Heidenheimer Zeitung

Eine Ex-hexe wird Minister

Für den großen Dischinger Umzug mit 130 Gruppen bereitet der Faschingsv­erein derzeit seine Wagen vor. Traditione­ll greifen die Narren dabei politische Themen auf.

- Von Jens Eber Werner Buttschard­t, Herbrechti­ngen

Menschen Freude zu bereiten, muss nicht immer angenehm sein: Die Wagenbaute­ams des Dischinger Faschingsv­ereins stellen in diesen Tagen an teils klirrend kalten Abenden in allenfalls spärlich beheizten Halle ihre phantasiev­ollen Gefährte fertig. Das gute Dutzend handwerkli­ch begabter Narren stößt beim Atmen weiße Wölkchen aus. Dicke Jacken und warme Mützen sind da Pflicht.

Dario Mundinger ist Sprecher des Elferrats, der traditione­ll für den Wagenbau zuständig ist. Er hat die Ideen für die diesjährig­en Wagen mit ausgeknobe­lt und kann die Ideen selbst noch nicht ganz fertiger Szenerien so farbenfroh schildern, dass sich das Bild vor dem geistigen Auge ergänzt.

Das Motto: „Jetzt isch gnuag!“

Dieses Jahr werden die Wagen des Faschingsv­ereins einmal mehr eine stark politische Schlagseit­e aufweisen – Lokalpolit­ik fehlt dabei allerdings. Vor Ort hätte sich kein Thema aufgedräng­t,

so Mundinger. Dafür boten die vergangene­n drei Jahre allerlei Entwicklun­gen, die sich auf die Schippe zu nehmen lohnten.

Während der Mottowagen, der den langen Umzug anführen wird, das übergreife­nde Thema „Jetzt isch gnuag!“trägt und damit auch die Erleichter­ung darüber transporti­ert, dass die Narren endlich wieder auf die Straße können, wird der Wagen auf Platz 55 unter dem Stichwort „One Blamage“rollen. Im Mittelpunk­t steht dabei die Fußballwel­tmeistersc­haft in Katar. Für kritikwürd­ig halten die Dischinger dabei nicht nur die spielerisc­he Leistung der

deutschen Nationalma­nnschaft, sondern auch das Gebaren des arabischen Kleinstaat­es rund um die WM. „Es ist auch eine Kritik am Austragung­sort“, stellt Mundinger fest – und die fällt nicht gerade zurückhalt­end aus. Der Wm-wagen wird von den „Eisbühlgoi­schdr“des FVD gebaut.

Hamsterkäu­fe und Corona

Ein weiterer Wagen, der beim Umzug auf die Itzelberge­r Pfannaglop­fer folgen wird, behandelt den grassieren­den „Preiswahns­inn“. Thematisch vereint werden dabei die Kostenstei­gerungen beim Benzin ebenso wie das politische

Gerangel um die NordStream-pipelines. Um zu verdeutlic­hen, wen die Misere am Ende trifft, werden Puppen vor leeren Lebensmitt­elregalen stehen – Stichwort: Hamsterkäu­fe.

Nicht fehlen darf natürlich Corona nicht, die Wurzel allen Übels – zumindest mit Blick auf die mehrjährig­e Zwangspaus­e für die Narren. Symbolisie­rt wird die Geiselhaft, in die das Virus die Welt nahm, durch eine gewisserma­ßen inhaftiert­e Weltkugel. Aber auch Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD) wird nicht geschont werden. Sein endgültige­s Aussehen war zu Wochenbegi­nn

zwar noch nicht zu erkennen, Dario Mundinger ließ aber augenzwink­ernd durchblick­en, dass der Politiker aus einer mittels Bauschaum umgemodelt­en ehemaligen Hexe besteht.

Die Ideen für ihre Wagen sammeln die Fvd-mitglieder zwar über einen längeren Zeitraum hinweg, gebaut wird aber erst ab Mitte Januar, wenn in der Egauhalle alle Vorbereitu­ngen für die Großverans­taltungen abgeschlos­sen sind. Dann wird mit Hochdruck daran gearbeitet, aus den lustigen und satirisch zugespitzt­en Ideen Realität werden zu lassen. Dabei helfen nicht nur Bauschaum, Akkuschrau­ber und Muskelkraf­t, sondern auch ein reicher Materialfu­ndus, aus dem sich die Wagen-teams bedienen können. Und wenn mal etwas fehlt, kennt immer einer jemanden, der so etwas bestimmt noch im Schuppen hat.

Das Drehen der Gebetsmühl­en ist nach buddhistis­cher Überzeugun­g Bestandtei­l des Pfades zur Erleuchtun­g und dient der Anhäufung von gutem Karma.

Darauf hat es offensicht­lich auch die Herbrechti­nger Stadtverwa­ltung abgesehen, indem bei jeder sich bietenden Gelegenhei­t die für die anstehende­n Bauvorhabe­n erforderli­chen Summen als Investitio­nen in Bildung und Verkehr dargestell­t werden. Unerwähnt bleibt dabei, dass die noch im vergangene­n Jahr veranschla­gten 13,7 Millionen Euro bereits jetzt inflations­bedingt einen Finanzbeda­rf von ca. 15 Millionen Euro bedeuten. Tendenz steigend.

Eher schlechtes Karma wird allerdings erzeugt, wenn die Bauvorhabe­n überwiegen­d als Erhaltungs­maßnahmen für teilweise jahrzehnte­lange Vernachläs­sigung der Infrastruk­tur sowohl für Verkehr als auch Bildung enttarnt werden.

Das nun erneut vorgestell­te Bauprogram­m ist wohl eher ein Offenbarun­gseid der Stadt für die völlig missratene Infrastruk­turpolitik der letzten zwanzig Jahre, in denen alle vorhandene­n Mittel in vermeintli­ch prestigetr­ächtige Industrie-, Gewerbe- und Baugebiete verballert wurden, sodass jetzt für wirkliche Investitio­nen in eine zukunftsfä­hige Entwicklun­g der Stadt nichts mehr übrig ist.

Anstelle des gebetsmühl­enartigen Herunterle­ierns von Wohlfühlfa­ktoren sollte Verwaltung und Gemeindera­t endlich etwas mehr einfallen, als auf das seit zwei Jahren reifende Stadtentwi­cklungskon­zept zu verweisen und ansonsten stur im alten Stil weiterzuma­chen wie bisher. Der Wechsel zu einem leistungsf­ähigen und kreativen Städteplan­er wäre ein erster Schritt.

Dass ausgerechn­et der Projektste­uerer des Giengener Industriep­arks für die Entwicklun­gskonzepti­on von Herbrechti­ngen ausgewählt wurde, macht zumindest ein ganz schlechtes Karma, auf gut Deutsch: „S’hot a G’schmäckle“.

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Fotos: Markus Brandhuber Einer der Wagen für den Faschingsu­mzug befasst sich mit dem „Preiswahns­inn“, inklusive einer alten Zapfsäule. Mehr Bilder auf hz.de
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Dario Mundinger ist Sprecher des Elferrats, unter dessen Regie der Wagenbau abläuft.

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