G9-antrag abgelehnt
Die Debatte um eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium läuft. Für einen schnellen Umstieg gibt es bisher keine Mehrheit. Doch selbst Grüne betonen inzwischen die Nachteile von G8.
Die Debatte um eine allgemeine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium entwickelt sich in Baden-württemberg immer mehr zum bildungspolitischen Topthema. Dass vergangenes Wochenende Cdu-landtagsfraktionschef Manuel Hagel bei einer Klausurtagung der Südwest-union das 2004 von einer schwarzgelben Regierung eingeführte G8 offen zur Disposition gestellt hat, setzt den Koalitionspartner, die Grünen, unter hohen Druck. Die Partei von Regierungschef Winfried Kretschmann verteidigt als einzige im Landtag G8.
Bei vielen Eltern ist das „Turbo-abi“unbeliebt. Das Bündnis „G9 jetzt“sammelt Unterschriften für einen Volksantrag. Neben der umstiegsbereiten CDU befürworten alle Oppositionsfraktionen – SPD, FDP und AFD – mit jeweils unterschiedlichen Vorstellungen eine Rückkehr zu G9.
Am Mittwoch lehnte zwar der Landtag mit Stimmen von Grünen, CDU und AFD einen Spdantrag auf Ermöglichung von Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ab. Doch die Debatte offenbarte die Wirkung des öffentlichen Drucks auf die Grünen.
Deren bildungspolitischer Sprecher Thomas Poreski erklärte direkt zu Beginn seiner Rede, dass die Koalitionsfraktionen die Frage „lösungsorientiert und ergebnisoffen“debattierten. Er hatte schon kürzlich in einem Interview Gesprächsbereitschaft über eine Verlängerung der gymnasialen Schulzeit signalisiert.
Poreski sprach von „enormer Arbeitsbelastung“der Schüler in den Klassen 6 bis 10, von „gigantischen Stoffmengen“, die Kompetenzbildung bei Schülern verhinderten und zu „Bulimie-lernen“führten. „Es bleibt zu wenig Raum für Vertiefung, wie sie für nachhaltigen Bildungserfolg entscheidend ist“, urteilte er über G8. „Wir befassen uns nicht mehr nur mit der Frage nach dem Ob, sondern auch mit einem möglichen Wie“, sagte Poreski.
Jedoch sei ein „Retro-g9 nicht die Lösung aller Probleme in der Bildung“. Auch würde eine Umstellung
hohe Kosten für zusätzliche Lehrer und Räume erzeugen und Ressourcen in den Gymnasien binden. Dabei müssten eigentlich die Grundschulen gestärkt, der Lehrermangel gemindert und soziale Ungerechtigkeiten im Bildungssystem bekämpft werden. Dies alles sei gefährdet, wenn große Kraftanstrengungen für eine erneute Gymnasialreform anstünden.
Auf solche bildungspolitischen Prioritäten schoss sich auch Sandra Boser ein. Die Kultus-staatssekretärin, die ihre verhinderte Ministerin Theresa Schopper (beide Grüne) vertrat, betonte, eine Reform hätte Auswirkungen auf andere Schularten. Doch auch sie sagte: „Wir werden uns dieser Debatte stellen.“
In Hintergrundgesprächen betonten grüne Strategen, natürlich spüre man den Gegenwind, stehe aber klar zu G8. Aus der Fraktion hört man zurückhaltendere Töne: „Natürlich bekommen Abgeordnete lokal Druck und natürlich ist auch bei uns ist nicht jeder begeistert von G9 und von der Aussicht auf einen Landtagswahlkampf über die Frage.“
Den kann die CDU entspannter angehen. „Mit einer Wahlmöglichkeit zwischen einem achtjährigen und einem neunjährigen Bildungsgang könnten wir den unterschiedlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten dieser Schülerinnen und Schüler besser gerecht werden“, sagte deren bildungspolitischer Sprecher Alexander Becker. Eine mögliche Reform müsse aber gründlich durchdacht sein, ließ sich er alle Optionen offen. Wahlfreiheit für Eltern an jedem Gymnasium forderte Spd-fraktionschef Andreas Stoch. „Es ist nicht ehrenrührig, einen Fehler zu korrigieren. Aber es wäre dumm, an einem Fehler festzuhalten“, sagte er. „Die Landesregierung muss zum Wohle der Kinder und Jugendlichen wieder G9 in der Regelform an unseren Gymnasien anbieten, und zwar an jedem Gymnasium“, sagte Timm Kern (FDP). Rainer Balzer (AFD) forderte „ein Gymnasium mit zwei Geschwindigkeiten“, denn die Mehrheit der Schüler komme mit G8 nicht klar.