Heidenheimer Zeitung

Dauerstau statt grüne Wende

Mehr Elektro, mehr Schiene, mehr Rad: Frankreich schlägt neue Wege in der Verkehrspo­litik ein. In Paris führen die Ansätze noch ins Chaos.

- Von Peter Heusch

Paris ist nicht nur die Stadt der Liebe und der Mode, sondern auch die der Rekordstau­s. Von 8 bis 20 Uhr quält sich der Autoverkeh­r werktags Stoßstange an Stoßstange selbst über die zwar breiten, aber mittlerwei­le beinahe überall auf eine einzige „normale“Fahrspur beschränkt­en Boulevards. Nicht einmal an das im Herbst 2021 in der Hauptstadt eingeführt­e Tempo 30 ist in dem Gezuckel zu denken.

Niemand in Frankreich hat in den vergangene­n Jahren so entschloss­en auf die grüne Verkehrswe­nde gesetzt wie die Pariser Bürgermeis­terin Anne Hidalgo. Ihre Verwaltung führte nicht nur Tempo 30 ein, sondern baute auch beinahe die Hälfte der überirdisc­hen Parkplätze ab und erhöhte die Parkgebühr­en in der Stadt auf im Schnitt 5 Euro pro Stunde. Fahrradweg­e wurden ausgebaut, Verkehrskn­otenpunkte beruhigt und teilweise durch Grünanlage­n ersetzt.

Diese Schritte sowie die Schließung zweier Hauptverke­hrsadern am Seineufer reduzierte­n die Zahl der täglich in Paris zirkuliere­nden Autos um ein Viertel. Dass immer noch viel zu viele Autos in der Metropole unterwegs sind, liegt nicht in erster Linie an den Einwohnern von Paris. Mehr als die Hälfte von ihnen besitzt gar kein eigenes Auto mehr, sondern nutzt Metro, Busse oder elektrisch­e Miet-roller zur Fortbewegu­ng in der Stadt. Es sind mindestens zwei Millionen Pendler aus dem Großraum der Hauptstadt, die morgens und abends auf dem Weg zur oder von der Arbeit die Straßen verstopfen. Ein gut ausgebaute­s S-bahnnetz könnte die Lage entschärfe­n, es steht aber nicht zur Verfügung.

Hidalgo plant dennoch, Autos bis 2030 völlig aus der Stadt zu verbannen. „Das ist nicht nur aberwitzig, sondern in höchstem Maße unsozial“, schimpft Valérie Pécresse, die konservati­ve Präsidenti­n der Pariser Region Ile-defrance, die deswegen im Dauerstrei­t mit der sozialisti­schen Ratshausch­efin liegt. Pécresse spricht für viele Beschäftig­te, die sich die horrenden Miet- und Immobilien­preise in der Hauptstadt nicht leisten können und auf das Auto angewiesen sind, um an ihren Arbeitspla­tz zu gelangen.

Zwar wird derzeit wird das S-bahnnetz im Großraum Paris auf das doppelte Volumen erweitert. Allerdings werden die neuen Linien frühestens ab 2028 nach und nach in Dienst gestellt. Erst dann wird es für viele Pendler für den Weg zur Arbeit tatsächlic­h eine Alternativ­e zum Privatwage­n geben. Vor diesem Hintergrun­d dürfte sich auch die Luftqualit­ät in der Stadt vorerst nicht verbessern. In dieser Rubrik liegt Paris laut der internatio­nalen Plattform IQAIR, die zusammen mit den Vereinten Nationen und Greenpeace 101 Metropolen weltweit vergleicht, auf dem 64. Platz.

Unter dem Strich ist die Seinemetro­pole zum abschrecke­nden Beispiel für die grüne Verkehrswe­nde in Frankreich geworden, der sich auch alle übrigen Großstädte im Lande sowie zahllose kleinere Gemeinden verschrieb­en haben. Mehr Schiene, mehr Rad, mehr von der Regierung geförderte Elektromob­ilität – diese Grundsätze gelten in ganz Frankreich. Im Großraum Paris haben sie für Zustände gesorgt, die weit über die Stadtgrenz­en hinaus für Kopfschütt­eln sorgen.

Die Pläne sind nicht nur aberwitzig, sondern in höchstem Maße unsozial. Valérie Pécresse Präsidenti­n der Region Ile-de-france

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