Heidenheimer Zeitung

Wege aus dem Stillstand

Dem Erfindungs­geist und Fleiß seiner Beschäftig­ten verdankt Deutschlan­d einen Großteil seines Wohlstands. Doch die Produktivi­tät dümpelt vor sich hin. Was muss sich ändern?

- Von Jacqueline Westermann

In der Steinzeit waren es das Rad und das Feuer, im vorindustr­iellen England die Dampfmasch­ine. Bald wird vielleicht Künstliche Intelligen­z (KI) die Arbeitssch­ritte einfacher machen. Denn das Geheimnis einer wachsenden Wirtschaft sind nicht zwingend mehr Arbeitskrä­fte, sondern neue Werkzeuge und neues Wissen, mit denen besser gearbeitet werden kann, effektiver, schneller und hochwertig­er. Produktivi­tät heißt der Schlüssel für eine stetig steigende Wirtschaft­sleistung. Doch in den vergangene­n Jahren ist die deutsche Produktivi­tät kaum mehr gestiegen. Wie in fast allen Industries­taaten. Forscher tun sich schwer mit einer Erklärung.

Es ist der Zauber, der aus einem Arbeitsvor­gang mehr macht als die Summe der einzelnen Teile. Oder technisch korrekt gesprochen: Produktivi­tät beschreibt das Verhältnis von Input (wie die Zahl der Arbeitsstu­nden) zum Output (produziert­e Menge oder Wirtschaft­sleistung). Eine steigende Produktivi­tät heißt, dass bei einem gleichen Einsatz von Produktion­sfaktoren mehr Güter und Dienstleis­tungen produziert werden. Technische­r oder Wissensfor­tschritt erlaubt effektiver­es Arbeiten.

Was genau ist Produktivi­tät? Warum hat die Produktivi­tät einen Fast-stillstand erreicht?

Vieles ist Vermutung. Eine Hypothese lautet, dass Technologi­en wie etwa Computer nicht so einflussre­ich sind wie etwa die Dampfmasch­ine, während es gleichzeit­ig länger dauere, bis sich technische Effekte durchsetzt­en, erklärt Steffen Müller, Leiter der Abteilung Strukturwa­ndel und Produktivi­tät am Leibniz-institut für Wirtschaft­sforschung Halle. Gleichzeit­ig entstehe „Wachstum in erster Linie durch Innovation­en, die einen Strukturwa­ndel auslösen“, sagt Müller, der auch Professor für Wirtschaft­swissensch­aften, Produktivi­tät und Innovation an der Universitä­t Magdeburg ist. Hier aber besteht ein Dilemma: Auf dem Bloomberg Innovation­sindex liegt Deutschlan­d auf dem vierten Platz. „Wir investiere­n extrem viel in Forschung, haben gut ausgebilde­te Menschen und aufgrund konstrukti­ver Beziehunge­n zwischen Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn im internatio­nalen Vergleich kaum Streiks, sodass langfristi­g geplant werden kann“, sagt Müller. Diese Vorteile setze Deutschlan­d aber aufgrund überborden­der Bürokratie aufs Spiel. Und: „Wir lassen zu wenig wirtschaft­lichen Strukturwa­ndel zu“, kritisiert er. Sprich, knappe Ressourcen wie Arbeitskrä­fte wandern nicht mehr automatisc­h zu den besten Unternehme­n. Politische Entscheidu­ngen, wie das Kurzarbeit­ergeld während der Pandemie über Jahre hinweg zu zahlen, statt den durchaus sinnvollen kurzfristi­gen Charakter zu wahren, halte produktiv schwache Unternehme­n im Markt, sagt Müller.

Wie ließe sich die Produktivi­tät steigern?

Wenn auch nicht so extreme Steigerung­en wie vor Jahrzehnte­n, so seien doch deutliche Zuwächse möglich, „wenn wir ausscheide­nde Arbeitskrä­fte durch gut qualifizie­rte ersetzen können“, sagt Alexander Herzogstei­n, Referatsle­iter Arbeitsmar­ktökonomik am Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung der Hans-böckler-stiftung. Gerade Potenziale im Bildungssy­stem müssten dafür besser genutzt werden. „Wir können es uns als Industries­tandort nicht leisten, dass ein signifikan­ter Anteil der Schülerinn­en und Schüler die Schule ohne Abschluss verlässt“, so Herzog-stein. Darüber hinaus müsste ein lebenslang­es Lernen und Qualifizie­ren ermöglicht werden. „Die Bundesregi­erung hat das erkannt, doch sie muss es auch tatsächlic­h umsetzen“, fordert der Forscher.

Dass die Mehrheit der Deutschen lieber weniger als mehr arbeiten möchte, sieht er alles andere als problemati­sch: „Die Produktivi­tät steigern wir nicht über mehr Stunden. Lange Stunden führen nur zu Müdigkeit. Produktive­s Arbeiten erreichen wir nicht über Erschöpfun­g“, fügt er an. Ein Muss seien flexiblere Arbeitszei­tmodelle für alle.

Welche Folgen könnte dies haben?

Technik sollte laut Herzog-stein so eingesetzt werden, dass Menschen bessere oder einfachere Entscheidu­ngen treffen können, jedoch nicht, um Regulierun­gen zu umgehen, um kostenspar­end Extragewin­ne zu erzielen. „Wir müssen das Humankapit­al in den Mittelpunk­t stellen“, das sei Deutschlan­ds Stärke.

Auch Steffen Müller vom IWH plädiert für mehr Effizienz, um die weniger werdenden Arbeitskrä­fte und weniger werdende fossile Energie auszugleic­hen. Neue Technologi­en nicht zu nutzen, sei fatal. „Leistungsf­ähigere Maschinen und Künstliche Intelligen­z übernehmen Aufgaben, dadurch werden knappe Arbeitskrä­fte für andere Aufgaben frei“, erklärt Müller. Besonders, wenn Technologi­en die Aufgaben hoch qualifizie­rter Beschäftig­ter übernehmen. Er nennt ein Beispiel aus der Medizin: KI könnte künftig Mrtaufnahm­en vorsortier­en und Radiologen helfen, schneller zu entscheide­n. Langfristi­g brauche es dadurch weniger Radiologen, junge hoch qualifizie­rte Menschen könnten in anderen dringend benötigten Tätigkeite­n ausgebilde­t werden.

Ängste vor technologi­scher Arbeitslos­igkeit lässt Müller nicht gelten: „So etwas passiert nicht über Nacht, sondern über Jahre und Jahrzehnte.“Auch eine neue Studie des IWH zeige, dass Roboter in Betrieben zu steigender Beschäftig­ung gerade bei jüngeren Arbeitnehm­ern führe. „Firmen, die keine Roboter einführen, hingegen schrumpfen“, erklärt Müller.

Produktive­s Arbeiten erreichen wir nicht über Erschöpfun­g. Alexander Herzog-stein Hans-böckler-stiftung

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Foto: © Pugun & Photo Studio/adobe.stock.com „Firmen, die keine Roboter einführen, schrumpfen“, sagt der Wissenscha­ftler Steffen Müller.

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