Viele Sanktionen brauchen Zeit
Die Europäische Union hat inzwischen hunderte Strafmaßnahmen gegen das Land erlassen. Aber wirken sie überhaupt?
Die Europäische Union hat vor knapp einem Jahr Russland für seinen Angriff auf die Ukraine mit beispiellos schweren Strafmaßnahmen belegt. Inzwischen sind neun Sanktionspakete mit 500 Einzelmaßnahmen in Kraft, zuletzt kam ein Importverbot für russisches Öl hinzu – alles, um Russlands Finanzen und seine Industriebasis zu schwächen, seine Inflation zu erhöhen und die Fähigkeit zur Kriegsführung einzuschränken, wie die EUStaaten gemeinsam erklärten. Aber was haben die Sanktionen bewirkt? Eine Analyse von fünf Strafen und ein Fazit.
Einreise- und Vermögenssperren:
Mit Kriegsbeginn hat die EU ihre Strafmaßnahmen gegen Einzelpersonen und Organisationen drastisch ausgeweitet. Inzwischen sind 1400 Russen und 171 Einrichtungen betroffen: Vermögen, dass sie eventuell im Westen besitzen, wird eingefroren, sie dürfen nicht mehr in die EU reisen. Das Ziel: Die Unterstützer von Präsident Wladimir Putin so treffen, dass sie Druck auf den Kremlherrscher machen, den Krieg zu beenden. Das Ergebnis: Bislang haben die 27 Eu-staaten Vermögen in Höhe von mehr als 20 Milliarden Euro eingefroren. Das ist angesichts vieler betroffener Super-reichen eine überschaubare Summe. Viele reiche Russen haben ihr Vermögen im Westen rechtzeitig in Briefkasten-firmen oder bei Strohleuten versteckt. Manche Staaten, in denen Russen ihren Zweitwohnsitz haben, zögern mit Strafen.
Das Ölembargo und der damit verbundene
Das Öl-importverbot:
Ölpreisdeckel, die im Dezember in Kraft traten, kostet Russland sehr viel Geld: Es fehlen Einnahmen von 160 Millionen Euro. Pro Tag. Wenn am 5. Februar auch das Verbot für die Einfuhr russischer Raffinerie-produkte wie Diesel oder Kerosin gilt, dürfte der Verlust auf 280 Millionen Euro pro Tag steigen. Bis Ende des Jahres fehlen Russland mithin Einnahmen von fast 100 Milliarden Euro. Das reißt ein Riesenloch in Putins Kriegskasse.
Gleich nach Kriegsbeginn sind viele russische Banken von den internationalen
Finanz-sanktionen:
Finanzströmen des Swift-systems abgekoppelt worden. Sie sollten erstmal nicht mehr am internationalen Zahlungsverkehr teilnehmen können. Firmen kommen schwerer an Kapital im Ausland und müssen höhere Zinsen bezahlen. Ausgerechnet die besonders wichtige Gazprombank ist von den Sanktionen aber ausgenommen. Brisanter: Rund 300 Milliarden Dollar an westlichen Devisenreserven der russischen Zentralbank wurden eingefroren. Im Sommer war das Land technisch zahlungsunfähig, was die internationale Kreditwürdigkeit geschwächt hat. Das Finanzsystem ist aber nicht zusammengebrochen. Ein Teil der internationalen Finanztransfers läuft nun über das chinesische Alternativ-system Cips. Der Politikprofessor
Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik kritisiert, die Finanzsanktionen hätten das Vertrauen nichtwestlicher Länder in die Verlässlichkeit solcher Transfersysteme erschüttert und die Suche nach Alternativen beflügelt.
Aus der EU (und ähnlich aus anderen westlichen Staaten) dürfen viele Güter nicht mehr nach Russland ausgeführt werden: etwa Quantencomputer, Halbleiter, Drohnen, Technologie für die Energiewirtschaft, viele Maschinen oder Luxusautos. Nicht aus Russland importiert werden dürfen neben Öl auch Kohle, Stahl, Gold, Zement, Holz, Papier und Kunststoffe, Kaviar oder Wodka. „Die Sanktionen wirken vor allem bei HightechProdukten“, sagt der Wirtschaftsexperte Gabriel Felbermayr. Auch der Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin, Guntram Wolff, sieht klare Auswirkungen. So habe die Produktion moderner Luftabwehrwaffen wegen des Mangels an Elektronik aus Deutschland eingestellt werden müssen. Die Automobilbranche stellte vorübergehend die Produktion ein. Offiziellen Angaben zufolge schrumpfte das Bruttosozialprodukt 2022 nur um knapp drei Prozent, weniger als erwartet. Aber in der Zahl ist auch die erhöhte Rüstungsproduktion enthalten.
Exportverbote
Flugzeuge werden zerlegt, um andere Maschinen überhaupt reparieren zu können.
Die EU hat ihren Luftraum für alle Flugzeuge geschlossen, die in russischem Besitz, von Russland kontrolliert oder dort registriert sind – sie können hier nicht mehr landen, starten oder die EU überfliegen. Zugleich ist der Export von Flugzeugen und Ausrüstung an russische Fluggesellschaften verboten, alle Dienstleistungen eingeschlossen. Jetzt zerlegen die russischen Airlines Flugzeuge, um andere Maschinen mit den Ersatzteilen reparieren zu können. Aber in ein oder zwei Jahren dürfte die russische Luftfahrt unsicherer werden.
Sanktionen gegen die Luftfahrt:
Sanktionsbilanz: Sie ist durchwachsen. Die EU hat die Wirkung vieler Maßnahmen anfangs völlig übertrieben dargestellt, wohl auch, um Bedenken zu entkräften. Dass sich damit der Krieg schnell stoppen lässt, war eine Illusion. Viele Sanktionen brauchen Zeit. Sinnlos sind sie deshalb überwiegend nicht.