Mehr als Theke und Thunfischsalat
Von Pizza bis Punkrock, von Schnaps bis Spielegruppe, von Rentnern bis Rastas: Kaum eine andere Kneipe in Heidenheim deckte eine derartige Bandbreite ab. Jetzt ist Schluss. Leider.
Die gute Nachricht: Das Foto mit dem Supermodel Tyra Banks hängt noch über den Urinalen in der Herrentoilette des „Mohren“. Der ein oder andere Gast wird, vermutlich unter Einfluss alkoholischer Getränke, vergeblich versucht haben, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Solche Szenen werden sich nicht mehr abspielen.
Denn, und das ist die schlechte Nachricht: der „Mohren“wird nicht wieder öffnen. Eine der letzten Heidenheimer Kultkneipen, die über Jahrzehnte allen gastronomischen Moden getrotzt hat – sogar zuletzt, als sich die Nachbarschaft zum Trendviertel entwickelt hat, wird derzeit leer geräumt.
Pächter Jürgen Kliemas, wahrscheinlich besser bekannt als Yogi, kann aus gesundheitli- chen Gründen nicht weitermachen. Mit dem Eigentümer, derzeit im Ausland befindlich, hat er vereinbart, das Haus leer zu übergeben. Was daraus wird? Das wird sich zeigen.
Für den Moment bleibt festzuhalten: Unter Gästen, solchen, die gewissermaßen zum Inventar gehörten, und jenen, die nur sporadisch oder zu besonderen Anlässen vorbeigeschaut haben, herrscht großes Bedauern.
Für die Generation, die mit einem prallen Angebot an Stätten der Zerstreuung erwachsen geworden ist – man denke an Klappe, Tempo, Gselle, Mom, Coupé, K2 oder Felsen war der „Mohren“fast schon so etwas wie eine letzte Bastion. Ein Ort, an dem man beispielsweise am Tag vor Heiligabend auf die Vergangenheit
traf. Von 1981 an wurde die Kneipe von Ligor Senlikoglu geführt. Liko holte Mitte der 1990er-jahre Jürgen Kliemas mit ins Boot. Beide kannten sich durchs Fußballspielen, aber auch über die Tauchschule in der direkten Nachbarschaft, in der Yogi aktiv war. Nach dem Ausstieg von Senlikoglu führte Yogi den „Mohren“zwei Jahrzehnte alleine, zuletzt durch die Corona-zeit.
Insgesamt hat der „Mohren“an der Heidenheimer Christianstraße aber 145 Jahre auf dem Buckel: Am 15. Dezember 1877 war im „Grenzboten“zu lesen: „Eröffnung mit Metzelsuppe. Einem werthen Publikum mache ich die ergebenste Anzeige, dass ich Samstag den 15. ds. Mts. die Wirthschaft zum Mohren eröffne und werde es mir angelegen sein lassen, mich zu rechtfertigen mit guten Speisen und Getränken. Achtungsvollst lade ein und sehe zahlreichem Besuche entgegen. H. Tränkle, Pächter zum Mohren.“Metzelsuppe hatte der „Mohren“der jüngeren Vergangenheit nicht auf der Speisekarte, dafür selbst gekochtes Tagesessen, Thunfischsalat und natürlich Schnitzel mit Pommes. Alles zu normalen Preisen. Abgehobenheit: suchte man vergeblich in der Kneipe. Hinter der Theke und davor, obwohl das Publikum vielschichtig war, wie vielleicht sonst nirgends in den Gaststätten der Stadt.
Hier saßen die Rentner, dort die Spielegruppe und dazwischen Sportler. Private Partys, Konzerte, Grillen, Laufgruppe, Charity-aktionen, Musik und Dusche vor
der Tür beim Stadtlauf, Biergarten auf der Terrasse, ein durch und durch verqualmter Raucherraum, Fußball schauen in Zeiten,
in denen Bezahlsender für Kneipenbetreiber noch tragbar waren, Looping-louie-nachmittage um Schnäpse: All das und noch
viel mehr war der „Mohren“. Für manche war der „Mohren“gar ein Stück Heimat. Es leben die Erinnerungen.