Eine Ex-hexe wird Minister
Für den großen Dischinger Umzug mit 130 Gruppen bereitet der Faschingsverein derzeit seine Wagen vor. Traditionell greifen die Narren dabei politische Themen auf.
Menschen Freude zu bereiten, muss nicht immer angenehm sein: Die Wagenbauteams des Dischinger Faschingsvereins stellen in diesen Tagen an teils klirrend kalten Abenden in allenfalls spärlich beheizten Halle ihre phantasievollen Gefährte fertig. Das gute Dutzend handwerklich begabter Narren stößt beim Atmen weiße Wölkchen aus. Dicke Jacken und warme Mützen sind da Pflicht.
Dario Mundinger ist Sprecher des Elferrats, der traditionell für den Wagenbau zuständig ist. Er hat die Ideen für die diesjährigen Wagen mit ausgeknobelt und kann die Ideen selbst noch nicht ganz fertiger Szenerien so farbenfroh schildern, dass sich das Bild vor dem geistigen Auge ergänzt.
Das Motto: „Jetzt isch gnuag!“
Dieses Jahr werden die Wagen des Faschingsvereins einmal mehr eine stark politische Schlagseite aufweisen – Lokalpolitik fehlt dabei allerdings. Vor Ort hätte sich kein Thema aufgedrängt,
so Mundinger. Dafür boten die vergangenen drei Jahre allerlei Entwicklungen, die sich auf die Schippe zu nehmen lohnten.
Während der Mottowagen, der den langen Umzug anführen wird, das übergreifende Thema „Jetzt isch gnuag!“trägt und damit auch die Erleichterung darüber transportiert, dass die Narren endlich wieder auf die Straße können, wird der Wagen auf Platz 55 unter dem Stichwort „One Blamage“rollen. Im Mittelpunkt steht dabei die Fußballweltmeisterschaft in Katar. Für kritikwürdig halten die Dischinger dabei nicht nur die spielerische Leistung der
deutschen Nationalmannschaft, sondern auch das Gebaren des arabischen Kleinstaates rund um die WM. „Es ist auch eine Kritik am Austragungsort“, stellt Mundinger fest – und die fällt nicht gerade zurückhaltend aus. Der Wm-wagen wird von den „Eisbühlgoischdr“des FVD gebaut.
Hamsterkäufe und Corona
Ein weiterer Wagen, der beim Umzug auf die Itzelberger Pfannaglopfer folgen wird, behandelt den grassierenden „Preiswahnsinn“. Thematisch vereint werden dabei die Kostensteigerungen beim Benzin ebenso wie das politische
Gerangel um die NordStream-pipelines. Um zu verdeutlichen, wen die Misere am Ende trifft, werden Puppen vor leeren Lebensmittelregalen stehen – Stichwort: Hamsterkäufe.
Nicht fehlen darf natürlich Corona nicht, die Wurzel allen Übels – zumindest mit Blick auf die mehrjährige Zwangspause für die Narren. Symbolisiert wird die Geiselhaft, in die das Virus die Welt nahm, durch eine gewissermaßen inhaftierte Weltkugel. Aber auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wird nicht geschont werden. Sein endgültiges Aussehen war zu Wochenbeginn
zwar noch nicht zu erkennen, Dario Mundinger ließ aber augenzwinkernd durchblicken, dass der Politiker aus einer mittels Bauschaum umgemodelten ehemaligen Hexe besteht.
Die Ideen für ihre Wagen sammeln die Fvd-mitglieder zwar über einen längeren Zeitraum hinweg, gebaut wird aber erst ab Mitte Januar, wenn in der Egauhalle alle Vorbereitungen für die Großveranstaltungen abgeschlossen sind. Dann wird mit Hochdruck daran gearbeitet, aus den lustigen und satirisch zugespitzten Ideen Realität werden zu lassen. Dabei helfen nicht nur Bauschaum, Akkuschrauber und Muskelkraft, sondern auch ein reicher Materialfundus, aus dem sich die Wagen-teams bedienen können. Und wenn mal etwas fehlt, kennt immer einer jemanden, der so etwas bestimmt noch im Schuppen hat.
Das Drehen der Gebetsmühlen ist nach buddhistischer Überzeugung Bestandteil des Pfades zur Erleuchtung und dient der Anhäufung von gutem Karma.
Darauf hat es offensichtlich auch die Herbrechtinger Stadtverwaltung abgesehen, indem bei jeder sich bietenden Gelegenheit die für die anstehenden Bauvorhaben erforderlichen Summen als Investitionen in Bildung und Verkehr dargestellt werden. Unerwähnt bleibt dabei, dass die noch im vergangenen Jahr veranschlagten 13,7 Millionen Euro bereits jetzt inflationsbedingt einen Finanzbedarf von ca. 15 Millionen Euro bedeuten. Tendenz steigend.
Eher schlechtes Karma wird allerdings erzeugt, wenn die Bauvorhaben überwiegend als Erhaltungsmaßnahmen für teilweise jahrzehntelange Vernachlässigung der Infrastruktur sowohl für Verkehr als auch Bildung enttarnt werden.
Das nun erneut vorgestellte Bauprogramm ist wohl eher ein Offenbarungseid der Stadt für die völlig missratene Infrastrukturpolitik der letzten zwanzig Jahre, in denen alle vorhandenen Mittel in vermeintlich prestigeträchtige Industrie-, Gewerbe- und Baugebiete verballert wurden, sodass jetzt für wirkliche Investitionen in eine zukunftsfähige Entwicklung der Stadt nichts mehr übrig ist.
Anstelle des gebetsmühlenartigen Herunterleierns von Wohlfühlfaktoren sollte Verwaltung und Gemeinderat endlich etwas mehr einfallen, als auf das seit zwei Jahren reifende Stadtentwicklungskonzept zu verweisen und ansonsten stur im alten Stil weiterzumachen wie bisher. Der Wechsel zu einem leistungsfähigen und kreativen Städteplaner wäre ein erster Schritt.
Dass ausgerechnet der Projektsteuerer des Giengener Industrieparks für die Entwicklungskonzeption von Herbrechtingen ausgewählt wurde, macht zumindest ein ganz schlechtes Karma, auf gut Deutsch: „S’hot a G’schmäckle“.