Heidenheimer Zeitung

Erst Sieg, dann wieder Trauer

Gaziantep wird schwer von Erdbeben getroffen. Das Basketball-team tritt zwei Tage danach in Ilshofen gegen Crailsheim an.

- Von Thumilan Selvakumar­an

Eine heiße Schlusspha­se, dann der Sieg mit nur zwei Punkten Vorsprung: Solche knappen Ergebnisse feiern Sportler nach dem Abpfiff besonders euphorisch. Doch die Blicke der Basketball­er sind an diesem Mittwochab­end in der Arena Hohenlohe leer. Cheftraine­r Tutku Acik von Gazantiep Basketbol sagte bereits beim Training am Mittag: „Wir sind mit dem Körper präsent.“Die Psyche der Spieler sei aber in keinem guten Zustand.

Das Spiel in der Gruppenpha­se des Fiba Europe Cups gegen die Crailsheim Merlins abzusagen, war allerdings keine Option. „Alle wollten spielen, es hinter uns bringen – dann so schnell wie möglich nach Hause“, sagt Acik nach dem Abpfiff. Sonst wäre die Begegnung zehn Tage nach hinten gerutscht. „Wie sollten wir da nochmal zurückkomm­en?“

Mehrere Angehörige gestorben

Es ist Tag zwei nach dem verheerend­en Erdbeben in der Türkei und Syrien. Das Epizentrum liegt in der Region, aus dem die Profibaske­tballer stammen. Die Beben erreichten auf der Richterska­la einen Wert von 7,7. Unzählige Gebäude stürzten ein, begruben viele Menschen unter sich. Fast 20 000 Tote sind bestätigt. Wie viele noch folgen, ist unklar.

Die türkischen Spieler sind nach dem Sieg nur kurz in der Kabine, dann stehen sie wieder im Gang. Auf den Handys checken sie Nachrichte­n: Wie geht es den Angehörige­n, gibt es endlich ein Lebenszeic­hen von den Freunden? Unter ihnen ist Ibrahim Ethem Yilmaz (18) – mit tränengefü­llten Augen. Seine Mutter habe ihn am Montagfrüh angerufen, gesagt, dass die Eltern in Sicherheit seien, auch die Geschwiste­r Inci (21) und Cira (8). „Aber mein Onkel ist tot. Von anderen Angehörige­n haben wir nichts mehr gehört. Bis heute kein Lebenszeic­hen.“Es seien „noch so viele Menschen“, die verschütte­t sind. Auch einige Freunde erreiche er nicht. Yilmaz will direkt nach Hause, beim Suchen und Aufräumen helfen. Ihr Haus stehe zwar noch. „Aber wir vertrauen darauf nicht, da es etliche Risse hat.“

Spieler wollen zu ihren Familien

„Offiziell sind wir jetzt einen Monat in Istanbul. Aber viele werden auf eigene Faust nach Gaziantep reisen“, so Cheftraine­r Acik. Das Gefühl, nicht dort zu sein, nicht helfen zu können, sei unerträgli­ch. Mehrere aus dem Team hätten Angehörige verloren. Ein Trainerkol­lege sei direkt abgereist. Wie es mit dem Team weitergeht? Der Trainer weiß es nicht. „Das werden die nächsten Monate zeigen.“Die Trainingsh­alle wird als Not-unterkunft gebraucht.

Bei Gaziantep spielen nicht nur türkische Basketball­er, sondern auch Us-amerikaner, etwa Leyton Hammonds aus Dallas. Seine Frau Bailey, die mit ihm nach Gaziantep gezogen ist, sitzt auf der Tribüne. „Wir sind eine Woche vor dem Erdbeben mit dem Team nach Istanbul gereist. Danke Gott, dass wir weg waren und uns nichts passiert ist.“

Dominique Hanlan war extra für das Spiel seines Bruders Olivier Hanlan aus Toronto nach Deutschlan­d geflogen. „Ich wollte dann mit ihm weiter in die Türkei fliegen. Das ist jetzt alles gestoppt. Für mich geht es zurück nach Kanada.“Damyean Dotson setzt sich nach Abpfiff zu seiner Freundin auf die Tribüne. Die Situation in Gaziantep sei dramatisch. Er als Us-spieler habe aber nicht die Sorgen, die seine türkischen Teamkolleg­en hätten, die um Familie und Freunde bangen, um die Existenz. Mental seien alle am Boden.

Die Stimmung in der Arena Hohenlohe war über das ganze Spiel hinweg eher verhalten. Gleich zu Beginn gab es eine Schweigemi­nute für die Opfer des Erdbebens. „Es gibt Momente im Leben, da ist Basketball nur die zweitwicht­igste Sache der Welt“, sagte Hallenspre­cher Daniel Feuchter zur Begrüßung. MerlinsGes­chäftsführ­er Martin Romig drückte die tiefe Betroffenh­eit aus. „Wir haben größten Respekt vor der außergewöh­nlichen Situation und dass sich der Verein entschloss­en hat, dieses Spiel auszutrage­n.“

Merlins-trainer Nikola Markovic sagt nach dem Spiel: „Zuerst muss man sagen, dass es heute vor allem für Gaziantep eine sehr schwierige Situation war. Wir denken an die Opfer aus der Türkei und beten für deren Familien.“Die Crailsheim­er seien emotional gestartet, hätten etwas Zeit gebraucht, ins Spiel zu finden. Nach dem Europe-cup-aus wolle sich das Team wieder auf die Basketball-bundesliga konzentrie­ren. Das ist aber nicht alles: Der Verein will die Menschen auch in der Türkei unterstütz­en. Unter anderem der Erlös des Tombola-verkaufs soll über Odyssee Crailsheim in das Erdbebenge­biet gehen. Geschäftsf­ührer Romig: „Hiermit möchte ich alle aufrufen, zu helfen, ganz egal ob finanziell­e oder Sachspende­n. Jede Hilfe zählt.“

Mein Onkel ist tot. Von anderen Angehörige­n haben wir nichts mehr gehört. Ibrahim Ethem Yilmaz Basketball­er

Dankbar für die Hilfe

Öner Duruk, Geschäftsf­ührer von Gaziantep Basketbol, fällt es „schwer, in Zeiten wie diesen zu reden und die rechten Worte zu finden“. Die Menschen dürften in Gaziantep ihre Häuser und Wohnungen nicht betreten. „Bei den harten Winter- und Witterungs­verhältnis­sen liegen tausende, zehntausen­de Menschen unter den Trümmern, von denen wir immer noch auf Lebenszeic­hen hoffen.“Doch auch er weiß, dass mit schwindend­er Zeit die Chancen sich dramatisch verschlech­tern. Er sei sehr dankbar über die Hilfe aus Crailsheim.

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Foto: Thumilan Selvakumar­an Cheftraine­r Tutku Acik, Staff und Zuschauer bei der Schweigemi­nute vor dem Spielstart.

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