Schaut auf diese Stadt!
Von außen betrachtet ist Berlin Babylon im Endstadium. Ein Monster, das sich selbst zerstört. Großmäulig und voller Selbstzweifel. Löcher in den Straßen, Baustellen, die für die Ewigkeit eingezäunt werden, Fahrradwege, die im Nichts enden. Und wo kann man eine Wahl so gründlich in den Sand setzen, ohne dass irgendwer die politische Verantwortung übernimmt? Wo genehmigen die Behörden die architektonische Zerstörung der Stadt, die dann auch noch zur Zertrümmerung des öffentlichen Nahverkehrs führt? Ja, ja, ja: in Berlin. Dort, wo man drei Monate auf einen Behördentermin wartet, wo man Holzverschläge, die man auf Hauptstraßen stellt, Begegnungszonen nennt oder wo mit Schreckschusspistolen in Polizeiwagen geschossen wird. Berlin, so meinen viele, ist unregierbar geworden. Die Stadt müsse unter Aufsicht gestellt werden.
Aber unter welche? Unter die der Bundesregierung? Berlin D.C.? Oder sollen die vielen Zugezogenen aus Bayern, Baden-württemberg, Nordrhein-westfalen, Sachsen oder Brandenburg einen Sachverständigenrat bilden, der der maroden Stadt mal zeigt, wo ein ordentlicher Verwaltungshammer hängt? Aber sind die nicht auch Berlinerinnen und Berliner? Teil des Problems also? Bei der jetzigen Wahl haben eine Brandenburgerin und eine katholische Schwäbin die Chance, Regierende Bürgermeisterin zu werden. Es darf getrost bezweifelt werden, dass ein Mecklenburger in München ähnliche Toleranz erleben würde. Diese Toleranz, die zugegebenermaßen viel zu oft in Gleichgültigkeit ausartet, ist aber einer der Gründe, warum die Stadt nach wie vor enorme Anziehungskraft ausstrahlt. Klar, sie hat an anarchischem Charme eingebüßt. Dafür ist geldschwere und spießige Manpower eingerückt.
Aber es ist dann doch eine faszinierende Weltstadt, was man in Frankreich, China oder in den USA besser begreift als in den deutschen Bundesländern. Von 2021 bis 2025 wächst Berlin um fast 100 000 Einwohner. In Bayern, um nur dieses Beispiel zu nennen, gibt es drei Städte (München, Nürnberg und Augsburg), in denen mehr Menschen leben als im gemessen an der Bevölkerung kleinsten Berliner
Berlin hat Bau und Fall der Mauer überstanden. Eines Tages wird es gute Regierungen hervorbringen.
Stadtbezirk Spandau. Das Wirtschaftswachstum ist überdurchschnittlich, die Gründungszahl von Start-ups ebenfalls. Selbst im Bildungsranking ist die Metropole ins deutsche Mittelfeld aufgerückt. Berlin ist Demo-hauptstadt, kulinarisches Mekka und das kulturelle Zentrum des Landes.
Es stimmt: Berlin wird über weite Strecken schlecht regiert. Und es scheint egal zu sein, welche Partei an der Spitze steht. Die Verwaltung arbeitet wie zu Frontstadtzeiten. Andererseits landen hier erst einmal die meisten Flüchtlinge und die Stadt wird irgendwie damit fertig. Auch mit den Touristen, die zu Millionen und mit den Obdachlosen, die zu Tausenden kommen. Diese Stadt hat Mauerbau und Mauerfall überstanden. Eines Tages wird sie auch gute Regierungen hervorbringen. Bis dahin wäre es allerdings schön, wenn es regelmäßig mit dem Wählen klappte.