Die meisten Patienten wollen digitale Akte
Karl Lauterbach macht Druck: Wer analog leben will, muss künftig aktiv widersprechen.
Seit 20 Jahren arbeitet Deutschland an der Einführung der elektronischen Patientenakte (EPA) – bisher mit bescheidenem Erfolg. Von 74 Millionen gesetzlich Krankenversicherten haben knapp 600 000 ihre Befunde, Überweisungen, Medikamentenpläne und Impfnachweise digital griffbereit. Dabei zeigen Erfahrungen aus anderen Ländern: Wenn jeder Arzt weiß, was ein anderer Mediziner verordnet, welche Untersuchungen er ausgeführt hat, spart das Zeit und Geld. Werden noch Messwerte zu Bewegung und Puls, die viele mit einem schlauen Armband erheben, der Akte zugefügt, ergibt das eine Datenlage, die Behandlungsfehler vermeiden kann.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat deshalb bereits mehrfach angekündigt, die epavergabe in Kürze umdrehen zu wollen. Der Fachbegriff dafür lautet Opt-out. Was bedeutet: Alle Versicherten bekommen automatisch eine elektronische Akte. Wer das nicht will, muss aktiv widersprechen.
Und offenbar gibt es für diese Lösung breite Zustimmung in der Bevölkerung. Das zumindest hat jetzt eine Umfrage der Bertelsmann-stiftung ergeben. Demnach gaben zwei Drittel der Befragten an, dass sie die Widerspruchslösung bei der EPA befürworten. Bisher muss die EPA vor der Einrichtung vom Versicherten aktiv freigeschaltet werden (Opt-in).
Mehr Ablehnung im Osten
Auch die Befüllung mit Daten und deren Nutzung in der Arztpraxis oder im Krankenhaus erfordern ein individuelles Einverständnis. „Dieses komplizierte Einwilligungsverfahren dürfte einer der Gründe sein, weshalb in Deutschland
bisher nicht einmal ein Prozent der Versicherten die EPA nutzen. In Österreich, wo Opt-out schon seit Jahren gilt, sind es 97 Prozent“, sagt Bertelsmann-gesundheitsexperte Stefan Etgeton.
Tatsächlich nutzen wollen die so unters Volk gebrachte digitale Akte dann drei Viertel aller Befragten, hochgerechnet wären das rund 55 Millionen Versicherte. Allerdings sind die Vorbehalte gegen die EPA im Osten größer: Ein Drittel der Befragten in Ostdeutschland will sie nicht nutzen. Insgesamt aber werden die Vorteile laut der Umfrage durchaus gesehen. Von einem schnellen und umfassenden Zugriff auf Informationen in der Arztpraxis versprechen sich die Befragten eine bessere medizinische Behandlung. Mehr als ein Drittel (37 Prozent) erwartet sogar eine Verbesserung im Arzt-patienten-verhältnis.
Die größten Vorbehalte bestehen hinsichtlich des Datenschutzes. Und: Nur 40 Prozent der Befragten würden ihre Daten generell für alle behandelnden Ärzte freigeben. Der Rest will selbst entscheiden, wer was zu sehen bekommt.