Nach dem ersten Schock
Nie wieder Hausaufgaben? „CHATGPT“hat das Potenzial, Schule und Unterricht zu verändern. Auch im Land stellen sich Lehrer darauf ein.
Der Hype um „CHATGPT“ist ungebrochen. Überall ist der auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Online-dienst Thema, der in Sekunden Fragen beantwortet und auf Befehl beeindruckende Texte jeder denkbaren Gattung zu kompliziertesten Themen ausspuckt. Faszination und Verunsicherung sind groß, vor allem an Wissensvermittlungs-institutionen wie Universitäten und Schulen. Manche Einrichtungen verbieten oder reglementieren die Nutzung. Lehrer und Dozenten fragen sich: Welche Chancen und Risiken bringt der Bot?
„Ich war geschockt“, sagte Florian Nuxoll über den Moment, als er vergangenen Sommer erstmals die Vorgängerversion „Playground“testete. Als der Tübinger Englischlehrer dann im Herbst seinen ersten „Prompt“ins Dialogfenster von CHATGPT tippte, hatte er gleich das nächste Ahaerlebnis.
„Hybride Lehrer-teams“
„Ich war überrascht, wie gut das System versteht, was ich meine und wie gut und kohärent die generierte Sprache ist“, sagt Nuxoll, der nicht nur an der Tübinger Geschwister-scholl-schule Englisch und Gemeinschaftskunde unterrichtet, sondern auch am Institut für Computerlinguistik der Uni Tübingen arbeitet.
Nuxoll geht davon aus, dass Lehrkräfte künftig „hybride Teams“mit Ki-maschinen bilden, um Unterricht zu verbessern, Menschen von „repetitiven Aufgaben“zu entlasten und Schüler individuell zu fördern. „Das Potenzial ist gigantisch“, sagt er. Er ließ den Bot nicht nur Sonette schreiben, sondern anhand einiger Informationen auch einen Elternbrief. „Da habe ich dann eine richtig gute, sehr problemorientierte E-mail bekommen.“Müssten Lehrer solche Texte künftig nur noch überarbeiten, sei viel Zeit gewonnen.
Auch Christian Stumfol berichtet von erheblichen Zeitersparnissen. Inzwischen verdanke er dem Dienst unter anderem „ein paar sehr schöne Arbeitsblätter“, Lückentexte, Fragen und Aufgabenstellungen in verschiedenen Niveaustufen, erzählt der Englischlehrer der Realschule Balingen, der zudem als Berater am Medienzentrum des Zollernalbkreises arbeitet und Fortbildungen zum Thema gibt. Das Material sei mit dem von Schulbuchverlagen vergleichbar – wenn man den Bot, den er manchmal „meinen Assistenten“nenne, gekonnt mit den richtigen „Prompts“einsetze.
Vor allem wecke „CHATGPT“seine Kreativität. Alle Potenziale könne man noch gar nicht ermessen. Auch Stumfol nennt als Einsatzmöglichkeiten einfache Texte wie Workshop-beschreibungen oder Einleitungen zu Themen, aber auch erste Versionen von Mails an Kollegen oder Eltern. Denkbar seien auch Feedbackund Korrektur-jobs, allerdings sei er da vorsichtig, auch wegen des Datenschutzes.
Natürlich gebe es Risiken, das Betrugspotenzial sei nur eines von mehreren. Ihm hätten schon Schüler versucht, einen Ki-generierten Text als eigene Leistung unterzujubeln, wenn auch eher nach dem Motto: „Mal sehen, ob er es merkt“, berichtet Stumfol. Der Text fiel auf, weil er viel zu gut war. Auch eine Kollegin habe von zuletzt erstaunlich starken Referaten von eigentlich schwächeren Schülern berichtet.
„Das wird jetzt spannend“, sagt er. „Ich bin richtig gespannt auf die anstehenden Kommunikationsprüfungen.“Wichtige Texte müsse man wohl künftig im Unterricht schreiben lassen. Nuxoll sagt: „Betrogen wurde schon immer, die KI macht es einfacher und die Ergebnisse besser.“Er fordert: „Wir müssen Hausaufgaben neu denken.“Vor allem müssten Lehrer Schülern besser vermitteln, warum Hausaufgaben wichtig sind.
„Das Risiko, dass mehr abgeschrieben wird, ist da“, sagt auch Fabian Karg, stellvertretender Direktor des Landesmedienzentrums. Dies stelle aber auch infrage, ob bisherige Formen von Hausaufgaben eigentlich Schülern die Problemlösefähigkeiten vermittelten, die sie bräuchten. Im Fremdsprachenunterricht etwa bleibe Vokabeln- und Grammatik-lernen wichtig. Aber als Hausaufgabe Texte übersetzen zu lassen, sei jetzt schon eine fragwürdige Methode.
Aufgabe: Medienkompetenz
In Schulen komme das Thema erst gerade an. Viele Lehrer hätten davon vielleicht noch nichts gehört. Dabei gehe es für Schulen nun um ganz neue Dimensionen von Medienkompetenz, um Einschätzungsund Kritikfähigkeiten, die Schüler benötigten. Denn „CHATGPT“verbreitet bisweilen mit großer Selbstverständlichkeit Unsinn. Das müssen Schüler kontrollieren und entlarven können. Eine große Aufgabe – und eine Gratwanderung. Denn um sich diese Kompetenz zu erarbeiten, müssten Schüler zig mühsame Lernschritte tun. Viele davon könnte ihnen die KI in Sekunden abnehmen – eine Motivationsfrage. Doch, wie Nuxoll sagt: „Wer nichts weiß, muss alles glauben.“