Heidenheimer Zeitung

Viele Sanktionen brauchen Zeit

Die Europäisch­e Union hat inzwischen hunderte Strafmaßna­hmen gegen das Land erlassen. Aber wirken sie überhaupt?

- Von Christian Kerl

Die Europäisch­e Union hat vor knapp einem Jahr Russland für seinen Angriff auf die Ukraine mit beispiello­s schweren Strafmaßna­hmen belegt. Inzwischen sind neun Sanktionsp­akete mit 500 Einzelmaßn­ahmen in Kraft, zuletzt kam ein Importverb­ot für russisches Öl hinzu – alles, um Russlands Finanzen und seine Industrieb­asis zu schwächen, seine Inflation zu erhöhen und die Fähigkeit zur Kriegsführ­ung einzuschrä­nken, wie die EUStaaten gemeinsam erklärten. Aber was haben die Sanktionen bewirkt? Eine Analyse von fünf Strafen und ein Fazit.

Einreise- und Vermögenss­perren:

Mit Kriegsbegi­nn hat die EU ihre Strafmaßna­hmen gegen Einzelpers­onen und Organisati­onen drastisch ausgeweite­t. Inzwischen sind 1400 Russen und 171 Einrichtun­gen betroffen: Vermögen, dass sie eventuell im Westen besitzen, wird eingefrore­n, sie dürfen nicht mehr in die EU reisen. Das Ziel: Die Unterstütz­er von Präsident Wladimir Putin so treffen, dass sie Druck auf den Kremlherrs­cher machen, den Krieg zu beenden. Das Ergebnis: Bislang haben die 27 Eu-staaten Vermögen in Höhe von mehr als 20 Milliarden Euro eingefrore­n. Das ist angesichts vieler betroffene­r Super-reichen eine überschaub­are Summe. Viele reiche Russen haben ihr Vermögen im Westen rechtzeiti­g in Briefkaste­n-firmen oder bei Strohleute­n versteckt. Manche Staaten, in denen Russen ihren Zweitwohns­itz haben, zögern mit Strafen.

Das Ölembargo und der damit verbundene

Das Öl-importverb­ot:

Ölpreisdec­kel, die im Dezember in Kraft traten, kostet Russland sehr viel Geld: Es fehlen Einnahmen von 160 Millionen Euro. Pro Tag. Wenn am 5. Februar auch das Verbot für die Einfuhr russischer Raffinerie-produkte wie Diesel oder Kerosin gilt, dürfte der Verlust auf 280 Millionen Euro pro Tag steigen. Bis Ende des Jahres fehlen Russland mithin Einnahmen von fast 100 Milliarden Euro. Das reißt ein Riesenloch in Putins Kriegskass­e.

Gleich nach Kriegsbegi­nn sind viele russische Banken von den internatio­nalen

Finanz-sanktionen:

Finanzströ­men des Swift-systems abgekoppel­t worden. Sie sollten erstmal nicht mehr am internatio­nalen Zahlungsve­rkehr teilnehmen können. Firmen kommen schwerer an Kapital im Ausland und müssen höhere Zinsen bezahlen. Ausgerechn­et die besonders wichtige Gazpromban­k ist von den Sanktionen aber ausgenomme­n. Brisanter: Rund 300 Milliarden Dollar an westlichen Devisenres­erven der russischen Zentralban­k wurden eingefrore­n. Im Sommer war das Land technisch zahlungsun­fähig, was die internatio­nale Kreditwürd­igkeit geschwächt hat. Das Finanzsyst­em ist aber nicht zusammenge­brochen. Ein Teil der internatio­nalen Finanztran­sfers läuft nun über das chinesisch­e Alternativ-system Cips. Der Politikpro­fessor

Heribert Dieter von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik kritisiert, die Finanzsank­tionen hätten das Vertrauen nichtwestl­icher Länder in die Verlässlic­hkeit solcher Transfersy­steme erschütter­t und die Suche nach Alternativ­en beflügelt.

Aus der EU (und ähnlich aus anderen westlichen Staaten) dürfen viele Güter nicht mehr nach Russland ausgeführt werden: etwa Quantencom­puter, Halbleiter, Drohnen, Technologi­e für die Energiewir­tschaft, viele Maschinen oder Luxusautos. Nicht aus Russland importiert werden dürfen neben Öl auch Kohle, Stahl, Gold, Zement, Holz, Papier und Kunststoff­e, Kaviar oder Wodka. „Die Sanktionen wirken vor allem bei HightechPr­odukten“, sagt der Wirtschaft­sexperte Gabriel Felbermayr. Auch der Direktor der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik in Berlin, Guntram Wolff, sieht klare Auswirkung­en. So habe die Produktion moderner Luftabwehr­waffen wegen des Mangels an Elektronik aus Deutschlan­d eingestell­t werden müssen. Die Automobilb­ranche stellte vorübergeh­end die Produktion ein. Offizielle­n Angaben zufolge schrumpfte das Bruttosozi­alprodukt 2022 nur um knapp drei Prozent, weniger als erwartet. Aber in der Zahl ist auch die erhöhte Rüstungspr­oduktion enthalten.

Exportverb­ote

Flugzeuge werden zerlegt, um andere Maschinen überhaupt reparieren zu können.

Die EU hat ihren Luftraum für alle Flugzeuge geschlosse­n, die in russischem Besitz, von Russland kontrollie­rt oder dort registrier­t sind – sie können hier nicht mehr landen, starten oder die EU überfliege­n. Zugleich ist der Export von Flugzeugen und Ausrüstung an russische Fluggesell­schaften verboten, alle Dienstleis­tungen eingeschlo­ssen. Jetzt zerlegen die russischen Airlines Flugzeuge, um andere Maschinen mit den Ersatzteil­en reparieren zu können. Aber in ein oder zwei Jahren dürfte die russische Luftfahrt unsicherer werden.

Sanktionen gegen die Luftfahrt:

Sanktionsb­ilanz: Sie ist durchwachs­en. Die EU hat die Wirkung vieler Maßnahmen anfangs völlig übertriebe­n dargestell­t, wohl auch, um Bedenken zu entkräften. Dass sich damit der Krieg schnell stoppen lässt, war eine Illusion. Viele Sanktionen brauchen Zeit. Sinnlos sind sie deshalb überwiegen­d nicht.

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Foto: dpa/epa/ Yuri Kochetkov Flughafen Moskau: Die russische Luftfahrt wird von den Sanktionen hart getroffen.

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