Mali, der verlorene Posten
Bis Mai 2024 läuft das Mandat für den Bundeswehreinsatz in dem Wüstenstaat. Doch sollen die deutschen Soldaten tatsächlich so lange dort bleiben?
Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat neben vielen anderen Problemen auch den größten Auslandseinsatz der Bundeswehr von seiner Vorgängerin geerbt: Mit bis zu 1400 Soldaten soll die Bundeswehr im afrikanischen Krisenstaat Mali dabei helfen, für Ruhe zu sorgen. Doch die Situation im Land spitzt sich zu.
Wie ist die Lage?
Die Hilfsorganisation Care zählt die Situation in Mali zu den „zehn vergessenen Krisen“. In dem nordwestafrikanischen Land, das dreieinhalbmal so groß wie Deutschland ist, herrschen Terror, Armut, Gewalt, Militärputsche und Kindersterblichkeit. „Es gilt ein landesweiter Ausnahmezustand. Überall in Mali sind terroristische Anschläge möglich“, warnt das deutsche Entwicklungshilfeministerium. Eine Unmilitärmission, an der auch die Bundeswehr beteiligt ist, versucht seit fast zehn Jahren, mit 15 000 Blauhelm-soldaten das Land zu stabilisieren – allerdings ohne Erfolg. Die Franzosen und weitere Nationen haben sich inzwischen von der „Mission Minusma“verabschiedet. „Der Islamische Staat und andere Terrorgruppen machen sich wieder breit“, sagt Ulf Laessing vom Büro der Konrad-adenauer-stiftung in Bamako. „Noch hält Minusma dagegen, kann aber immer weniger ausrichten.“Das belegen Zahlen von Hilfsorganisationen vor Ort. Demzufolge hat die Ausbreitung der Terrorgruppen zuletzt dazu geführt, dass 30 000 Menschen in die Minusma-standorte der Regionen Gao und Menaka geflüchtet sind, weil dort noch einigermaßen sichere Verhältnisse herrschen.
Was macht die Bundeswehr?
Deutschland ist mit mehr als 1000
Soldaten vor Ort, der Großteil ist im Camp Castor im Nordosten des Landes stationiert. Ziel der Missionen ist die Sicherung des Friedens, was aber immer schwieriger wird, weil längst kein Frieden mehr herrscht. Zu den Aufgaben der Bundeswehr zählt unter anderem, zum Gesamtlagebild beizutragen – also beispielsweise zu schauen, welche Gruppen sich wo und in welcher Stärke bewegen. Dazu stehen Aufklärungsdrohnen bereit, sie bekommen aber seit Wochen von der malischen Regierung keine Starterlaubnis mehr. „Der letzte Flug der deutschen Heron-drohne für Minusma erfolgte am 23. Dezember 2022“, sagt ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr.
Was heißt das für das deutsche Engagement?
Diese Frage zu beantworten, ist eine der Aufgaben, vor denen der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) steht. Eigentlich war in der Bundesregierung vereinbart worden, dass die deutschen Soldaten im Mai kommenden Jahres ebenfalls aus Mali abziehen. Angesichts der malischen Verweigerungshaltung in Sachen Drohnenstarts hatte Pistorius‘ Vorgängerin Christine Lambrecht (SPD) bei ihrem Besuch vor sechs Wochen allerdings angekündigt: „Wir werden nicht bis Mai 2024 hierbleiben, wenn wir unsere Aufgabe nicht erfüllen können.“Das aktuelle Bundeswehr-mandat muss demnächst durch den Bundestag erneuert werden. Die Debatte, ob die Deutschen tatsächlich noch weitere 16 Monate in dem gefährlichen Land bleiben sollen, nimmt deshalb Fahrt auf.
Dennoch will Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nicht an dem Abzugsplan rütteln. Der überstürzte Abzug aus Afghanistan sei eine Lektion gewesen, aus der man gelernt habe, heißt es in Diplomatenkreisen. Es war vor allem das Auswärtige Amt, das darauf gedrängt hatte, das Engagement in Mali bis zu den für das Frühjahr 2024 versprochenen Wahlen fortzusetzen. Es gehe sowohl darum, die Zivilgesellschaft zu schützen, als auch in den Vereinten Nationen als verlässlicher Partner anerkannt zu sein. Immerhin strebt Berlin langfristig einen ständigen Sitz im Un-sicherheitsrat an.
Was würde ein Abzug Deutschlands für die Sahel-region bedeuten?
Noch ist die Gegend um Gao eine Art „Sicherheitsinsel“, sagt Ulf Laessing. Die Bundeswehr wechsle allerdings allmählich in den „Abzugsmodus“. Schon das ist eine gefährliche Phase, denn spätestens, wenn Deutschland als letztes großes westliches Land das Engagement beendet, könnte die Lage wieder eskalieren.
Hinzu kommt, dass die gesamte Region instabiler wird. Zuletzt setzte die Putschregierung im benachbarten Burkina Faso die französischen Militärs vor die Tür. Der Vize-botschafter der USA bei den Vereinten Nationen, Richard Mills, betont, die Vereinigten Staaten seien „tief besorgt von den Sicherheits-, humanitären und politischen Krisen im Sahel“.
Das zivile deutsche Engagement für die Stabilisierung des Landes würde mit einem Abzug der Bundeswehr allerdings nicht enden. Derzeit sind rund 500 Beschäftigte in der Entwicklungszusammenarbeit tätig, davon gut 400 einheimische Angestellte. Sie helfen beispielsweise beim Aufbau der Verwaltung und bei Entwicklungsprojekten. Und auch in der erweiterten Region ist Deutschland vorerst weiter aktiv. Statt in Mali werden seit Mitte vergangenen Jahres im benachbarten, deutlich stabileren Land Niger im Rahmen der europäischen Mission EUTM Sicherheitskräfte ausgebildet.