Italienische Schwertgosch
„La Signora“Carmela de Feo präsentierte sich ihrem Publikum im Lokschuppen als nimmermüde und immer bewegliche Naturgewalt und sorgte damit für einen unvergesslichen Abend.
Es mag sein, dass man beim Joggen vielleicht Schals oder Portemonnaies verliert, aber ganz sicher keine Kilos. Carmela de Feo jedenfalls behauptet das. Sie selbst hingegen dürfte am Donnerstagabend einige Kilos verloren haben: Da nämlich trat die Kabarettistin mit ihrem Programm „Träume und Tabletten“isie trat auf ? Sie belegte die Bühne mit Beschlag, und von der ersten bis zur letzten Sekunde war alles an ihr in Bewegung: Die Beine stets im Tanzen, Springen, Hüpfen, Beugen, Strecken, Laufen, Rennen, Gehen, Trippeln, Torkeln, Taumeln, Flic und Flac und Radschlagen – na ja, das nicht, sollte ihr dezentes Vogelzeichen gen Publikum wohl sagen. Und trotzdem war es das reinste Augentraining, der Künstlerin in deren hyperaktivem Hakenschlagen auf der Spur zu bleiben,
Und das war ja nur die Beinarbeit. Arme und Hände von „La Signora“aus dem Pott, auch sie bewegten sich in einem fort, ganz große Gesten, wie es sich für eine Grande Dame gehört, und auch das Gesicht war ständig in Aktion, Augenbrauen, Nasenflügel, Stirn und Backen – unglaublich, was sich da alles abspielte und wie sich das von einer Sekunde auf die andere wieder ändern konnte.
Mit messerscharfem Verstand
Ist es angemessen, sich derartig über Äußerlichkeiten auszulassen? Da ist „La Signora“selbst schuld. Schließlich war sie es ja, die behauptete, ihre vorwitzige Zunge, ihr messerscharfer Verstand
und ihre ausgetüftelten Inhalte würden nicht die Bohne interessieren: „Die Leute sind nur da, um zu kucken. Und damit sie dann sagen können ‚Ach, kuck‘.“
Und selbst wenn das die Absicht
der rund 150 Zuschauer gewesen sein sollte, dann wären sie allein schon bei dieser Performance auf ihre Kosten gekommen. Allerdings ist auch anderes bei „La Signora“ständig in Bewegung: ihr Mund, für den an dieser Stelle die italienische Übersetzung von „Schwertgosch“eine treffende Bezeichnung wäre, mit ihrer Stimme, die kiekst und schimpft, schwadroniert und räsoniert, lacht und wütet. Und dann singt sie auch noch: „Ich will ’nen Cordrock“beispielsweise zur Melodie von „Under the boardwalk“oder „Aufm Damenklo“zur Melodie von „On the radio“von Donna Summer, selbstreflektierend „Italienerin ausm Pott“frei nach Stings „Englishman in New York“oder auch schönes Liedgut aus der unvergessenen
Mundorgel wie „Mein Vater war ein Wandersmann“. Und das Publikum war immer einbezogen, in den Wandersmann ebenso wie in das muntere Werbesongs-raten oder den Schlagerrückblick à la „Immer wieder sonntags“, bei dem das Publikum zum ultimativen „Dibbe dibbe dip dip“gar nicht erst aufgefordert werden muss. Akkordeon umgeschnallt, Akkordeon wieder abgenommen, und dazwischen virtuose Gesangsbegleitung, und stillgestanden wird auch dabei nicht.
Eine fast 50-jährige Naturgewalt
Diese Frau ist eine Naturgewalt, eine fast fünfzigjährige noch dazu, und wenn man sie nach ihrer Kondition fragen würde, dann würde sie vermutlich stirnrunzelnd
und wild gestikulierend, Tadel in der Stimme, „Was?“fragen. Nicht eine Sekunde kommt sie außer Atem, obwohl all das Geschilderte zeitgleich passiert. Und von wegen, das Publikum wüsste ihre Inhalte nicht zu schätzen: Die Polkappen der Lust, das Leben nach der Slipeinlage, freilaufende Karnickel als Appetitmacher auf braune Soße, die Verwandlung der Frau von Zicke über Besserwisserin hin zur Meisterin im Voltigieren und Dominieren von Männern – auch da ging es Schlag auf Schlag, und für wen das zu schnell war, hatte die Künstlerin in der Pause eine Powerpoint-präsentation und ein paar Arbeitsblätter angekündigt. Was sie wohl in der Pause gemacht hat? Vermutlich einen Dauerlauf oder Liegestützen oder auch eine ganze Tango-choreographie zur Erholung. Dass sie ein bisschen rumgegärtnert hat, ist jedenfalls auszuschließen: Garten als ein Ort der Befruchtung ohne Ende, wo Mord und Totschlag unter Tieren stattfindet und dann das ganze Bunte plötzlich explodiert – nein, da mischt sie sich nicht ein. Ihr Garten wäre gefliest. In Schwarz.
Publikum ganz und gar gebannt
Das Publikum jedenfalls ist nach diesen rund zwei Stunden mit dem nimmermüden Springinsfeld wie frisch gedüngt, befreit durch Lacher in Hülle und Fülle und noch immer ganz in Bann gezogen von dieser Diva, die Winkefleisch in Flügel verwandelt und Spaghetti-western zum Abendbrot vespert. Und die das Publikum immer mit Beschlag belegt: Denn auch ihr Geist ist immer in Bewegung, und mit einer unglaublichen Spontaneität befeuerte sie den Dialog mit ihren Zuschauern, immer den passenden Blick, die passende Geste und Haltung, den richtigen Ton parat. Das Publikum wird diesen Abend so schnell nicht vergessen. Und „La Signora“wird sich vor allem an eines erinnern: den „Dienschtag“, den das Publikum als Wochentag bei „When tomorrow comes“forderte und dem sie so herrlich über das Schwäbisch stolpernd folgte. Das Publikum ist sicherlich zu weiteren Crashkursen hierin gerne bereit.