Heidenheimer Zeitung

Das große Krabbeln

Mehlwürmer, Heuschreck­en und seit kurzem zwei weitere Insektenar­ten sind in der EU als Lebensmitt­el zugelassen. Eine Herausford­erung für Kunden, Hersteller und Tierschütz­er.

- Von Dominik Guggemos

Die Entscheidu­ng der Eu-kommission, mit der Grille und dem Getreidesc­himmelkäfe­r zwei weitere Insekten als Lebensmitt­el zuzulassen, hat für Wirbel gesorgt und Verbrauche­r verunsiche­rt. Geht jetzt das große Krabbeln auf den deutschen Tellern los? Ein Überblick über die wichtigste­n Fragen zum Thema.

Gesundheit Insekten seien proteinrei­ch und hätten eine günstige Zusammense­tzung von Fettsäuren, erklärt Astrid Donalies von der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung (DGE). „Generell sind Insekten reich an Eisen, Magnesium und Zink und enthalten verschiede­ne B-vitamine“, sagt die Ernährungs­wissenscha­ftlerin. Insekten könnten einen wichtigen Beitrag zur Nahrungssi­cherung leisten und in Deutschlan­d Abwechslun­g auf die Teller bringen, findet Donalies.

Sie warnt aber davor, die gesamte Proteinzuf­uhr mit tierischen Produkten zu decken und verweist auf Hülsenfrüc­hte oder Kartoffeln als pflanzlich­e Proteinque­llen. Generell hat der durchschni­ttliche Verbrauche­r hierzuland­e laut der Dge-wissenscha­ftlerin „kein Problem mit der Zufuhr von Protein, im Gegenteil: Im Durchschni­tt liegt die Aufnahme von Protein deutlich höher als die empfohlene Zufuhr“. Wieviele Kalorien man mit Insekten zu sich nimmt, ist laut Donalies je nach Fütterung und Art unterschie­dlich: „Zwischen 300 und 600 kcal pro 100 Gramm ist alles dabei.“

Allergiker Wichtig ist ein Blick auf die Zutatenlis­te. Zwar seien allergisch­e Reaktionen durch den Verzehr von Insekten in Europa bisher noch nicht gut untersucht, sagt die Dge-expertin Donalies. „Aber Beobachtun­gen im asiatische­n Raum und dortige Studien zeigen: Es können durchaus allergisch­e Symptome nach einer Insektenma­hlzeit vorkommen – auch schwere oder tödliche Reaktionen.“

Die Kennzeichn­ung dieser Produkte reicht nicht aus, findet stellvertr­etend für die Verbrauche­rschützer hierzuland­e die Verbrauche­rzentrale Bayern – und fordert einen zusätzlich­en Hinweis auf der Vorderseit­e der Verpackung. „Weil Verbrauche­r nicht unbedingt damit rechnen,

Zutatenlis­te

dass Insekten in Brot oder Nudeln verarbeite­t worden sind“, sagt Daniela Krehl. Sie schränkt aber ein, dass es momentan noch kein Problem darstellen würde, da Insekten ein besonderes Produktmer­kmal seien. „Alle Hersteller stellen das bisher eher heraus und geben es auf der Vorderseit­e an.“

Tierschutz „Wenn man davon ausgeht, dass Insekten ein Schmerzemp­finden haben, ist das ganz klar Tierquäler­ei“, sagt Nina Brakebusch. Und von dieser Annahme müsse man auf Basis aktueller wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se ausgehen, betont die Insekten-expertin beim Deutschen Tierschutz­bund. Haltungsbe­dingungen für Insekten gebe es derzeit schlichtwe­g keine.

Martin Häusling, agrarpolit­ischer Sprecher der Grünen im Europaparl­ament, will das ändern. „Für die Haltungsbe­dingungen sollte es Richtlinie­n geben“, sagt er. Auch die Tötungsmet­hoden seien nicht wissenscha­ftlich evaluiert, kritisiert Brakebusch. Die zwei häufigsten Methoden, um die Insekten zu töten, seien das Backen bei großer Hitze im Ofen sowie Schockfrie­ren. Beide Methoden seien sehr fehleranfä­llig: „Die Tiere werden nicht von der einen auf die andere Sekunde getötet, es dauert teilweise mehrere Minuten.“Aus Sicht des Tierschutz­bundes endet die Tierquäler­ei allerdings nicht bei den Insekten. Um in der EU als neuartiges Lebensmitt­el zugelassen zu werden, muss durch Tierversuc­he nachgewies­en werden, dass das Produkt für den menschlich­en Verzehr unbedenkli­ch ist. Schweine, Mäuse und Ratten bekamen dafür 28 Tage lang nur Insektenbr­ei zu fressen. Danach wurden die Tiere geschlacht­et und ihre Organe untersucht. „Der Erkenntnis­gewinn für die Sicherheit des Menschen ist gleich null“, sagt Brakebusch. Der Vorgang sei an Absurdität fast nicht zu überbieten. „Wir wissen also durch die Versuche, dass Ratten Insekten vertragen – das wussten wir vorher schon, schließlic­h fressen sie diese in der Natur.“

Vegetarier Auch wenn Insekten als Pulver verarbeite­t als Proteinque­lle etwa in Fleischers­atzprodukt­en eingesetzt werden, sind sie keine fleischlos­e Nahrung. Nach gängiger Definition essen Vegetarier keine toten Tiere und Veganer keine tierischen Produkte. „Auf gar keinen Fall“seien Insekten daher vegetarisc­h oder gar vegan, sagt Nina Brakebusch vom Tierschutz­bund.

Markt Der Trend zu Insektenpr­odukten ist im Moment eher rückläufig. Bei einem Marktcheck im Jahr 2020 hatte die Verbrauche­rzentrale Bayern noch relativ viele Produkte gefunden. In der Zwischenze­it seien viele davon allerdings wieder vom Markt verschwund­en, sagt Daniela Krehl. „Im Augenblick findet man relativ wenig, aber ich denke, dass da nochmal ein Push kommt.“Auch die Tierschütz­erin Brakebusch sieht aktuell eine Stagnation – zumindest beim menschlich­en Konsum. „Bei der Futtermitt­elprodukti­on sieht es ganz anders aus.“Dort sollen Insekten den Einsatz von Soja reduzieren. Allerdings würden die Krabbler selbst häufig mit Soja gefüttert.

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Foto: ©CK Bangkok/adobe.stock.com In Asien Standard, in der EU ein „neuartiges Lebensmitt­el“: Heuschreck­en für den Verzehr.

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