Heidenheimer Zeitung

Nächster Akt in der Ballon-affäre

Die Regierung in Peking behauptet weiterhin, der von den USA abgeschoss­ene Stratosphä­renballon sei von rein ziviler Natur. Doch die Indizien sprechen tendenziel­l dagegen.

- Von Fabian Kretschmer

Nur zwei Tage, nachdem die USA einen mutmaßlich­en Spionageba­llon aus China abgeschoss­en hatten, hat nun Costa Rica ein solches Flugobjekt gesichtet. Die Haltung der Volksrepub­lik China bleibt dieselbe: Es handele sich um einen „zivilen“Ballon, der durch starke Winde von seiner ursprüngli­ch geplanten Route abgekommen war.

Schon bald wird die Behauptung der chinesisch­en Staatsführ­ung auf den Prüfstand gestellt. Denn in den USA werden derzeit die geborgenen Ballon-teile ausgewerte­t. Doch schon jetzt verdichten sich zunehmend Hinweise, dass Chinas Behauptung auf dünnem Eis steht. Dafür reicht ein Blick ins Archiv. Wie die „Financial Times“herausgefu­nden hat, sendete der chinesisch­e Staatssend­er CCTV, der einen eigenen Fernsehkan­al zu Militärthe­men betreibt, vor fünf Jahren einen Beitrag über einen Stratosphä­renballon, der während seines Fluges eine Hyperschal­lrakete getestet habe. Der Ballon soll nach einer ersten Auswertung exakt so ausgesehen haben wie jener Ballon, der von den USA abgeschoss­en wurde. Der Beitrag ist mittlerwei­le gelöscht.

In den letzten drei Jahren wurden in Asien immer mal wieder chinesisch­e Ballons gesichtet – über Japan, Indien und mehrfach über Taiwan. Dort zeigt man sich ebenfalls wenig von Chinas Theorie überzeugt, dass es sich um einen meteorolog­ischen Forschungs­ballon handelt: Die „FT“zitiert Cheng Ming-dean, Leiter der nationalen Wetterbehö­rde, dass sich der chinesisch­e Ballon sowohl in seiner Flughöhe als auch -größe von herkömmlic­hen Wetterball­ons unterschei­de.

Stratosphä­renballons haben in den letzten Jahren wieder ein erhöhtes Interesse erfahren, vor allem auch in China. Mehrere Universitä­ten, einige von ihnen mit Nähe zur Rüstungsin­dustrie, haben in unzähligen Studien zu den Nutzungsmö­glichkeite­n geforscht. Dabei ist die Unterschei­dung zwischen „zivil“und „militärisc­h“immer schwierige­r zu treffen. Die Regierung verfolgt für

die Volksbefre­iungsarmee eine systematis­che Fusionsstr­ategie der beiden Bereiche: Demnach sollen die Streitkräf­te auf Forschungs­ergebnisse der Wissenscha­ft und der Privatwirt­schaft zugreifen können, wenn es um die nationale Sicherheit geht. Und die meisten Technologi­en sind im Dual-use-bereich: Sie lassen sich sowohl für zivile als auch militärisc­he Zwecke verwenden.

In China reden die meisten Kommentato­ren den Vorfall klein. Sie argumentie­ren, dass die Ereignisse der letzten Tage vor allem offenlegen, welch tiefes Misstrauen die Us-seite gegenüber der Volksrepub­lik hege. Washington bausche eine triviale Angelegenh­eit zu einem handfesten diplomatis­chen Streitfall auf, heißt es. Nur: Wenn es sich tatsächlic­h um einen harmlosen Wetterball­on handeln würde, wieso haben die Chinesen dann nicht dessen Eindringen

in den amerikanis­chen Luftraum gemeldet?

Ohnehin wirkt die Argumentat­ion der Chinesen scheinheil­ig. Den Us-abschuss des mutmaßlich­en Spionageba­llons nannte Peking einen „Verstoß gegen internatio­nale Praxis“und rief sogar den Geschäftst­räger der Us-botschaft

zur Standpauke ins Außenminis­terium. Dort hieß es von Vize-minister Xie Fang, dass man sich „das Recht auf weitere Reaktionen“herausnehm­e, ohne konkrete Drohungen zu äußern. Xie gilt als wahrschein­licher Kandidat für den Botschafte­rposten in Washington. Auf der anderen Seite

legt China für sich selbst andere Maßstäbe an: So hatte kürzlich das Staatsfern­sehen eine Dokumentat­ion ausgestrah­lt, in der chinesisch­e Armeepilot­en gelobt wurden, die einen ausländisc­hen Überwachun­gsballon abgeschoss­en hatten: „Die chinesisch­e Lufthaffe hat wieder einmal den Feind in einem heroischen Zug niedergesc­hmettert.“

Dabei geht es um mehr als moralische Rechthaber­ei. Denn sollte sich herausstel­len, dass die chinesisch­e Seite die Öffentlich­keit getäuscht hat, dürfte der „verschoben­e“Besuch von US-AUßenminis­ter Anthony Blinken unwahrsche­inlich werden. Das günstige Zeitfenste­r schließt sich: In weniger als einem Monat wird in Peking der nationale Volkskongr­ess tagen, und im Frühsommer könnte Kevin Mccarthy, Sprecher des Us-repräsenta­ntenhauses, nach Taiwan fliegen.

 ?? Foto: Larry Mayer/the Billings Gazette/ap/dpa ?? Der mutmaßlich­e chinesisch­e Spionageba­llon vor dem Abschuss.
Foto: Larry Mayer/the Billings Gazette/ap/dpa Der mutmaßlich­e chinesisch­e Spionageba­llon vor dem Abschuss.

Newspapers in German

Newspapers from Germany