Heidenheimer Zeitung

Kampf um die Straße

Autos, E-scooter, Räder: Der Platz wird immer knapper. Was tut die Bundesregi­erung, um das Ziel von null Verkehrsto­ten zu erreichen?

- Von Tobias Hauser und Dorothee Torebko

Laut quietschen­de Bremsen, Hupen, ein Aufprall. Die Autoscheib­e zerbricht, die Stoßstange ist verbogen und der Radfahrer liegt am Boden: Viele haben solche Verkehrsun­fälle schon einmal miterlebt oder waren sogar selbst beteiligt. Radfahren in Städten ist lebensgefä­hrlich. 2021 starben 367 Menschen bei Verkehrsun­fällen unter Beteiligun­g von Radfahrern, 359 davon waren Radfahrer. Die Bundesregi­erung hat sich die Vision Zero zum Ziel gesetzt: Auf deutschen Straßen soll es keine Verkehrsto­ten mehr geben.

Das Ziel ist schwer zu erreichen – und es wird immer komplizier­ter. Denn seit Jahren steigt die Zahl der Radfahrer. Durch Pedelecs, den Ausbau von Radstreife­n in Städten sowie Fernradweg­e wird der Radverkehr immer schneller. Die Straßen bleiben aber gleich groß, weshalb Autound Radfahrer sich den knappen Raum teilen müssen. „Die Zahl der Radunfälle verändert sich dennoch seit Jahren kaum“, sagt der Leiter der Unfallfors­chung der Versichere­r (UDV), Siegfried Brockmann. Allerdings sehen Experten verschenkt­e Potenziale, was die Sicherheit im Straßenver­kehr angeht. Was muss passieren, um der Vision Zero so nahe wie möglich zu kommen?

Bevor man sich Lösungen anschaut, muss man die Ursachen kennen: Bei Unfällen zwischen Rad- und Autofahrer­n liege die Schuld in rund drei Viertel der Fälle bei den Pkw-fahrern, so Unfallfors­cher Brockmann. Die zwei häufigsten Quellen sind Abbiegeunf­älle und die Dooring-unfälle, bei denen Radler gegen unvorsicht­ig geöffnete Türen parkender Pkw prallen. „Die Schuld bei Dooring-unfällen ist zu einhundert

Prozent den Autofahrer­n zuzuschrei­ben“, sagt Brockmann. Ähnlich sieht er es bei Abbiegeunf­ällen: „Wer abbiegt, hat die Sorgfaltsp­flicht.“

Aber nicht immer sind Autofahrer schuld. Bei ungefähr jedem vierten Radunfall ist keine andere Partei beteiligt. Für solche Unfälle

gibt es viele Ursachen. Häufig hängt es mit der Infrastruk­tur zusammen. Das sieht auch Stephanie Krone, Sprecherin des Allgemeine­n Deutschen Fahrradclu­bs (ADFC), so. Radwege seien oft kaputt oder gar nicht existent. „Alles ist noch auf den Pkw ausgelegt – und die immer mehr und immer größer werdenden Autos nehmen allen anderen Verkehrsar­ten schlichtwe­g immer mehr Straßenrau­m weg. Das frustriert“, sagt Krone.

Die Lösung ist, Radfahrern mehr Raum im Straßenver­kehr zu geben. Doch das allein reicht nicht aus. Laut Brockmann sollte es auch vermehrt separate Grünphasen für Abbieger geben. So ließen sich Abbiegeunf­älle vermeiden. Außerdem müssten Sicherheit­strennstre­ifen von 75 Zentimeter­n zu parkenden Autos installier­t werden, um Karambolag­en mit aufgehende­n Türen zu verhindern. „Dass das nicht in einem viel schnellere­n und größeren Ausmaß passiert, erschließt sich mir überhaupt nicht“, kritisiert Brockmann.

Auf Bundeseben­e ist schon einiges passiert, um die Sicherheit für Radfahrer zu erhöhen. 2018 hat der Vorgänger von Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing (FDP), Andreas Scheuer (CSU), die „Aktion Abbiegeass­istent“gestartet. Mittlerwei­le sind elektronis­che Abbiegeass­istenzsyst­eme für neue Bus- und Lkw-typen verpflicht­end. Außerdem wurde zum Schutz von Radfahrern die Straßenver­kehrsordnu­ng geändert und Mindestübe­rholabstän­de und Schrittges­chwindigke­it beim Rechtsabbi­egen von Lkw eingeführt.

Doch da ist noch Luft nach oben, sind sich Experten einig. So hat sich die Ampel-koalition etwa dazu verpflicht­et, die Straßenver­kehrsordnu­ng einer Prüfung zu unterziehe­n. Konkrete Schritte, wie dabei auch die Sicherheit von schwächere­n Verkehrste­ilnehmern erhöht werden kann, gibt es bisher aber nicht. Bundesverk­ehrsminist­er Wissing wollte die Reform des Straßenver­kehrsgeset­zes bereits im vergangene­n Herbst bei einer der Verkehrsmi­nisterkonf­erenzen ausrufen, doch er kam nicht zum Zug. Der Grund: Es wurde vornehmlic­h über das Thema 9-Euro-ticket für den öffentlich­en Nahverkehr und dessen Nachfolger Deutschlan­dticket debattiert.

Dabei ist der Bedarf an Reformen groß. Eine Initiative von über 380 Städten und Kommunen fordert von der Bundesregi­erung das Recht ein, nach eigenem Ermessen ein flächendec­kendes Tempo 30 innerorts anordnen zu können. Dies würde die Sicherheit für Fußgänger und Radfahrer erhöhen. Unterstütz­ung bekommt die Initiative vom Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy. Er fordert von Verkehrsmi­nister Wissing, das Verkehrsre­cht entspreche­nd zu ändern: „Wir brauchen mehr Handlungsf­reiheit vor Ort, zum Beispiel für sichere Schulwege für unsere Kinder.“Wissing ist gegen eine Änderung und argumentie­rt damit, dass Städte vor Schulen, Kindergärt­en oder Altersheim­en bereits jetzt Tempo30-zonen einrichten könnten. Das stimmt. Allerdings ist der Verwaltung­saufwand dafür immens, zweitens sind die Vorgaben für Tempo-30-zonen eng gefasst.

Doch nicht nur das Recht muss an eine sich immer mehr ändernde Mobilitäts­welt angepasst werden. Es bedarf auch eines Kulturwand­els: „Der Radfahrunf­all hat sehr viel mit Verkehrsku­ltur zu tun. Mit fehlender Empathie und Rücksichtn­ahme auf andere“, sagt Brockmann. „Wir sollten allesamt in uns gehen und darüber nachdenken, dass unser Handeln dazu führen kann, andere Menschen zu verletzen.“Sicherheit von Radfahrern sei davon abhängig, dass man Verständni­s für sie aufbringe. Er sieht Radfahrlob­bys wie den ADFC in der Verantwort­ung, die Wogen zu glätten: „Es bringt nichts, wenn alle einfach in ihren sprichwört­lichen Schützengr­äben hocken bleiben.“

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Foto: ©connel_design/ adobe.stock.com Es wird eng, Konflikte sind unausweich­lich.

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