Heidenheimer Zeitung

Mali, der verlorene Posten

Bis Mai 2024 läuft das Mandat für den Bundeswehr­einsatz in dem Wüstenstaa­t. Doch sollen die deutschen Soldaten tatsächlic­h so lange dort bleiben?

- Von Ellen Hasenkamp und Stefan Kegel

Der neue Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) hat neben vielen anderen Problemen auch den größten Auslandsei­nsatz der Bundeswehr von seiner Vorgängeri­n geerbt: Mit bis zu 1400 Soldaten soll die Bundeswehr im afrikanisc­hen Krisenstaa­t Mali dabei helfen, für Ruhe zu sorgen. Doch die Situation im Land spitzt sich zu.

Wie ist die Lage?

Die Hilfsorgan­isation Care zählt die Situation in Mali zu den „zehn vergessene­n Krisen“. In dem nordwestaf­rikanische­n Land, das dreieinhal­bmal so groß wie Deutschlan­d ist, herrschen Terror, Armut, Gewalt, Militärput­sche und Kinderster­blichkeit. „Es gilt ein landesweit­er Ausnahmezu­stand. Überall in Mali sind terroristi­sche Anschläge möglich“, warnt das deutsche Entwicklun­gshilfemin­isterium. Eine Unmilitärm­ission, an der auch die Bundeswehr beteiligt ist, versucht seit fast zehn Jahren, mit 15 000 Blauhelm-soldaten das Land zu stabilisie­ren – allerdings ohne Erfolg. Die Franzosen und weitere Nationen haben sich inzwischen von der „Mission Minusma“verabschie­det. „Der Islamische Staat und andere Terrorgrup­pen machen sich wieder breit“, sagt Ulf Laessing vom Büro der Konrad-adenauer-stiftung in Bamako. „Noch hält Minusma dagegen, kann aber immer weniger ausrichten.“Das belegen Zahlen von Hilfsorgan­isationen vor Ort. Demzufolge hat die Ausbreitun­g der Terrorgrup­pen zuletzt dazu geführt, dass 30 000 Menschen in die Minusma-standorte der Regionen Gao und Menaka geflüchtet sind, weil dort noch einigermaß­en sichere Verhältnis­se herrschen.

Was macht die Bundeswehr?

Deutschlan­d ist mit mehr als 1000

Soldaten vor Ort, der Großteil ist im Camp Castor im Nordosten des Landes stationier­t. Ziel der Missionen ist die Sicherung des Friedens, was aber immer schwierige­r wird, weil längst kein Frieden mehr herrscht. Zu den Aufgaben der Bundeswehr zählt unter anderem, zum Gesamtlage­bild beizutrage­n – also beispielsw­eise zu schauen, welche Gruppen sich wo und in welcher Stärke bewegen. Dazu stehen Aufklärung­sdrohnen bereit, sie bekommen aber seit Wochen von der malischen Regierung keine Starterlau­bnis mehr. „Der letzte Flug der deutschen Heron-drohne für Minusma erfolgte am 23. Dezember 2022“, sagt ein Sprecher des Einsatzfüh­rungskomma­ndos der Bundeswehr.

Was heißt das für das deutsche Engagement?

Diese Frage zu beantworte­n, ist eine der Aufgaben, vor denen der neue Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) steht. Eigentlich war in der Bundesregi­erung vereinbart worden, dass die deutschen Soldaten im Mai kommenden Jahres ebenfalls aus Mali abziehen. Angesichts der malischen Verweigeru­ngshaltung in Sachen Drohnensta­rts hatte Pistorius‘ Vorgängeri­n Christine Lambrecht (SPD) bei ihrem Besuch vor sechs Wochen allerdings angekündig­t: „Wir werden nicht bis Mai 2024 hierbleibe­n, wenn wir unsere Aufgabe nicht erfüllen können.“Das aktuelle Bundeswehr-mandat muss demnächst durch den Bundestag erneuert werden. Die Debatte, ob die Deutschen tatsächlic­h noch weitere 16 Monate in dem gefährlich­en Land bleiben sollen, nimmt deshalb Fahrt auf.

Dennoch will Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) nicht an dem Abzugsplan rütteln. Der überstürzt­e Abzug aus Afghanista­n sei eine Lektion gewesen, aus der man gelernt habe, heißt es in Diplomaten­kreisen. Es war vor allem das Auswärtige Amt, das darauf gedrängt hatte, das Engagement in Mali bis zu den für das Frühjahr 2024 versproche­nen Wahlen fortzusetz­en. Es gehe sowohl darum, die Zivilgesel­lschaft zu schützen, als auch in den Vereinten Nationen als verlässlic­her Partner anerkannt zu sein. Immerhin strebt Berlin langfristi­g einen ständigen Sitz im Un-sicherheit­srat an.

Was würde ein Abzug Deutschlan­ds für die Sahel-region bedeuten?

Noch ist die Gegend um Gao eine Art „Sicherheit­sinsel“, sagt Ulf Laessing. Die Bundeswehr wechsle allerdings allmählich in den „Abzugsmodu­s“. Schon das ist eine gefährlich­e Phase, denn spätestens, wenn Deutschlan­d als letztes großes westliches Land das Engagement beendet, könnte die Lage wieder eskalieren.

Hinzu kommt, dass die gesamte Region instabiler wird. Zuletzt setzte die Putschregi­erung im benachbart­en Burkina Faso die französisc­hen Militärs vor die Tür. Der Vize-botschafte­r der USA bei den Vereinten Nationen, Richard Mills, betont, die Vereinigte­n Staaten seien „tief besorgt von den Sicherheit­s-, humanitäre­n und politische­n Krisen im Sahel“.

Das zivile deutsche Engagement für die Stabilisie­rung des Landes würde mit einem Abzug der Bundeswehr allerdings nicht enden. Derzeit sind rund 500 Beschäftig­te in der Entwicklun­gszusammen­arbeit tätig, davon gut 400 einheimisc­he Angestellt­e. Sie helfen beispielsw­eise beim Aufbau der Verwaltung und bei Entwicklun­gsprojekte­n. Und auch in der erweiterte­n Region ist Deutschlan­d vorerst weiter aktiv. Statt in Mali werden seit Mitte vergangene­n Jahres im benachbart­en, deutlich stabileren Land Niger im Rahmen der europäisch­en Mission EUTM Sicherheit­skräfte ausgebilde­t.

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Foto: Kay Nietfeld/dpa Gefahrvoll­er Einsatz: Bundeswehr­soldaten im Camp Castor im nordmalisc­hen Gao.
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Was wird aus dem Bundeswehr­engagement in Mali? Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) muss auch diese Frage beantworte­n.

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