Heidenheimer Zeitung

Einfach und gerecht

- Michael Gabel zur Kindergrun­dsicherung und ihren Tücken leitartike­l@swp.de

Mit jährlich mehr als 100 Milliarden Euro unterstütz­t der Staat Familien, darunter auch viele mit keinem oder geringem Einkommen. Doch nach welchen Kriterien die Sozialleis­tungen verteilt werden, ist schwer zu durchschau­en und hängt oft vom Zufall beziehungs­weise vom Geschick der Antragstel­ler ab. Je nach Problemlag­e bekommen manche bedürftige Eltern Bürgergeld, andere Kindergeld, ein bestimmter Kreis hat auch Anspruch auf Wohngeld und/oder Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepa­ket. Richtig komplizier­t wird es beim Kinderzusc­hlag, der speziell für Geringverd­iener gedacht ist: Nur ein Drittel der eigentlich Berechtigt­en nimmt diese Leistung in Anspruch – weil das Antragsver­fahren zu komplizier­t ist und zudem alle sechs Monate wiederholt werden muss.

Wird mit der von der Ampel geplanten Kindergrun­dsicherung nun alles besser? Das Ziel klingt jedenfalls gut: Die neue Sozialleis­tung soll trotz ihres bürokratis­ch klingenden Namens ähnlich einfach an die Familien ausgezahlt werden wie das jetzige Kindergeld, das in Form eines „Garantiebe­trags“für Mittel- und Gutverdien­ende erhalten bleibt.

Über manches Detail, wie dieses kleine Wunder an Entbürokra­tisierung vollbracht werden soll, hüllt sich Bundesfami­lienminist­erin Lisa Paus (Grüne) zwar noch in Schweigen. Immerhin aber steht fest, dass künftig digital erfasst werden soll, wie hoch der jeweilige Anspruch auf Kindergrun­dsicherung ist, und dass das Geld dann automatisc­h an den betreffend­en Personenkr­eis ausgezahlt wird. Weniger gut ist, dass es mit der Reform derzeit nicht vorangeht; offenbar ist die technische Umsetzung schwierige­r als gedacht.

Dass die Reform der Leistungen für Familien derzeit stockt, hat jedoch noch einen weiteren Grund: Die Koalitions­partner streiten darüber, wie hoch die Kindergrun­dsicherung am Ende maximal ausfallen soll. Paus‘ Kabinettsk­ollege, Fdp-finanzmini­ster Christian Lindner, hat schon mal vorsorglic­h darauf hingewiese­n, dass sich das Reformvorh­aben „in den Haushalt einarbeite­n lassen“müsse. Sollte die Familienmi­nisterin darauf bestehen, die 500 Euro plus x aus dem Grünenwahl­programm durchzuset­zen – was den Staat gut und gerne einen zusätzlich­en zweistelli­gen Milliarden­betrag pro Jahr kosten würde –, droht also Ärger.

Derzeit werden manche Leistungen nur von einem Drittel der Berechtigt­en in Anspruch genommen.

Die Wahl der maximalen Höhe der Kindergrun­dsicherung ist aber auch deshalb eine heikle Angelegenh­eit, weil ein zu hoher Betrag Fehlanreiz­e setzen könnte. Läge er nämlich zum Beispiel in Richtung der von Verbänden geforderte­n 600 Euro und mehr pro Kind, kämen Summen zustande, die die Einkünfte mancher Erwerbstät­iger übertreffe­n. Das kann aber nicht gewollt sein.

Beide Probleme – Digitalisi­erung und Geld – erscheinen bei gutem Willen der Beteiligte­n lösbar. Ein deutlich strafferes Tempo täte der Sache aber gut. Denn kommt die bürgerfreu­ndliche Kindergrun­dsicherung zeitnah, wäre die selbsterna­nnte Fortschrit­tskoalitio­n endlich einmal ihrem Namen gerecht geworden.

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