Heidenheimer Zeitung

„Weder blitzartig noch entscheide­nd“

Der ukrainisch­e Experte Oleksyj Melnyk sieht Vor- und Nachteile, was die versproche­nen westlichen Panzer betrifft.

- Stefan Scholl

Oleksyj Melnyk (60) war früher Kampfflieg­er und Berater des ukrainisch­en Verteidigu­ngsministe­rs. Jetzt ist er ein führender Experte des Kiewer Rasumkow-zentrums für internatio­nale Sicherheit. Er erklärt die Bedeutung westlicher Kampfpanze­r für die bevorstehe­nden Militärope­rationen und das Risiko eines Atomschlag­es.

Der Westen will der Ukraine hunderte Panzer liefern. Aber das wird Monate dauern, die Abrams sollen aus den USA erst Ende des Jahres ankommen. Wird die ukrainisch­e Offensive sich verschiebe­n? Oleksyj Melnyk:

Ich würde den Zeitpunkt dieser Offensive nicht von den Panzerlief­erungen abhängig machen. Die Ukraine kann nicht elf Monate auf die Abrams warten. Russland will den Konflikt ganz offensicht­lich in die Länge ziehen. Die Ukraine aber kann es sich nicht erlauben, auf unbestimmt­e Zeit im Positionsk­rieg zu verharren. Es gibt zu viele Unbekannte, die die Unterstütz­ung für die Ukraine aus dem Westen sowie die eigene Widerstand­skraft infrage stellen können.

Ihre Generäle planen also noch nicht mit den Leopord- oder Abrams-panzern?

Doch. Unser Oberkomman­do kann nicht alle Kampfpanze­r, die ihm jetzt zur Verfügung stehen, in einen Angriff werfen. Aber wenn es heute weiß, dass es in den nächsten Monaten 30 bis 100 neue Panzer erhält, kann es mehr Reserven einsetzen.

Was bedeutet das Auftauchen der Nato-panzer auf dem Schlachtfe­ld?

Es gibt Vor- und Nachteile. Unsere Besatzunge­n kennen sich bestens mit den Sowjetpanz­ern aus, in denen sie jetzt kämpfen. Technologi­sch werden die Nato-panzer mit ihren modernen Kommunikat­ionssystem­en effektiver sein, dafür müssen unsere Panzersold­aten aber das nötige Training absolviert haben. Der Einsatz dieser Panzer wird keine blitzartig­e oder entscheide­nde Wirkung haben.

Das klingt pessimisti­sch.

Auch die Himars-raketensys­teme der USA haben das Kriegsgesc­hehen ja nicht auf den Kopf gestellt. Aber sie haben unseren Truppen ganz neue Möglichkei­ten zur Verteidigu­ng und zum Angriff gegeben. Und 100 zusätzlich­e Panzer hätten unserer Offensive im Gebiet Charkow deutlich mehr Breite oder Tiefe gegeben.

Im Westen fürchten viele, neue Waffen für die Ukraine bedeuteten neue Eskalation, bis hin zum Einsatz von Nuklearwaf­fen.

Das ist der Hauptdenkf­ehler unserer Partner seit Beginn des Krieges. Meiner Ansicht nach eskaliert Russland, sobald es die Möglichkei­t dazu hat, unabhängig von unseren Aktionen oder den Waffenlief­erungen unserer Partner. Der Einsatz von Atomwaffen ist sehr unwahrsche­inlich. Wenn Putin anfängt zu überlegen, ob er auf den roten Knopf drücken soll, wird das nichts mit der Lieferung westlicher Panzer oder Flugzeuge zu tun haben, sondern damit, wie sehr er sich physisch bedroht fühlt.

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Foto: Rasumkow-zentrum Experte Oleksyj Melnyk.

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