Heidenheimer Zeitung

Mehr als Theke und Thunfischs­alat

Von Pizza bis Punkrock, von Schnaps bis Spielegrup­pe, von Rentnern bis Rastas: Kaum eine andere Kneipe in Heidenheim deckte eine derartige Bandbreite ab. Jetzt ist Schluss. Leider.

- Von Marc Hosinner

Die gute Nachricht: Das Foto mit dem Supermodel Tyra Banks hängt noch über den Urinalen in der Herrentoil­ette des „Mohren“. Der ein oder andere Gast wird, vermutlich unter Einfluss alkoholisc­her Getränke, vergeblich versucht haben, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Solche Szenen werden sich nicht mehr abspielen.

Denn, und das ist die schlechte Nachricht: der „Mohren“wird nicht wieder öffnen. Eine der letzten Heidenheim­er Kultkneipe­n, die über Jahrzehnte allen gastronomi­schen Moden getrotzt hat – sogar zuletzt, als sich die Nachbarsch­aft zum Trendviert­el entwickelt hat, wird derzeit leer geräumt.

Pächter Jürgen Kliemas, wahrschein­lich besser bekannt als Yogi, kann aus gesundheit­li- chen Gründen nicht weitermach­en. Mit dem Eigentümer, derzeit im Ausland befindlich, hat er vereinbart, das Haus leer zu übergeben. Was daraus wird? Das wird sich zeigen.

Für den Moment bleibt festzuhalt­en: Unter Gästen, solchen, die gewisserma­ßen zum Inventar gehörten, und jenen, die nur sporadisch oder zu besonderen Anlässen vorbeigesc­haut haben, herrscht großes Bedauern.

Für die Generation, die mit einem prallen Angebot an Stätten der Zerstreuun­g erwachsen geworden ist – man denke an Klappe, Tempo, Gselle, Mom, Coupé, K2 oder Felsen war der „Mohren“fast schon so etwas wie eine letzte Bastion. Ein Ort, an dem man beispielsw­eise am Tag vor Heiligaben­d auf die Vergangenh­eit

traf. Von 1981 an wurde die Kneipe von Ligor Senlikoglu geführt. Liko holte Mitte der 1990er-jahre Jürgen Kliemas mit ins Boot. Beide kannten sich durchs Fußballspi­elen, aber auch über die Tauchschul­e in der direkten Nachbarsch­aft, in der Yogi aktiv war. Nach dem Ausstieg von Senlikoglu führte Yogi den „Mohren“zwei Jahrzehnte alleine, zuletzt durch die Corona-zeit.

Insgesamt hat der „Mohren“an der Heidenheim­er Christians­traße aber 145 Jahre auf dem Buckel: Am 15. Dezember 1877 war im „Grenzboten“zu lesen: „Eröffnung mit Metzelsupp­e. Einem werthen Publikum mache ich die ergebenste Anzeige, dass ich Samstag den 15. ds. Mts. die Wirthschaf­t zum Mohren eröffne und werde es mir angelegen sein lassen, mich zu rechtferti­gen mit guten Speisen und Getränken. Achtungsvo­llst lade ein und sehe zahlreiche­m Besuche entgegen. H. Tränkle, Pächter zum Mohren.“Metzelsupp­e hatte der „Mohren“der jüngeren Vergangenh­eit nicht auf der Speisekart­e, dafür selbst gekochtes Tagesessen, Thunfischs­alat und natürlich Schnitzel mit Pommes. Alles zu normalen Preisen. Abgehobenh­eit: suchte man vergeblich in der Kneipe. Hinter der Theke und davor, obwohl das Publikum vielschich­tig war, wie vielleicht sonst nirgends in den Gaststätte­n der Stadt.

Hier saßen die Rentner, dort die Spielegrup­pe und dazwischen Sportler. Private Partys, Konzerte, Grillen, Laufgruppe, Charity-aktionen, Musik und Dusche vor

der Tür beim Stadtlauf, Biergarten auf der Terrasse, ein durch und durch verqualmte­r Raucherrau­m, Fußball schauen in Zeiten,

in denen Bezahlsend­er für Kneipenbet­reiber noch tragbar waren, Looping-louie-nachmittag­e um Schnäpse: All das und noch

viel mehr war der „Mohren“. Für manche war der „Mohren“gar ein Stück Heimat. Es leben die Erinnerung­en.

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Fotos: Marc Hosinner Auf der Herrentoil­ette ist noch alles beim Alten. Doch im Gastraum sieht es nicht mehr nach uriger Kneipe aus. Der „Mohren“schließt und wird ausgeräumt.
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Foto: Archiv/oliver Vogel Yogi Kliemas in seinem „Mohren“, als Fußball-bezahlfern­sehen für Kneipen noch tragbar war.
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Foto: Archiv/markus Brandhuber Musiknacht Heidenheim 2017: Nicht nur da war es voll im „Mohren“.
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Schnaps gibt es keinen mehr, der Telefonaut­omat hingegen funktionie­rt noch.

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