Anzeichen früh erkennen
Polizeibeamte haben einen schweren Job – und sind häufig psychisch stark belastet, wie eine Studie der Uniklinik Ulm zeigt.
Manchmal, sagt Ulrike Renz, da sei es tatsächlich der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass dann zum Überlaufen bringe. Die Polizeibeamtin ist beim Ulmer Polizeipräsidium als psychosoziale Beraterin für Kolleginnen und Kollegen da, die im anstrengenden und oft belastenden Dienstalltag an ihre Grenzen kommen.
Oft seien es sehr erfahrene Kollegen, die plötzlich nicht mehr können. Sie erinnert sich an den Fall eines Verkehrspolizisten, seit mehr als 20 Jahren im Dienst und eine wichtige Stütze für seine Kollegen. „Er musste mit seiner Kollegin eine Todesnachricht nach einem Verkehrsunfall überbringen. Nach dem Klingeln an der Haustür hörte er drinnen Kinderstimmen, die sagten: ‚Ich mach auf, der Papa kommt heim‘. Das hat ihn komplett umgehauen, er konnte gar nichts mehr sagen und seine Kollegin musste übernehmen“, erzählt Renz. Sie ist sich sicher, der Kollege habe die Belastungen schon lange in sich hineingefressen und auch frühzeitige Warnsignale seines Körpers übersehen.
Der Verkehrspolizist ist bei weitem kein Einzelfall, wie eine Studie der Uniklinik Ulm zeigt. Gemeinsam mit der Deutschen Traumastiftung und dem Polizeipräsidium Ulm untersuchten die Wissenschaftler 120 Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen – mit einem eindeutigen Ergebnis: 54 Prozent gaben in einem Fragebogen einzelne Symptome eines Belastungssyndroms an, 13 Prozent erfüllten sogar die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). „Das ist ein deutlich höherer Anteil als in der Allgemeinbevölkerung“, sagt Studienleiter Marc Jarczok von der Uniklinik Ulm. Besonders stark betroffen waren demnach männliche Studienteilnehmer im fortgeschrittenen Alter. „Männer zwischen 46 und 55 Jahren zeigten die deutlichsten Symptome“, sagt er. Die psychische Belastung nehme mit dem Alter zu.
Ein Problem: Symptome einer Überlastung würden häufig zu
spät erkannt. „Aus der Klinik wissen wir, dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte oft lange die Zähne zusammenbeißen, bevor sie sich um eventuelle Beschwerden kümmern“, sagt Professor Harald Gündel, ärztlicher Direktor der Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Typische Symptome seien Schlafstörungen, Kopfschmerzen, erhöhter Blutdruck oder eine dauerhaft erhöhte Anspannung. „Ganz unspezifische Symptome, an die man sich auch schnell gewöhnt“, sagt Gündel. Dafür sollten die Studienteilnehmer sensibilisiert werden.
Für die Polizei sei die Studie sehr wichtig, betont Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz. „Belastungssituationen sind Alltag im Dienst“, sagt sie. Mithilfe der Studienergebnisse bekomme man nun Anhaltspunkte dafür, wie man die Prävention verbessern und Probleme frühzeitig erkennen könne. Besonders belastet sind der Studie zufolge Beamte, die beispielsweise mit der Verfolgung von Kindesmissbrauchs oder häufig mit schweren Unfällen und Toten zu tun haben. Auch mit Auswirkungen auf die Dienstfähigkeit: „Kollegen fallen immer wieder wegen psychischer Belastungssyndrome aus“, sagt Hinz. 28 Tage war jeder Mitarbeiter der Polizei im Schnitt im Jahr 2022 krankgeschrieben – deutlich häufiger als in der gesamten Bevölkerung.
Überraschend seien die Ergebnisse der Studie nicht, sagen die beiden Polizeigewerkschaften. „Wir wissen schon lange, dass der Polizeiberuf hochbelastend ist“, sagt Ralf Kusterer, Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPOLG). Bei der Unterstützung der Einsatzkräfte tue das Land nicht genug. „Wir fordern seit Jahren, dass mehr hauptamtliche Kräfte eingestellt werden, die sich um die psychische Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen kümmern.“Alle Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten im Land müssten regelmäßig mithilfe der bei der Studie verwendeten Herzraten-messungen untersucht werden. „Das kostet auch nicht mehr als ein PCRTEST.“Der psychischen Gesundheit würde zudem „ganz profane“Unterstützung helfen, etwa beim Familienleben. „Die tolle Partnerschaft, die einen nach dem Dienst auffängt, müssen wir stärken“, sagt Kusterer. „Das machen wir aber nicht, etwa weil wir schlechte Arbeitszeiten haben.“
In diese Richtung geht auch die Kritik der Gewerkschaft der Polizei (GDP). Das Hauptproblem sei der Personalmangel: „Das wenige Personal, das wir haben, verschleißen wir durch die hohe Arbeitsbelastung“, sagt Landeschef Gundram Lottmann. Es brauche dringend eine Statistik zur Häufigkeit von Burnout bei Polizisten. „Gefühlt hat das in den vergangenen Jahren stark zugenommen.“