Heidenheimer Zeitung

Erdbeeren an Weihnachte­n und andere Wunder

Ein Rückblick auf die Winteroper­n in Heidenheim seit dem Beginn der Erfolgsges­chichte 2012 und ehe am kommenden Samstag mit „La Strada“erstmals ein Winterball­ett im Festspielh­aus auf dem Programm steht.

- Von Manfred F. Kubiak

La Strada“, am Samstag ist es soweit: Winterball­ett in Heidenheim. Zum ersten Mal. Zwischenze­itlich zumindest abgelöst wird damit die seit über zehn Jahren gewohnte Übung der Winteroper. Die war ja damit eigentlich auch schon zu etwas geworden, was man bereits Tradition nennen könnte. Oder wenigstens so etabliert und am Anfang besonders, dass sich ein Rückblick auf die Zeit mit ihr lohnt. Am Ende wird man sich womöglich wundern, was man schon alles wieder vergessen hat. Hier also nun, was bisher geschah. . .

Alles begann kurz vor Weihnachte­n des Jahres 2012 mit „Hänsel und Gretel“. Engelbert Humperdinc­ks opus magnum gilt zumindest in Deutschlan­d als die Weihnachts­oper schlechthi­n. Und dies, obwohl hier Kinder Erdbeeren sammeln und der Kuckuck ruft.

Die neue Qualität

Egal. Denn für Heidenheim vor allem besonders an dieser Erfindung war die Tatsache, dass erstmals überhaupt eine eigenprodu­zierte Oper „Made in Heidenheim“außerhalb der Opernfests­piele und damit eine neue Qualität präsentier­t wurde, die übrigens, da die Cappella Aquileia dort ohnehin abgerechne­t wird, schon im Festspielp­reis inbegriffe­n war.

Auf der Bühne agiert wurde konzertant, wenn auch in Kostümen, also gewisserma­ßen halbszenis­ch, was allerdings ohne Inszenieru­ng und direkt vor dem Orchester ein bisschen unausgegor­en wirkte, weshalb man vom nächsten Winter an die Sänger in Konzertgar­derobe hinausschi­ckte und damit einen deutlich edleren Gesamteind­ruck anbot. Ausverkauf­t war die erste Winteroper noch nicht, doch das Publikum sollte in den nächsten Jahren noch ins CC strömen.

Der elektronis­che Dolmetsche­r „Così

Der Dezember 2013 brachte fan tutte“, also Mozart. Und es wirkte sogar eine Lokalmatad­orin als Sängerin mit: Die Sopranisti­n

Angela Rudolf, die 2002 als Gilda in „Rigoletto“als erste Heidenheim­erin, die eine Hauptparti­e sang, in die Geschichte der Opernfests­piele eingegange­n war und dies nun als Despina in Sachen Winteroper wiederholt­e.

Es kam der Nikolausta­g 2014 mit „Don Pasquale“. Gaetano Donizettis Oper ist superlusti­g. Doch den Winteroper­spielern blieb das Lachen zunächst im Halse stecken. Denn fünf Minuten vor Beginn war die Übertitelu­ngsanlage ausgefalle­n. Eine italienisc­he Oper, italienisc­h gesungen – und das ohne elektronis­chen Dolmetsche­r. Bis der Großteil des Publikums die Blicke nach oben und damit auch die Hoffnung auf Erleuchtun­g nicht nur der auf ihre bockig „stumme“Weise irgendwie damoklös über der Szenerie schwebende­n schwarzen Anzeigetaf­el aufgegeben hatte, war die Intrige auf der Bühne längst gesponnen und schon Pause.

Der Übertitelk­asten, in Heidenheim seit der 2012er „Carmen“bei

den Opernfests­pielen im Servicepak­et, verweigert­e auch weiterhin die Mitarbeit. Und es geschah das Wunder: Denn als nach der Pause endlich kein Blick mehr nach oben wanderte, war plötzlich der Beweis dafür fast schon greifbar, dass gute Musik eigentlich gar keine Übersetzun­g braucht. Das Publikum, nun mit allen Sinnen fest auf die Handelnden auf der Bühne fixiert, verstand, denn die Atmosphäre verdichtet­e sich jetzt spürbar auch im Auditorium, fortan offenbar sogar Italienisc­h. Am Ende jedenfalls war wohl jeder im Saal plötzlich Italiener und hatte vergessen, dass man sich das alles eigentlich hatte übersetzen lassen wollen. Und auch die Drohung „konzertant“hatte fortan in Heidenheim irgendwie ihren Schrecken verloren.

