Das große Krabbeln
Mehlwürmer, Heuschrecken und seit kurzem zwei weitere Insektenarten sind in der EU als Lebensmittel zugelassen. Eine Herausforderung für Kunden, Hersteller und Tierschützer.
Die Entscheidung der Eu-kommission, mit der Grille und dem Getreideschimmelkäfer zwei weitere Insekten als Lebensmittel zuzulassen, hat für Wirbel gesorgt und Verbraucher verunsichert. Geht jetzt das große Krabbeln auf den deutschen Tellern los? Ein Überblick über die wichtigsten Fragen zum Thema.
Gesundheit Insekten seien proteinreich und hätten eine günstige Zusammensetzung von Fettsäuren, erklärt Astrid Donalies von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). „Generell sind Insekten reich an Eisen, Magnesium und Zink und enthalten verschiedene B-vitamine“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin. Insekten könnten einen wichtigen Beitrag zur Nahrungssicherung leisten und in Deutschland Abwechslung auf die Teller bringen, findet Donalies.
Sie warnt aber davor, die gesamte Proteinzufuhr mit tierischen Produkten zu decken und verweist auf Hülsenfrüchte oder Kartoffeln als pflanzliche Proteinquellen. Generell hat der durchschnittliche Verbraucher hierzulande laut der Dge-wissenschaftlerin „kein Problem mit der Zufuhr von Protein, im Gegenteil: Im Durchschnitt liegt die Aufnahme von Protein deutlich höher als die empfohlene Zufuhr“. Wieviele Kalorien man mit Insekten zu sich nimmt, ist laut Donalies je nach Fütterung und Art unterschiedlich: „Zwischen 300 und 600 kcal pro 100 Gramm ist alles dabei.“
Allergiker Wichtig ist ein Blick auf die Zutatenliste. Zwar seien allergische Reaktionen durch den Verzehr von Insekten in Europa bisher noch nicht gut untersucht, sagt die Dge-expertin Donalies. „Aber Beobachtungen im asiatischen Raum und dortige Studien zeigen: Es können durchaus allergische Symptome nach einer Insektenmahlzeit vorkommen – auch schwere oder tödliche Reaktionen.“
Die Kennzeichnung dieser Produkte reicht nicht aus, findet stellvertretend für die Verbraucherschützer hierzulande die Verbraucherzentrale Bayern – und fordert einen zusätzlichen Hinweis auf der Vorderseite der Verpackung. „Weil Verbraucher nicht unbedingt damit rechnen,
Zutatenliste
dass Insekten in Brot oder Nudeln verarbeitet worden sind“, sagt Daniela Krehl. Sie schränkt aber ein, dass es momentan noch kein Problem darstellen würde, da Insekten ein besonderes Produktmerkmal seien. „Alle Hersteller stellen das bisher eher heraus und geben es auf der Vorderseite an.“
Tierschutz „Wenn man davon ausgeht, dass Insekten ein Schmerzempfinden haben, ist das ganz klar Tierquälerei“, sagt Nina Brakebusch. Und von dieser Annahme müsse man auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse ausgehen, betont die Insekten-expertin beim Deutschen Tierschutzbund. Haltungsbedingungen für Insekten gebe es derzeit schlichtweg keine.
Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, will das ändern. „Für die Haltungsbedingungen sollte es Richtlinien geben“, sagt er. Auch die Tötungsmethoden seien nicht wissenschaftlich evaluiert, kritisiert Brakebusch. Die zwei häufigsten Methoden, um die Insekten zu töten, seien das Backen bei großer Hitze im Ofen sowie Schockfrieren. Beide Methoden seien sehr fehleranfällig: „Die Tiere werden nicht von der einen auf die andere Sekunde getötet, es dauert teilweise mehrere Minuten.“Aus Sicht des Tierschutzbundes endet die Tierquälerei allerdings nicht bei den Insekten. Um in der EU als neuartiges Lebensmittel zugelassen zu werden, muss durch Tierversuche nachgewiesen werden, dass das Produkt für den menschlichen Verzehr unbedenklich ist. Schweine, Mäuse und Ratten bekamen dafür 28 Tage lang nur Insektenbrei zu fressen. Danach wurden die Tiere geschlachtet und ihre Organe untersucht. „Der Erkenntnisgewinn für die Sicherheit des Menschen ist gleich null“, sagt Brakebusch. Der Vorgang sei an Absurdität fast nicht zu überbieten. „Wir wissen also durch die Versuche, dass Ratten Insekten vertragen – das wussten wir vorher schon, schließlich fressen sie diese in der Natur.“
Vegetarier Auch wenn Insekten als Pulver verarbeitet als Proteinquelle etwa in Fleischersatzprodukten eingesetzt werden, sind sie keine fleischlose Nahrung. Nach gängiger Definition essen Vegetarier keine toten Tiere und Veganer keine tierischen Produkte. „Auf gar keinen Fall“seien Insekten daher vegetarisch oder gar vegan, sagt Nina Brakebusch vom Tierschutzbund.
Markt Der Trend zu Insektenprodukten ist im Moment eher rückläufig. Bei einem Marktcheck im Jahr 2020 hatte die Verbraucherzentrale Bayern noch relativ viele Produkte gefunden. In der Zwischenzeit seien viele davon allerdings wieder vom Markt verschwunden, sagt Daniela Krehl. „Im Augenblick findet man relativ wenig, aber ich denke, dass da nochmal ein Push kommt.“Auch die Tierschützerin Brakebusch sieht aktuell eine Stagnation – zumindest beim menschlichen Konsum. „Bei der Futtermittelproduktion sieht es ganz anders aus.“Dort sollen Insekten den Einsatz von Soja reduzieren. Allerdings würden die Krabbler selbst häufig mit Soja gefüttert.