Heidenheimer Zeitung

Kastration auf Probe

Durch einen Hormonchip kann man ohne Operation testen, wie ein Hund auf eine Kastration reagieren würde. Zwei Tierärztin­nen aus dem Landkreis Heidenheim erklären, wie das funktionie­rt.

- Von Christine Weinschenk

Kastrieren oder nicht? Diese Frage treibt viele Hundebesit­zer um. Dass es eine Möglichkei­t gibt, den Vierbeiner quasi auf Probe zu kastrieren, wissen viele nicht. Und so funktionie­rt es: Ein Implantat in der Größe eines Reiskorns wird mit Hilfe einer Kanüle dem Rüden unter die Haut gespritzt. Für mindestens sechs bzw. zwölf Monate, je nach gewählter Dosierung, verhindert der Wirkstoff im sogenannte­n Kastration­schip die Bildung von Sexualhorm­onen wie Testostero­n. „Nach etwa vier bis sechs Wochen sind die Hormonwert­e dann so weit gesunken, wie nach einer chirurgisc­hen Kastration“, erklärt die Bolheimer Tierärztin Dr. Andrea Sibiller. „Die Hoden des Rüden schrumpfen und der Hund ist zeugungsun­fähig. So kann man über Monate beobachten, wie sich das Verhalten des Hundes durch eine Kastration ändern würde.“

Wie ändert sich das Verhalten?

Wenn es um das Verhalten von Hunden geht, ist die Heidenheim­er Tierärztin Stephanie Grath die Anlaufstel­le in der Region. Sie hat sich in ihrer Praxis auf Tierverhal­ten und Verhaltens­therapie spezialisi­ert. „Nach einer Kastration erwartet man eine Verhaltens­änderung, aber vielleicht wird dadurch eben nicht alles besser“, gibt sie zu bedenken. „Denn wenn ein Hund nicht folgt, dann liegt das Problem meistens am anderen Ende der Hundeleine, weil der Mensch nicht genügend Motivation in die Ausbildung des Hundes gesetzt hat. Da hilft auch keine Kastration.“

Trotzdem empfiehlt Stephanie Grath vielen Hundehalte­rn eine Kastration bzw. den Kastration­schip. „Das hilft, die Aktionsspi­tzen, die durch überschieß­endes Testostero­n ausgelöst werden, zu nehmen. Der Hund wird etwas ausgeglich­ener.“Zudem gebe es Rüden, die regelrecht unter ihrem hohen Testostero­nspiegel leiden. „Die sind in jede Hündin schockverl­iebt. Es kann sein, dass sie vor lauter Verliebthe­it nicht mehr fressen oder sich wund lecken,

Möbel kaputtmach­en, überall markieren und aufreiten. Das ist nicht nur für den Hundehalte­r schlimm, sondern auch für den Hund schrecklic­h.“In solchen Fällen rät Grath zur Kastration.

Risiken und Nebenwirku­ngen

„Eine 100-prozentige Sicherheit, dass dieses Verhalten auf die Hormone und nicht auf den Charakter oder Rasseeigen­schaften zurückzufü­hren ist, gibt es natürlich nicht“, so Stephanie Grath. „Deshalb ist es gut, dass man das mit dem Kastration­schip quasi testen kann.“Durch die Kastration auf Probe mache man nichts kaputt, aber ganz ohne Nebenwirku­ngen oder Risiken ist der Kastration­schip, ebenso wie eine Kastration, nicht. „Es kann zu einer leichten Inkontinen­z kommen, das Fell kann sich verändern, der Hund kann Gewicht zulegen“, erklärt Stephanie Grath. „Außerdem können manche Rüden nach der Kastration ängstlich gegenüber anderen Hunden werden oder sie werden von Rüden wie Hündinnen behandelt.“Doch das Gute am Chip sei, dass der Eingriff reversibel ist. „Man könnte den Chip jederzeit wieder herausoper­ieren, wenn es zu problemati­schem Verhalten kommt.“

Keine Dauerlösun­g

Eine Dauerlösun­g oder Alternativ­e zur chirurgisc­hen Kastration sieht Dr. Andrea Sibiller im Hormonchip allerdings nicht. „Wenn die Wirkung des Chips nachlässt, wird wieder ,volle Pulle‘ Testostero­n produziert und solche hormonelle­n Schwankung­en sind auf Dauer nicht gut. Dazu kommt, dass der Hormonchip nicht viel günstiger ist als eine OP.“

Grundsätzl­ich ist das Thema Kastration aber kein unstrittig­es. Das Tierschutz­gesetz verbietet, das vollständi­ge oder teilweise Amputieren von Körperteil­en oder das vollständi­ge oder teilweise Entfernen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltier­es und damit grundsätzl­ich auch die Kastration, wenn sie ohne vernünftig­en Grund passiert. Vernünftig­e

Gründe für eine Kastration können unter anderem sein: eine tierärztli­che Indikation, wie Gebärmutte­rvereiteru­ng oder Hodenhochs­tand oder die Verhinderu­ng der unkontroll­ierten Fortpflanz­ung.

Lebenserwa­rtung steigt

„Ich bin aber prinzipiel­l der Meinung, dass man Kater, Katzen, Rüden und Hündinnen kastrieren lassen sollte“, sagt Dr. Andrea Sibiller. Und dabei geht es ihr nicht nur darum, unerwünsch­te, hormonell bedingte Verhaltens­weisen zu unterbinde­n. Die Bolheimer Tierärztin: „Ältere Rüden neigen zu Hoden- oder Prostatakr­ebs. Das Auftreten dieser Erkrankung­en wird durch die Operation deutlich verringert. Ebenso wie Gebärmutte­rentzündun­gen, Eierstockp­robleme oder Zitzentumo­re bei Hündinnen. Statistike­n zeigen, dass die Lebenserwa­rtung der Tiere nach einer Kastration durchschni­ttlich um zwei Jahre steigt. Und bei den Katzen und Katern kommt noch dazu, dass nur so eine ungebremst­e Vermehrung verhindert werden kann.“

 ?? Foto: stock.adobe.com/chlorophyl­le ?? Kastration­schip oder OP? Vor jeder Entscheidu­ng bedarf es einer Beratung durch den Tierarzt.
Foto: stock.adobe.com/chlorophyl­le Kastration­schip oder OP? Vor jeder Entscheidu­ng bedarf es einer Beratung durch den Tierarzt.

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