aber ihre Zahl wirksam reduzieren.“Er hofft vor allem auf
eine „stark präventive Wirkung“aufgrund der vergleichsweise hohen Geldbußen, die fällig werden, wenn jemand mit einem Messer erwischt wird.
Welche Konsequenzen drohen denn bei Verstößen?
Wer in der Zone unerlaubt ein Messer trägt, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Der Verordnung zufolge droht eine Geldbuße von mindestens 200 Euro, es können aber je nach den Umständen bis zu 10 000 Euro werden. Entdeckte Messer werden von der Polizei eingezogen. Ausnahmen gibt es zum Beispiel für Handwerker, Bauarbeiter, Mitarbeiter von Post- und Transportunternehmen oder andere Berufstätige, die ein Messer für ihre Arbeit benötigen.
Ist in den Verbotszonen mit vermehrten Kontrollen zu rechnen? „Nein, anlasslose Kontrollen wird es nicht geben“, betont ein Sprecher der Stadt. Es gehe darum, die Waffen im Rahmen der „üblichen Bestreifung“zu konfiszieren. Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Stuttgart bekräftigt auf Anfrage: „Es gibt keine speziellen Einsätze oder Kontrollen zum Thema Waffenverbot und es wird in der Stuttgarter Innenstadt deshalb auch nicht häufiger kontrolliert.“Die Sicherheitsbehörden seien weiterhin „routinemäßig auf Streife“.
Wie wird die Bevölkerung informiert?
Die Stadtverwaltung nutzt die normalen Wege der Öffentlichkeitsarbeit, auch über die sozialen Netzwerke. Zudem ist die Mobile Jugendarbeit Stuttgart einbezogen, die von den großen Kirchen und ihren Organisationen
getragen wird. „Wir versuchen, das Juristen-deutsch zu übersetzen, damit es jeder versteht“, sagt Simon Fregin, Sozialarbeiter von der Mobilen Jugendarbeit. Junge Menschen bräuchten schnell die Informationen, um Strafen zu verhindern. Dies sollte über „möglichst viele Informationswege“geschehen. Verteilt werden unter anderem Visitenkarten mit Qr-codes, um die Regeln im Internet abrufen zu können. Auch kleine Ton- und Videodateien wurden geschaffen. Sie lassen sich auf vox711.de abrufen, einer speziellen Seite für die Jugendarbeit in der Innenstadt.
Befürwortet die Jugendarbeit die Neuerung?
„Es gibt kein Recht der Bevölkerung auf Bewaffnung im öffentlichen Raum“, sagt Fregin. Wenn Messer eingezogen werden, habe man damit kein Problem. Der Sozialarbeiter mahnt aber, dass die Kontrolldichte nicht erhöht werden dürfe. Für junge Menschen, die mehrmals in Kontrollen geraten, obwohl sie unbewaffnet seien, wäre dies „ein Stressfaktor“. Dies könne zu Konflikten führen.
Der Gemeinderat hat beschlossen, dass die Waffenverbotszone zunächst für eineinhalb Jahre eingerichtet wird. Dann soll der Effekt überprüft werden, indem man etwa die Zahl der registrierten Messerdelikte in den Gebieten vor und nach Einrichtung der Zone vergleicht. Die Sicherheitsmaßnahme wird von Hochschulen wissenschaftlich begleitet werden. Auch die vom Land geschaffene Rechtsgrundlage gilt zunächst nur zwei Jahre.