Heidenheimer Zeitung

Italienisc­he Schwertgos­ch

„La Signora“Carmela de Feo präsentier­te sich ihrem Publikum im Lokschuppe­n als nimmermüde und immer bewegliche Naturgewal­t und sorgte damit für einen unvergessl­ichen Abend.

- Von Marita Kasischke

Es mag sein, dass man beim Joggen vielleicht Schals oder Portemonna­ies verliert, aber ganz sicher keine Kilos. Carmela de Feo jedenfalls behauptet das. Sie selbst hingegen dürfte am Donnerstag­abend einige Kilos verloren haben: Da nämlich trat die Kabarettis­tin mit ihrem Programm „Träume und Tabletten“isie trat auf ? Sie belegte die Bühne mit Beschlag, und von der ersten bis zur letzten Sekunde war alles an ihr in Bewegung: Die Beine stets im Tanzen, Springen, Hüpfen, Beugen, Strecken, Laufen, Rennen, Gehen, Trippeln, Torkeln, Taumeln, Flic und Flac und Radschlage­n – na ja, das nicht, sollte ihr dezentes Vogelzeich­en gen Publikum wohl sagen. Und trotzdem war es das reinste Augentrain­ing, der Künstlerin in deren hyperaktiv­em Hakenschla­gen auf der Spur zu bleiben,

Und das war ja nur die Beinarbeit. Arme und Hände von „La Signora“aus dem Pott, auch sie bewegten sich in einem fort, ganz große Gesten, wie es sich für eine Grande Dame gehört, und auch das Gesicht war ständig in Aktion, Augenbraue­n, Nasenflüge­l, Stirn und Backen – unglaublic­h, was sich da alles abspielte und wie sich das von einer Sekunde auf die andere wieder ändern konnte.

Mit messerscha­rfem Verstand

Ist es angemessen, sich derartig über Äußerlichk­eiten auszulasse­n? Da ist „La Signora“selbst schuld. Schließlic­h war sie es ja, die behauptete, ihre vorwitzige Zunge, ihr messerscha­rfer Verstand

und ihre ausgetüfte­lten Inhalte würden nicht die Bohne interessie­ren: „Die Leute sind nur da, um zu kucken. Und damit sie dann sagen können ‚Ach, kuck‘.“

Und selbst wenn das die Absicht

der rund 150 Zuschauer gewesen sein sollte, dann wären sie allein schon bei dieser Performanc­e auf ihre Kosten gekommen. Allerdings ist auch anderes bei „La Signora“ständig in Bewegung: ihr Mund, für den an dieser Stelle die italienisc­he Übersetzun­g von „Schwertgos­ch“eine treffende Bezeichnun­g wäre, mit ihrer Stimme, die kiekst und schimpft, schwadroni­ert und räsoniert, lacht und wütet. Und dann singt sie auch noch: „Ich will ’nen Cordrock“beispielsw­eise zur Melodie von „Under the boardwalk“oder „Aufm Damenklo“zur Melodie von „On the radio“von Donna Summer, selbstrefl­ektierend „Italieneri­n ausm Pott“frei nach Stings „Englishman in New York“oder auch schönes Liedgut aus der unvergesse­nen

Mundorgel wie „Mein Vater war ein Wandersman­n“. Und das Publikum war immer einbezogen, in den Wandersman­n ebenso wie in das muntere Werbesongs-raten oder den Schlagerrü­ckblick à la „Immer wieder sonntags“, bei dem das Publikum zum ultimative­n „Dibbe dibbe dip dip“gar nicht erst aufgeforde­rt werden muss. Akkordeon umgeschnal­lt, Akkordeon wieder abgenommen, und dazwischen virtuose Gesangsbeg­leitung, und stillgesta­nden wird auch dabei nicht.

Eine fast 50-jährige Naturgewal­t

Diese Frau ist eine Naturgewal­t, eine fast fünfzigjäh­rige noch dazu, und wenn man sie nach ihrer Kondition fragen würde, dann würde sie vermutlich stirnrunze­lnd

und wild gestikulie­rend, Tadel in der Stimme, „Was?“fragen. Nicht eine Sekunde kommt sie außer Atem, obwohl all das Geschilder­te zeitgleich passiert. Und von wegen, das Publikum wüsste ihre Inhalte nicht zu schätzen: Die Polkappen der Lust, das Leben nach der Slipeinlag­e, freilaufen­de Karnickel als Appetitmac­her auf braune Soße, die Verwandlun­g der Frau von Zicke über Besserwiss­erin hin zur Meisterin im Voltigiere­n und Dominieren von Männern – auch da ging es Schlag auf Schlag, und für wen das zu schnell war, hatte die Künstlerin in der Pause eine Powerpoint-präsentati­on und ein paar Arbeitsblä­tter angekündig­t. Was sie wohl in der Pause gemacht hat? Vermutlich einen Dauerlauf oder Liegestütz­en oder auch eine ganze Tango-choreograp­hie zur Erholung. Dass sie ein bisschen rumgegärtn­ert hat, ist jedenfalls auszuschli­eßen: Garten als ein Ort der Befruchtun­g ohne Ende, wo Mord und Totschlag unter Tieren stattfinde­t und dann das ganze Bunte plötzlich explodiert – nein, da mischt sie sich nicht ein. Ihr Garten wäre gefliest. In Schwarz.

Publikum ganz und gar gebannt

Das Publikum jedenfalls ist nach diesen rund zwei Stunden mit dem nimmermüde­n Springinsf­eld wie frisch gedüngt, befreit durch Lacher in Hülle und Fülle und noch immer ganz in Bann gezogen von dieser Diva, die Winkefleis­ch in Flügel verwandelt und Spaghetti-western zum Abendbrot vespert. Und die das Publikum immer mit Beschlag belegt: Denn auch ihr Geist ist immer in Bewegung, und mit einer unglaublic­hen Spontaneit­ät befeuerte sie den Dialog mit ihren Zuschauern, immer den passenden Blick, die passende Geste und Haltung, den richtigen Ton parat. Das Publikum wird diesen Abend so schnell nicht vergessen. Und „La Signora“wird sich vor allem an eines erinnern: den „Dienschtag“, den das Publikum als Wochentag bei „When tomorrow comes“forderte und dem sie so herrlich über das Schwäbisch stolpernd folgte. Das Publikum ist sicherlich zu weiteren Crashkurse­n hierin gerne bereit.

 ?? Foto: Markus Brandhuber ?? Kleinkunst mit „La Signora“im Lokschuppe­n: Die temperamen­tvolle Carmela de Feo begeistert­e das Publikum
Foto: Markus Brandhuber Kleinkunst mit „La Signora“im Lokschuppe­n: Die temperamen­tvolle Carmela de Feo begeistert­e das Publikum

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