Im Jahr 2015 dann blieb die Küche kalt, denn die Winteroper zog vom Dezember in den Februar um, wo 2016 gleich der „Barbier von Sevilla“auf dem Programm stand. Wieder sehr, sehr lustig

und inklusive Gioacchino Rossinis berühmtem fliegenden Klang.

Der Frosch tritt auf

2017: Johann Strauss, „Die Fledermaus“. Und hier gingen die Meinungen erstmals doch ziemlich auseinande­r. Man hatte die Dialoge gestrichen und dafür Andreas Hofmeir, seines Zeichens Tubist von Weltrang und damals in Deutschlan­d auch auf der Kabarettbü­hne erfolgreic­h, als Frosch aufgeboten, der im ersten Teil nach eigenem Gusto die Geschichte interpreti­erte, was unter anderem hier in der HZ gar nicht gut ankam, und sich im zweiten Teil das Publikum zur Brust nahm und auch über Heidenheim lästerte, was ihm viele, die vorher noch über ihn gelacht hatten, nun verübelten.

Und tatsächlic­h ereignete sich auch diesmal ein Wunder: Denn laut Programmhe­ft wurde diese „Fledermaus“nämlich „in italienisc­her Sprache mit deutschen Untertitel­n“gegeben, die auch als

Übertitel kein Mensch im Saale gebraucht hätte, weil er – auf den Tag drei Monate vor dem Pfingstfes­t – plötzlich jedes italienisc­he Wort so klar und deutlich verstand, als hätte es sich um ganz profanes Deutsch gehandelt.

Das Virus greift ein

Es folgten, nun bereits im Jahr 2018, noch einmal Mozart: „Die Entführung aus dem Serail“– und, gleich noch einmal Mozart, 2019 „Le nozze di Figaro“mit dem wie aufgedreht gewisserma­ßen alles und alle an die Wand spielenden Weltstar Michael Volle als Graf Almaviva. Das inzwischen anlässlich der Winteroper längst gewohnheit­smäßig ausverkauf­te Haus geriet jedoch nicht nur wegen des Baritons völlig aus dem Häuschen.

Für 2020 war wieder ein Rossini geplant: „La Cenerentol­a“. Doch man hatte die Rechnung ohne das Virus gemacht: Corona. Am Abend vor der Winteroper wurden Veranstalt­ungen mit mehr als 100 Besuchern in geschlosse­nen Räumen verboten. Das war’s dann zunächst einmal gewesen. Nicht nur für die Oper.

Der gestreamte Mozart

Auch 2021: keine Winteroper. Man hatte im Festspielh­aus mit der „Zauberflöt­e“erneut auf Mozart setzen wollen und landete am Ende mit einer Mozart-gala im Konzerthau­s. Ohne Publikum selbstvers­tändlich, denn es war, was man heute, nur zwei Jahre später, schon kaum mehr glauben will, die Zeit, da Kindergebu­rtstage von der Polizei gestürmt wurden, wenn dort mehr als eine Handvoll nicht zur Familie gehörende Personen auf einem Haufen vermutet wurden, und man abends ab 21 Uhr nicht mal mehr spazieren gehen durfte. Musik wurde, wenn überhaupt gespielt, dann gestreamt und zu Hause via Bildschirm empfangen. Auch die Mozart-gala aus dem Konzerthau­s.

Ein wenig geändert hatte sich das alles dann wieder im März 2022, als das Publikum im Festspielh­aus als Winteroper einen auf die Partien der Titelhelde­n eingedampf­ten Wagnersche­n „Tristan XS“genießen durfte. Und nun: „La Strada“, das erste Heidenheim­er Winterball­ett. Man wird sehen. Schon jetzt allerdings steht fest: Die Vorstellun­g ist ausverkauf­t.

 ?? Foto: Oliver Vogel ?? Das war die Winteroper 2019: Mozarts „Le nozze di Figaro“mit Weltstar Michael Volle, Michaela Maria Mayer, Christoph Wittmann, Marcus Bosch (von links), der Cappella Aquileia und dem Vokalwerk der Opernfests­piele im Heidenheim­er Festspielh­aus.
Foto: Oliver Vogel Das war die Winteroper 2019: Mozarts „Le nozze di Figaro“mit Weltstar Michael Volle, Michaela Maria Mayer, Christoph Wittmann, Marcus Bosch (von links), der Cappella Aquileia und dem Vokalwerk der Opernfests­piele im Heidenheim­er Festspielh­aus.

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