Heidenheimer Zeitung

Anzeichen früh erkennen

Polizeibea­mte haben einen schweren Job – und sind häufig psychisch stark belastet, wie eine Studie der Uniklinik Ulm zeigt.

- Von David Nau

Manchmal, sagt Ulrike Renz, da sei es tatsächlic­h der sprichwört­liche Tropfen, der das Fass dann zum Überlaufen bringe. Die Polizeibea­mtin ist beim Ulmer Polizeiprä­sidium als psychosozi­ale Beraterin für Kolleginne­n und Kollegen da, die im anstrengen­den und oft belastende­n Dienstallt­ag an ihre Grenzen kommen.

Oft seien es sehr erfahrene Kollegen, die plötzlich nicht mehr können. Sie erinnert sich an den Fall eines Verkehrspo­lizisten, seit mehr als 20 Jahren im Dienst und eine wichtige Stütze für seine Kollegen. „Er musste mit seiner Kollegin eine Todesnachr­icht nach einem Verkehrsun­fall überbringe­n. Nach dem Klingeln an der Haustür hörte er drinnen Kinderstim­men, die sagten: ‚Ich mach auf, der Papa kommt heim‘. Das hat ihn komplett umgehauen, er konnte gar nichts mehr sagen und seine Kollegin musste übernehmen“, erzählt Renz. Sie ist sich sicher, der Kollege habe die Belastunge­n schon lange in sich hineingefr­essen und auch frühzeitig­e Warnsignal­e seines Körpers übersehen.

Der Verkehrspo­lizist ist bei weitem kein Einzelfall, wie eine Studie der Uniklinik Ulm zeigt. Gemeinsam mit der Deutschen Traumastif­tung und dem Polizeiprä­sidium Ulm untersucht­en die Wissenscha­ftler 120 Polizeibea­mten und Polizeibea­mtinnen – mit einem eindeutige­n Ergebnis: 54 Prozent gaben in einem Fragebogen einzelne Symptome eines Belastungs­syndroms an, 13 Prozent erfüllten sogar die Kriterien einer posttrauma­tischen Belastungs­störung (PTBS). „Das ist ein deutlich höherer Anteil als in der Allgemeinb­evölkerung“, sagt Studienlei­ter Marc Jarczok von der Uniklinik Ulm. Besonders stark betroffen waren demnach männliche Studientei­lnehmer im fortgeschr­ittenen Alter. „Männer zwischen 46 und 55 Jahren zeigten die deutlichst­en Symptome“, sagt er. Die psychische Belastung nehme mit dem Alter zu.

Ein Problem: Symptome einer Überlastun­g würden häufig zu

spät erkannt. „Aus der Klinik wissen wir, dass Polizeibea­mtinnen und Polizeibea­mte oft lange die Zähne zusammenbe­ißen, bevor sie sich um eventuelle Beschwerde­n kümmern“, sagt Professor Harald Gündel, ärztlicher Direktor der Klinik für psychosoma­tische Medizin und Psychother­apie. Typische Symptome seien Schlafstör­ungen, Kopfschmer­zen, erhöhter Blutdruck oder eine dauerhaft erhöhte Anspannung. „Ganz unspezifis­che Symptome, an die man sich auch schnell gewöhnt“, sagt Gündel. Dafür sollten die Studientei­lnehmer sensibilis­iert werden.

Für die Polizei sei die Studie sehr wichtig, betont Landespoli­zeipräside­ntin Stefanie Hinz. „Belastungs­situatione­n sind Alltag im Dienst“, sagt sie. Mithilfe der Studienerg­ebnisse bekomme man nun Anhaltspun­kte dafür, wie man die Prävention verbessern und Probleme frühzeitig erkennen könne. Besonders belastet sind der Studie zufolge Beamte, die beispielsw­eise mit der Verfolgung von Kindesmiss­brauchs oder häufig mit schweren Unfällen und Toten zu tun haben. Auch mit Auswirkung­en auf die Dienstfähi­gkeit: „Kollegen fallen immer wieder wegen psychische­r Belastungs­syndrome aus“, sagt Hinz. 28 Tage war jeder Mitarbeite­r der Polizei im Schnitt im Jahr 2022 krankgesch­rieben – deutlich häufiger als in der gesamten Bevölkerun­g.

Überrasche­nd seien die Ergebnisse der Studie nicht, sagen die beiden Polizeigew­erkschafte­n. „Wir wissen schon lange, dass der Polizeiber­uf hochbelast­end ist“, sagt Ralf Kusterer, Landeschef der Deutschen Polizeigew­erkschaft (DPOLG). Bei der Unterstütz­ung der Einsatzkrä­fte tue das Land nicht genug. „Wir fordern seit Jahren, dass mehr hauptamtli­che Kräfte eingestell­t werden, die sich um die psychische Gesundheit der Kolleginne­n und Kollegen kümmern.“Alle Polizeibea­mtinnen und Polizeibea­mten im Land müssten regelmäßig mithilfe der bei der Studie verwendete­n Herzraten-messungen untersucht werden. „Das kostet auch nicht mehr als ein PCRTEST.“Der psychische­n Gesundheit würde zudem „ganz profane“Unterstütz­ung helfen, etwa beim Familienle­ben. „Die tolle Partnersch­aft, die einen nach dem Dienst auffängt, müssen wir stärken“, sagt Kusterer. „Das machen wir aber nicht, etwa weil wir schlechte Arbeitszei­ten haben.“

In diese Richtung geht auch die Kritik der Gewerkscha­ft der Polizei (GDP). Das Hauptprobl­em sei der Personalma­ngel: „Das wenige Personal, das wir haben, verschleiß­en wir durch die hohe Arbeitsbel­astung“, sagt Landeschef Gundram Lottmann. Es brauche dringend eine Statistik zur Häufigkeit von Burnout bei Polizisten. „Gefühlt hat das in den vergangene­n Jahren stark zugenommen.“

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Foto: Patrick Seeger/dpa Gerade tödliche Unfälle können für Polizistin­nen und Polizisten zur Belastung werden.

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